…darüber spricht Georg Vobruba, Professor emeritus an der Universität Leipzig, anlässlich eines Interviews der Stiftung Grundeinkommen mit ihm. Vobruba ist über lange Zeit schon mit dem Thema Grundeinkommen vertraut. Gleich zu Beginn geht es darum, wie er zur öffentlichen Debatte steht:
„[…] Ich bin eigentlich immer bemüht, mich nicht in die Debatte einzumischen und mich mit meinem Dafür oder Dagegen zurückzuhalten, weil es auf mein Votum nicht ankommt. Ich finde es sinnvoller, die Debatte zu beobachten.“
Angedeutet wird ein wichtiger Unterschied, der zu beachten ist: Einmischung vs. Beobachtung. Letzteres steht bei Vobruba wahrscheinlich für sozialwissenschaftliche Analyse, ersteres für intellektuelles Engagement für eine Sache oder anders ausgedrückt: er differenziert zwischen Theorie und Praxis. Obwohl diese Differenzierung selbstverständlich sein sollte, wird sie ja nicht selten eingerissen oder gar bewusst überschritten. So ist es z. B. häufig nicht klar, wo bei Christoph Butterwegge Analyse und wo intellektuelles Engagement stattfindet. Und in der Tat kommt es auf das Votum des Sozialwissenschaftlers nicht an, auf das des Bürgers allerdings schon. Insofern wäre eine Einmischung möglich, ohne die „Beobachtung“ aufzugeben.
Danach gefragt, weshalb die Diskussion, nachdem sie in den 90er Jahren vom Tisch war, wieder aufgekommen ist, betont Vobruba vor allem die „kampagnenartigen Strukturen“, die es heute gebe, auch die des Basic Income Earth Networks (BIEN). In der öffentlichen Diskussion in Deutschland spielt BIEN allerdings keine große Rolle, bis 2004 hatte es nicht einmal einen deutschen Ableger, der entstand erst mit dem Netzwerk Grundeinkommen. Die deutsche Debatte, so meine Erfahrung, ist ganz entscheidend durch Engagierte in Deutschland angestoßen worden – durch Beharrlichkeit und das stete Bemühen, Argumente zu schärfen. Die wenigen Kampagnen, die es in Deutschland gab, fallen dabei kaum ins Gewicht. In jüngerer Zeit ist diesbezüglich „Mein Grundeinkommen“ besonders aufgefallen, den Verein gibt es aber erst sei fünf Jahren, die Etablierung der Debatte hat schon vorher stattgefunden.
Auf die Frage, ob Digitalisierung und Prekarisierung für die Debatte förderlich waren, antwortet er:
„Die kollektive Suggestion ist ja durchaus, dass Computer uns die Jobs wegnehmen, das trägt sicher dazu bei, dass die Debatte Aufmerksamkeit bekommt. Die These, dass wir wegen der wegfallenden Jobs neue Verteilungsinstrumente jenseits der bisherigen brauchen, stammt allerdings aus den 1980er Jahren, das hat schon Ralf Dahrendorf gesagt. Doch genau das hat sich seit 40 Jahren nicht bewahrheitet. Und die Digitalisierung wird immer dann als besonders dramatisch eingeschätzt, wenn die Beispiele besonders eindrucksvoll sind. Wenn zum Beispiel im Automobilbereich die Arbeitslosigkeit zunimmt. Man muss aber auch sagen: Keine seriöse Prognose bestätigt, dass Arbeitsplätze massenhaft verloren gehen. Es gehen welche verloren, aber es entstehen auch neue. Die Einschätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sind beispielsweise weniger dramatisch.“
Dahrendorf argumentierte unter anderem (siehe hier und hier) damals nicht damit, dass der Arbeitsgesellschaft die Arbeit schlicht ausgehe, sondern dass, wenn ohnehin gar nicht alle am Erwerbsleben teilnehmen und dies auch nicht sollen (wegen längerer Ausbildungszeiten, dem Verbot von Kinderarbeit und Rentnern), sich die Frage stelle, ob die Rede von der Arbeitsgesellschaft nicht delegitimiert würde. Aber Vobruba hat natürlich recht, so einfach ist es mit der Erwerbsarbeit nicht, allerdings ebensowenig in seinem Sinne (siehe hier). Denn immerhin ist das Pro-Kopf-Arbeitsvolumen auf lange Sicht gesunken trotz steigender Zahl an Erwerbstätigen. In anderer Hinsicht hat er, obwohl er darauf nicht zu sprechen kommt, noch vielmehr recht: Erwerbstätigkeit als Norm ist heute stärker denn je, dazu muss nur die Sozialpolitik für Familien in Augenschein genommen werden (siehe hier und hier). Was die etwaigen Folgen der Digitalisierung betrifft, wäre ich viel vorsichtiger als er; wir können nicht sagen, welche Rolle der Konsens bezüglich des Erhaltens oder Schaffens von Erwerbsarbeitsplätzen für die nicht genügend radikale Nutzung von Automatisierungstechnologie hat. Selbst Unternehmensvertreter argumentieren bezüglich dessen wie Vertreter einer Erziehungsanstalt – mit Wertschöpfung hat das wenig zu tun.
