…so Norbert Blüm in einem Interview mit Business Insider über das Bedingungslose Grundeinkommen. Das Zitat trifft den Nagel auf den Kopf, bezieht sich allerdings nur auf Feldexperimente zum BGE. Seine weiteren Ausführungen waren eher zu erwarten, wenn man seinen Beitrag aus dem Jahr 2007 zum „Wahnsinn mit Methode“ kennt.
Schon der Beginn ist vielsagend:
„Business Insider: Herr Blüm, wann kommt in Deutschland das Grundeinkommen?
Norbert Blüm: Ich hoffe nie, denn das wäre eine Beleidigung der fleißigen Arbeiter.
BI: Inwiefern?
Blüm: Wenn ich den Kanalarbeitern vor meinem Haus sage, dass bald ein neues System eingeführt wird, bei dem man ohne Arbeit fast so viel Geld bekommt wie sie, werden die den Staat doch für verrückt erklären.
BI: Vielleicht würden die Kanalarbeiter aber auch froh sein, weil sie dann keinen Knochenjob mehr ausüben müssen, um ihr Existenzminimum zu sichern.
Blüm: Ich bin mir sicher, dass die meisten Arbeiter stolz darauf sind, dass sie mit ihrem Job ihre Familie ernähren können – auch wenn sicher viele auf die Belastung bei ihrer Tätigkeit schimpfen. Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Angriff auf die Ehre der Arbeiter.“
Worin erkennt Blüm die „Beleidigung“? Zuerst fällt der verengte Arbeitsbegriff auf, der nur gelten lässt, was bezahlt wird. Die Adelung der Leistung entsteht also durch die Bezahlung dafür. Da könnten sich viele zurecht fragen, was denn ihre Leistung wert ist, die nicht bezahlt wird – diejenigen, die für ihre Kinder zuhause sind, Angehörige pflegen, sich bürgerschaftlich engagieren usw. Es ist nicht so, dass Blüm diese Leistung fremd ist, wie er in einem Beitrag vor einigen Jahren erkennen ließ, ordnet sie jedoch ausschließlich der Privatsphäre zu – siehe hier. Ohne Einkommen sind unbezahlte Leistungen aber nicht möglich, sie müssen also ermöglicht werden durch Einkommenssicherung.
Wenn ein BGE so ausgestaltet wird, das es mit keinem weiteren Einkommen direkt verrechnet wird, dann würden die „Kanalarbeiter“ mehr Einkommen erzielen als jemand, der nur ein BGE hätte (sieht man einmal davon ab, dass in einem Haushalt mit BGE das Einkommen mit der Anzahl darin lebender Personen zunimmt). Blüms Einwand geht dann am BGE vorbei, es sei denn, ihm reiche der Abstand zwischen BGE und weiterem Einkommen nicht aus. Wäre das gemeint, dann ginge es jedoch um etwas anderes, nämlich um den Status von Erwerbstätigkeit.
„Stolz“ leitet Blüm aus einem Verständnis von Autonomie ab, das ihm im Grunde widerstreben müsste. Denn, dass die Kanalarbeiter ihre Familie ernähren können, liegt weder alleine an ihrer „Leistung“, noch daran, dass es die Leistung ist, die ihre Familie ernährt. Denn diese Leistung des Einzelnen beruht auf Leistungen anderer, die nach gegenwärtigem Verständnis in die Einkommensbildung gar keinen Eingang finden (Sozialisation, Infrastruktur, politische Vergemeinschaftung, Leistungen vorausgehender Generationen). Auch ist es nicht das Einkommen, das Familien ernährt, sondern die Leistung anderer, durch die das Einkommen erst Bedeutung erhält. Nur weil andere Güter und Dienste erzeugen oder an ihrer Erzeugung mitwirken, kann ich diese in Anspruch nehmen, indem ich sie einkaufe. Diese individualistisch Verkürzung von Leistungszusammenhängen ist das Problem, gegen das ein BGE sich unter anderem wendet. Es erkennt genau diese Voraussetzungen an, ohne die der Einzelne nichts ist. Das BGE ist also kein Angriff „auf die Ehre der Arbeiter“, es ist ein Angriff auf die vermessene Vorstellung, dass es diese Art von Arbeit sei, die alleine zum Wohlergehen eines Gemeinwesens beitrage.
