Rückwärtige Verklärung – Rudolf Hickel über die Arbeitslosenversicherung

Begriffe deuten die Welt, sind Weltdeutungen und damit häufig normativ grundiert. In dem nachstehenden Ausschnitt aus einem Interview mit der taz zur „Sozialen Marktwirtschaft“ äußert sich  Rudolf Hickel, Prof. em. an der Universität Bremen, zur Arbeitslosenversicherung vor der Agenda 2010. Interessant ist dabei die Verklärung, die er vornimmt und sich zugleich fraglos als Unterstützer der Erwerbszentrierung zu erkennen gibt:

„taz: Herr Hickel, Sie werfen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier vor, sich auf die Soziale Marktwirtschaft zu berufen, aber grundlegende Paradigmen zu ignorieren.
Rudolf Hickel: Für den Nestor der Sozialen Marktwirtschaft, Alfred Müller-Armack, standen zwei Prinzipen im Mittelpunkt: Wer sein Arbeitseinkommen unverschuldet als Folge von Krisen verliert, der wird durch das gesetzliche System, etwa die Arbeitslosenversicherung, aufgefangen. Das gilt spätestens seit der „Agenda 2010“ nicht mehr. Arbeitslose werden zu Tätern gestempelt. Ihnen werden Lohnverzicht und prekäre Arbeitsverhältnisse abverlangt. Auch das zweite Grundprinzip ist ausgehebelt worden: Wer durch den Verlust der Lohnarbeit später sozial in Not gerät, dem wird geholfen. Dieses Prinzip hat die Schröder/Riester-Rentenpolitik mit dem Druck, eine eigene Teilkapitalvorsorge zu finanzieren, beschädigt.“

Was heißt „unverschuldet“? Es gibt also auch Arbeitslosigkeit aus Selbstverschulden, sie kann nur darin bestehen, aus freien Stücken zu kündigen, weil man mit den Arbeitsbedingungen, der Aufgabe, dem Umgang mit den Mitarbeitern oder sonst etwas nicht zufrieden ist. Für diese Gruppe, so klingt es bei Hickel, gelte die Arbeitslosenversicherung nicht mehr. Das stimmt aber nicht, es greift lediglich eine Sperrzeit für die Leistung. Das war auch vor der Agenda 2010 schon so, genauso wie die Verpflichtung, sich zu bewerben, schon früher bestand, siehe dazu die Ausführungen von Frank Oschmiansky und Kollegen hier. Aber auch in der Sozialhilfe galt schon früher, dass der Bezieher Anstrengungen unternehmen muss, um den Leistungsbezug zu verlassen, siehe hier. Sozialhilfe bzw. Arbeitslosengeld II ist ja für Notlagen gedacht, daran kann man Vieles kritisieren, aber nicht, dass es das nicht gäbe.

Hickels Kritik ist nicht besonders weitreichend, sie führt vor allem nicht über den alten Sozialstaat hinaus, den er erstaunlich verklärt. Was er zum Bedingungslosen Grundeinkommen zu sagen hat, können Sie hier und hier sehen.

Sascha Liebermann