…das konnte wieder gut in der jüngsten Ausgabe von Maischberger beobachtet werden, wenn die üblichen Vedächtigen, muss man fast sagen, sich ein Stelldichein geben und keine Expertise bemüht wird, um dazu einmal differenziertere Aussagen zu erhalten. Es war gerade der jüngste Gast in der Sendung, Jeremias Thiel, der einen Einblick gab in das Leben einer Familie, in der beide Eltern krank sind und die Höhe von Sozialleistungen weder Hindernis noch Hilfe dafür ist, sich diesen Erkrankungen stellen zu können. Manches davon scheint im Kommentar von Hand Hütt in der Frankfurter Allgemeine Zeitung auf, wird aber auch nicht vertieft.
Der Wirtschaftsredakteur der FAZ, Rainer Hank, konnte sich wieder über einen Auftritt freuen, um seine üblichen Invektiven gegen den Sozialstaat loszulassen und an die Eigenverantwortung zu appellieren. Dabei könnte eine treffende Kritik am Paternalismus des deutschen Sozialstaats sehr wohl die Richtung weisen, um ihn fortzuentwickeln zu einem, der Autonomie und Initiative tatsächlich unterstützt, statt durch Beaufsichtigung und Kontrolle zu behindern. Hank wandte sich hier zurecht gegen die Vorstellung der Börsen-Expertin Anja Kohl, der Staat hätten Herrn Thiel helfen, ihn aus der Familie nehmen müssen. Sie weiß vermutlich nicht, dass der Auftag des Jugendamtes gesetzlich definiert ist (Achtes Buch Sozialgesetzbuch) und die Entscheidung, ein Kind aus einer Familie zu nehmen, keine so einfache Angelegenheit ist. Dann läge es ja nahe, sich dazu nicht zu äußern. Das scheint schwer zu sein, selbst für eine erfahrene Journalistin. Doch Hank meint mit Paternalismus die angeblich passivierenden Folgen von Sozialleistungen, wenn sie denn zu hoch ausfallen. Ein Blick in die dynamische Armutsforschung würde hier weiterhelfen, um mit Mythen aufzuräumen (siehe z. B. hier und auch hier: Verweildauer im Leistungsbezug). Aber daran scheint er kein Interesse zu haben.
Die Kritik an seinem Kollegen Creutzburg, der vollmundig behauptete, wie komfortabel man von Sozialleistungen lebe, hatte er offenbar vergessen – die Berechnungen waren schlicht unzulänglich und fehlerhaft.
Hank beklagte darüber hinaus den falschen Stolz, der dazu führe, Leistungen nicht in Anspruch zu nehmen (Stichwort „verdeckte Armut“), was wohl als Ermahnung derer zu verstehen war, die den Gang in ein Jobcenter oder vergleichbare Einrichtungen scheuen. Zwar liegt er damit richtig, wenn er auf den Rechtsanspruch hinweisen will, der auf solche Leistungen besteht, doch unterschätzt er, dass die Wahrnehmung des Anspruchs zugleich bedeutet, der normativen Erwartung, erwerbstätig zu sein, nicht zu entsprechen. Genau so begründet sich ja auch die Nachweispflicht, die Bedingungen für den Anspruch auf Leistungen zu erfüllen. Diese Nicht-Befolgung des Erwerbsgebots ist der Grund für die stigmatisierenden Wirkungen solcher Leistungen, der Bezieher erhält sie, weil er etwas anderes nicht erreicht, das aber als erwünscht und erstrebenswert gilt.
Um diese Zusammenhänge schert sich Hank nicht, dadurch wird die Welt einfacher. Wer die Lage ernst nimmt, müsste fragen, wie es möglich ist, dass Anspruchsberechtigte möglichst geringe Schwellen übertreten müssen, um ihnen zustehende Leistungen abzurufen. Das wäre eine Diskussion um die Fortentwicklung des Sozialstaats, die nicht illusionär geführt werden sollte. Dennn die unter anderen von Sahra Wagenknecht als Alternative ins Feld geführte „repressionsfreie Grundsicherung“ weist hier keinen Ausweg, sie ist illusionär, solange das Erwerbsgebot aufrecht erhalten bleibt und der Grundsicherungsbezug nicht für dauerhaften Bezug vorgesehen ist. Denn solange das so ist, wird kein Bezieher in ihm verbleiben können, ohne sich stets einer Prüfung unterziehen zu müssen.
Und dann? Dann landen wir wieder beim BGE, das aber keiner der Anwesenden für eine sinnvolle Lösung hält, ohne allerdings brauchbare Alternativen nennen zu können.
Sascha Liebermann
Ein Gedanke zu „Beharrlichkeit von Mythen und ein vereinfachender Blick auf Armut…“
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