Worauf stützt sich Blüms Haltung, das BGE zerstöre die Gerechtigkeitsvorstellung des Sozialstaats?
„BI: Wie können Sie da so sicher sein?
Blüm: Es heißt ja immer, dass das Grundeinkommen die Kreativität fördern würde. Vor zwei Jahren habe ich bei einer Reise in die Arktis eine Siedlung besucht, deren Bewohner vom kanadischen Staat subventioniert werden. Dort gibt es praktisch das bedingungslose Grundeinkommen. Jeder, der das Grundeinkommen unterstützt, sollte dort einmal hinfahren. Dort zermürbt die Langeweile die Menschen. Von Kreativität habe ich dort nichts gemerkt, eher von Alkoholismus.“
Was wird hier miteinander verglichen? Da Blüm sich nicht weiter auslässt, steht zu vermuten, dass er eine Siedlung der aboriginal Canadians, auch Inuit genannt, besucht hat. Ihr Lage ist vermutlich mit der der First Nations vergleichbar. Ohne das weiter zu vertiefen, was für den Vergleich sicher sinnvoll wäre, wird eines zumindest deutlich. Es handelt sich eben nicht um ein BGE, sondern um eine Alimentationsleistung, die ihm nahe zu kommen scheint. Das ist vergleichbar mit der Sozialhilfe in Deutschland, die zwar eine nachrangige Leistung darstellt, die nicht als dauerhafte Alimentierung vorgesehen ist, faktisch dazu jedoch werden kann. Deswegen wird sie jedoch nicht zu einem BGE, denn sie bleibt normativ eine nachrangige Leistung und diejenigen, die sie beziehen, müssen sich – ganz gleich, wie lange die Leistung bezogen wird – für sie rechtfertigen. Der Vergleich ist also schief. Dass Blüm nun diesen Zusammenhang so deutet, dass die Alimentierung zu Langeweile führe, ohne auf den normativen Charakter der Leistung und ihre stigmatisierenden Folgen zu schauen, entspricht derselben Bornierung, mit der sozialwissenschaftliche Studien das relativ höhere ehrenamtliche Engagement von Erwerbstätigen gegenüber Erwerbslosen konstatieren. Auch das ist nur zu verstehen, wenn die stigmatisierenden Wirkungen von Erwerbslosigkeit berücksichtigt werden.
Interessant ist die folgende Passage:
„BI: Das klingt, als wollten Sie das Grundeinkommen zur potentiellen Gefahr für die Demokratie hochspielen.
Blüm: So weit würde ich nicht gehen. Aber die Idee hinter dem Grundeinkommen ist zumindest eine Gefahr für unsere Kultur. Es gehört doch zum Wesen und zur Selbstverwirklichung des Menschen, dass er einer Arbeit nachgeht und an Widerständen wächst. Die Arbeit ist mehr als nur das Beschaffen von Einkommen. Sie schafft auch das Bewusstsein von Solidarität. Ohne Arbeit wären wir schon längst verhungert und erfroren.“
Hier wird klar, woher Blüms Deutung rührt. Zuerst einmal trifft er einen wichtigen Punkt, wenn er sagt, dass man an Widerständen wachsen kann. Welche Widerstände allerdings meint er? Ein verengtes Verständnis von „Arbeit“ führt nun dazu, dass es ganz bestimmte Widerstände sind, an denen der Einzelne wachsen kann: Widerstände in Erwerbsarbeit. Er sagt nichts darüber, wann ein solches Wachsen begünstigt wird und wann nicht, d.h. unter welchen Bedingungen die Erfahrungen möglich werden, die Blüm im Auge hat – es klingt ganz nach „Not macht erfinderisch“, sie verengt indes auch den Blick. Sicher ist Arbeit mehr als Einkommen oder besser gesagt, Einkommen ist eine Nebensache, die zwar wichtig ist, nicht aber dafür sorgt, dass gut gearbeitet wird. Dass wir „ohne Arbeit“ schon längst „verhungert“ wären – wohl war. Das gilt aber ebenso, wenn nicht noch viel mehr für die Fürsorge durch Eltern oder andere sich einem zuwendende und bedingungslose annehmende Personen.
