Diese Frage stellt sich angesichts eines Beitrags von Henning Vöpel für Die Welt.
Es handele sich bei der Diskussion um ein BGE um eine Scheindiskussion, es sei gerade nicht, was es vorgebe zu sein, eine Lösung. Mit diesem Auftakt kann man gespannt sein, was Vöpel zu sagen hat, die Stoßrichtung ist mehr als klar. Vöpel schreibt:
„Die Eignung des bedingungslosen Grundeinkommens als sozial- und arbeitsmarktpolitisches Instrument lässt sich sinnvoll nur anhand möglicher Ziele diskutieren, die damit erreicht werden sollen. Im Wesentlichen sind das erstens eine bessere soziale Sicherung gegen (technologisch verursachte plötzliche und vorübergehende) Arbeitslosigkeit und zweitens eine humanere und effizientere Einbindung von Menschen gemäß ihrer Fähigkeiten und Motivation am Arbeitsmarkt.“
Warum sollten es gerade diese beiden Ziele sein, an denen ein BGE zu messen wäre? Was sich sagen lässt ist, ein BGE wäre eine unkomplizierte, einfach nachvollziehbare, dauerhafte Absicherung – ein fester Boden, auf dem jeder stehen würde. Technologische Arbeitslosigkeit wäre vor diesem Hintergrund nicht mehr das Problem, zu dem sie heute gemacht wird. Aber auch wenn sie nicht einträfe, wäre ein BGE dennoch eine Antwort auf virulente Fragen, weil es den Stellenwert der Bürger als Fundament der politischen Ordnung anerkennt, so wie es in der Demokratie vorgesehen ist. Das scheinen für Vöpel aber fremde Gedanken zu sein. Insofern ist das zweite Ziel, eine „humanere und effizientere Einbindung […] am Arbeitsmarkt“ das einzig vorstellbare für ihn. Was aber heißt „humaner“ und was „effizienter“, worauf bezogen? Wenn Vöpel es ernst meint, müsste er die Frage der Einbindung gerade vom Arbeitsmarkt ablösen, denn human im Sinne der Würde des Menschen bzw. der Anerkennung der Bürger in einem Gemeinwesen ist es, ihre Stellung ohne Vorbehalt anzuerkennen. Dann bräuchte es gerade eine Einkommenssicherung, die von der Erwerbsbeteiligung absieht, sich gar nicht durch sie rechtfertigt. Und effizienter ist gerade eine Absicherung, die die Chancen dafür maximiert, dass sich der Einzelne dort einbringen kann, wo er es für wichtig und richtig erachtet, das Engagement also zu seinen Neigungen und Fähigkeiten passt. Auch hier wäre ein BGE vorbildlich, weil durch das Schaffen von Entscheidungsfreiräumen hier etwas leistet, das heute nicht möglich ist. Wie sieht Vöpel das nun?
Er bezieht sich auf ein schwaches und ein starkes Argument für ein BGE. Das schwache ist die vermutete bzw. befürchtete technologische Arbeitslosigkeit, die ein BGE nötig mache. Manche Befürworter haben noch nicht realisiert, dass sie mit diesem Argument ein BGE amputieren, sie nehmen ihm das Zentrum seiner Relevanz: unabhängig von Arbeitsmarktfragen sinnvoll zu sein. Das zweite zielt auf die Entscheidungsfreiräume. Was entgegnet Vöpel auf diese Argumente?
„Das bedingungslose Grundeinkommen bietet weder einen besseren Schutz gegen soziale Notlagen (oder ist in irgendeiner Weise gerechter, weil es von jeder Form der individuellen Notlage abstrahiert), noch wird es, solange es finanzierbar bleiben soll, Menschen in die Lage versetzen, nur noch Tätigkeiten auszuüben, die ihnen Spaß und Erfüllung bringen.
Das Maß an sozialer Sicherung und individueller Selbstbestimmtheit, das mit dem bedingungslosen Grundeinkommen möglich wäre, existiert bereits heute mit anderen Instrumenten.“
Hat er sich mit der Debatte beschäftigt? Ein BGE selbst ist als Pauschalbetrag konzipiert, der von individuellen Lebenslagen absieht, das ist richtig, aber kein Einwand dagegen, denn bedürftigkeitsgeprüfte Leistungen sehen die meisten Befüworter ebenso vor. Also ist der Einwand eine Verirrung. Eine Absicherung, die unabhängig von Erwerbsbeteiligung ist, steht nicht nur für ein anderes Solidarverständnis, sondern schafft auch Entscheidungsfreiräume, die es heute so nicht gibt – selbstverständlich hängen diese von der Ausgestaltung ab. Vöpel geht mir nichts dir nichts über die normative Engführung heutiger Sicherungssysteme hinweg. Das kann auch als Verirrung bezeichnet werden, denn Vöpel missachtet die stigmatisierenden Effekte des heutigen Systems, die zugleich eine Degradierung nicht-erwerbsförmiger Leistungen mit sich bringt.
Vöpel schreibt später:
„Die Erwerbsbeteiligung als Grundlage eines Gesellschaftsvertrags aufzugeben, der auf eigener Anstrengung und kollektiver Solidarität, individueller Freiheit und gesellschaftlicher Verantwortung basiert, wäre fatal und unnötig.“
Erwerbsbeteiligung ist gar nicht „Grundlage“ unseres „Gesellschaftsvertrags“, das Grundgesetz kennt ja gerade keine Erwerbsobliegenheit. Eine politische Vergemeinschaftung ist auch keine Vertragsgesellschaft, hier geht etwas durcheinander, denn Zweck einer solchen Vergemeinschaftung ist sie selbst, sie ist Zweck für sich, nicht Zweck für anderes, um etwas zu erreichen, das nicht sie selbst ist. Ein BGE steht gar nicht im Gegensatz zu „eigener“ Anstrengung, ein weiterer Irrweg, der nur plausibel wird, wenn man meint, die Anstrengungsbereitschaft werde durch ein BGE untergraben.
Interessant ist, welchen Gegensatz der Autor dann aufmacht zwischen liberalen Demokratien auf der einen und Autokratien auf der anderen Seite, als gehöre ein BGE eher auf die Seite letzterer. Gerade Autokratien schätzen die individuelle Freiheit aber nicht wert, deswegen ist ein BGE dort in seiner politischen Dimension unerwünscht. Letztlich sei ein BGE dann eben eine „Stillhalteprämie“, hier wird erst so richtig deutlich, welches Freiheitsverständnis der Autor hat, wenn er meint, durch ein BGE könnten Bürger davon abgehalten werden, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Von wegen.
Sascha Liebermann