Und wie verhält es sich mit Solidarität? Hier sitzt Blüm einer Verklärung auf. Solidarität im umfassenden Sinne bildet sich nicht in arbeitsteiligen Prozessen der Erstellung von Gütern und Dienstleistungen, sondern als Resultat von Vergemeinschaftungszusammenhängen, in denen der Mensch als ganzer im Zentrum steht. Das ist in Arbeitsverhältnissen jedoch nicht der Fall, der Einzelne als Mitarbeiter steht im Dienst einer Aufgabe, zu deren Zweck er eingestellt wird. Taugt er für die Aufgabe nicht oder nicht mehr, müssen andere an seine Stelle treten. Gemessen wird er daran, ob er die ihm übertragenen Aufgaben bewältigt oder nicht. Die einzige „Solidarität“, die hier zum Tragen kommt, ist Kollegialität bezüglich eines gemeinsamen Zweckes, dem gedient wird. Die Kollegialität ist auf eine Sache bezogen, nicht auf die Personen als ganze. Blüms Deutung entspricht einem verbreiteten Missverständnis, das auch Grund dafür ist, unser Gemeinwesen als „Arbeitsgesellschaft“ zu verstehen (siehe hier und hier). Weitere Ausführungen dazu finden Sie auch hier.
Es geht weiterhin darum, dass ein BGE für Millionäre in Blüms Augen unberechtigt sei, weil sie es ja nicht brauchen und der Sozialstaat mehr als nur die Umverteilung von Geld bedeute. Letzteres trifft in der Tat zu, allerdings ist es nur eine Variante des BGE, die Sparversion, alle Leistungen oberhalb des BGE abzuschaffen – auf sie bezieht sich Blüm. Darüberhinaus übergeht er stillschweigend, unter welchen Bedingungen heute „Beratung“ im Sozialstaat angeboten wird, die gerade im Leistungsbezung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe nicht wirklich freiwillig wahrgenommen werden kann und zumal noch stigmatisierend sind des normativen Charakters der Leistungen wegen.
Dann kommt der Interviewer auf den Arbeitsmarkt zu sprechen:
„BI: Immer mehr Menschen finden es absurd, dass gering qualifizierte Bürger praktisch gezwungen sind, körperlich anstrengende und würdelose Arbeit zu verrichten, um ihr Existenzminimum zu sichern. Was hat das noch mit einem Arbeitsmarkt zu tun? Sollte man auf einem funktionierenden Markt nicht auch „Nein“ sagen können?
Blüm: Materielle Erwerbsabsichten und das Gefühl, in der Welt gebraucht zu werden — das schließt sich ja nicht aus. Und außerdem hat noch niemand die Frage beantwortet, wer in der Welt eines bedingungslosen Grundeinkommens überhaupt noch die schwere Arbeit verrichten soll, wenn man auch ohne eine Gegenleistung Geld vom Staat bekommt. Professoren haben wir genug, aber Kanalarbeiter würden dann wohl fehlen.“
Hier zeigt Blüm dieselbe Haltung wie viele und reproduziert Klischees, als sei es für jedermann eine interessante Perspektive, eine Professur anzustreben, aber keinesfalls Kanalarbeiter zu werden – Vorurteile lassen grüßen (siehe hier, hier und hier), statt die verschiedenen Lebensambitionen ernst zu nehmen.
Ganz konsequent geht es weiter:
„BI: Können Sie denn der Vorstellung etwas abgewinnen, dass Menschen bei der Einführung eines Grundeinkommens ihre Talente und verborgenen Fähigkeiten entdecken können, wenn sie keinen Arbeitszwang mehr verspüren?
Blüm: Die Welt besteht nicht nur aus Arbeit, die Spaß macht. Das Grundeinkommen ist eine Idee für Menschen aus den Oberschichten. Außerdem bezweifle ich, dass Nichstun kreativ macht. Es ist eine Schlaraffenland-Idee zu glauben, dass die Menschen alle zu Picassos werden, wenn sie nicht mehr arbeiten. Vielleicht werden viele ja auch Säufer.“
Nur Polemik gegen die berechtigte Frage des Interviewers – haben die Menschen diesseits der „Oberschichten“ keine Talente und Fähigkeiten? Man ist geneigt, Blüm entgegenzurufen, genau, ein Recht darauf, Säufer werden zu dürfen, das wäre nötig, um der Engstirnigkeit zu entkommen.
Anders die darauffolgende Passage:
„BI: Umfragen zeigen, dass selbst bei einem Lottogewinn nur wenige ihren Job aufgeben würden. Trotzdem hätten viele dann sicherlich mehr Muße für Dinge, die sie wirklich erfüllen.
Blüm: Keine Frage, die Menschen wollen sich auch außerhalb der Arbeit entfalten. Die Welt kann aber nicht nur von Kreativität und schöpferischer Tätigkeit ernährt werden. Es muss auch noch Menschen geben, die die Wasserleitungen reparieren. Ich bin für ein Grundeinkommen im Sinne der Existenzsicherung. Das ist aber nicht bedingungslos, sondern richtet sich nach der Bedürftigkeit.“
Das Lotteriebeispiel ist schlecht, weil es nicht das Gemeinwesen ist, das die Einkommenssicherheit als Solidarakt verschafft, sondern ein Gewinnspiel, in dem ein Glückstreffer gelandet wurde. Außerdem bleibt in der Lottogewinnwelt die Erwerbsnorm fortbestehen und entfaltet weiter ihre Wirkung auf alle, auch die Lottogewinner.
Erstaunlich ist, dass Blüm gar nicht sieht, wie sehr die Dienstleistungen, die er ins Spiel bringt, doch genau deswegen, weil sie notwendig sind, erfüllend sein können. Gibt es denn Menschen, die „Wasserleitungen reparieren“, weil ihnen keine andere Perspektive zugestanden, sie unter die Knute genommen werden? Das haben andere schon die Skalvenhalterperspektive genannt. Auch heute können wir nicht garantieren, dass für Berufe oder Aufgabe auch Personen sich finden, die sie zu übernehmen bereit sind.
„BI: Aber Sie müssen doch zugeben: Die Idee des Grundeinkommens passt perfekt zu den Werten der heutigen 18-45-Jährigen. Von ihnen wollen viele weniger Arbeit und Stress, dafür mehr Zeit für Familie und Reisen.
Blüm: Der technische Fortschritt gibt uns doch schon mehr Freiräume als früher. Meine Kinder haben mehr Freizeit als ich und ich wiederum habe deutlich mehr Freizeit als mein Großvater. Diese Entwicklung will ich nicht bremsen, auch nicht, dass Familie und Freunde immer wichtiger werden. Aber ich glaube nicht an die Utopie, dass wir als eine Gesellschaft der Arbeitslosen überlebensfähig sind.“
„Gesellschaft der Arbeitslosen?“ Darum geht es doch gar nicht.
Abschließend trifft Blüm den Nagel auf den Kopf, aber nicht so, wie er vielleicht denkt:
„BI: Was spricht denn dagegen, das Modell zumindest einmal zu testen? So wie in Finnland oder den Niederlanden?
Blüm: Dafür muss man erst einmal wissen, was genau man denn überhaupt testen will. Die Bürger sind doch keine Mäuse, an denen man wie im Labor etwas ausprobiert. Wir sollten nicht mit dem Schicksal der Menschen spielen.“
Vollkommen richtig, was Blüm hier herausstellt. Es geht nicht an, mit „dem Schicksal der Menschen“ zu „spielen“, oder anders und in meinen Augen treffender ausgedrückt: Die Bürger in einer Demokratie können nicht zum Gegenstand von Versuchen oder Tests gemacht werden, weil das ihrer Entmündigung gleichkommt (siehe Kommentare zu Feldexperimenten). Feldexperimente mit dem BGE kommen Bürgermündigkeitsprüfungen gleich.
Sascha Liebermann