Merkwürdig ist, dass Vobruba die FDP erwähnt, war sie doch nie für ein Bedingungsloses Grundeinkommen, vielleicht ist das aber genau der Grund, denn im Interview ist nicht klar, über welches Grundeinkommen gesprochen wird. BIEN wird allerdings erwähnt und hat diesbezüglich klare Kriterien.
Dann kommt der Interviewer auf Vobrubas Ausführungen im Rahmen eines Beitrags in Der Standard aus Wien zu sprechen, worin er deutlich machte, dass die Folgen experimentell nicht ermittelt werden können und es letztlich nur ausprobiert werden könnte (siehe meinen Kommentar zu diesem Beitrag hier) – das würde ich genauso sehen, Feldexperimente werden überschätzt. Dann wird er gefragt, was an die Stelle von Feldexperimenten treten könnte:
„Wie könnte man sinnvoller und aussagekräftiger forschen?
Das ist schwer zu sagen. Am ehesten, indem man graduelle sozialpolitische Reformschritte politisch durchzusetzen versucht und sie sozialwissenschaftlich begleitet.“
Nun, hier ließe sich schon früher einiges tun. Zuerst einmal könnte erforscht werden – und das ist teils schon geschehen -, ob denn überhaupt die „Arbeitsnorm“ für Erwerbsbeteiligung entscheidend ist. Vobruba hält sie für bedeutend, doch weshalb? Es lässt sich gerade auf der Basis von nicht-standardisierten Gesprächen zeigen, dass das Engagement im Beruf noch ganz andere Dimensionen beinhaltet als nur die heutige Erwerbsnorm (siehe z. B. hier). Hier die entsprechende Passage:
„Welche Probleme sähen Sie dabei?
Zum Beispiel die Arbeitssozialisation. Da bin ich persönlich hin- und hergerissen. Natürlich erlebe ich beruflich und privat sehr viele junge Menschen, die im Traum nicht darauf warten, dass ihnen Arbeit angeschafft wird, sondern selbst Projekte starten. Aber andererseits ist die Fähigkeit, sich auf diese Weise selbst beschäftigen zu können, ein strukturell definiertes Privileg. Und es gibt schon junge Menschen, bei denen ich mich frage, ob die noch arbeiten würden, wenn sie wüssten, dass sie mit 20 Jahren ohnehin ein Grundeinkommen bekommen. Auch im räumlichen Rahmen sehe ich ein Problem. In der ganzen EU auf einmal ein Grundeinkommen einzuführen, wäre fast schon Wahlhilfe für rechte Retroparteien in den wohlhabenderen Mitgliedsländern. Jetzt klinge ich wie ein Gegner. (lacht)“
Die jungen Menschen, die er hier vor Augen haben mag, gibt es womöglich. Doch zum einen muss doch gefragt werden, weshalb ist das bei ihnen so, was hat es mit den heutigen Lebensbedingungen zu tun, zum anderen fragt sich was ein Grundeinkommen daran ändern würde? Und würde es nur die Folge haben können, die Vobruba erwähnt oder auch eine in die andere Richtung? Die integrative Wirkung, die es haben könnte, sieht er gar nicht, ein BGE wäre ja – wenn es um ein solches geht – ein Zeichen der Gemeinschaft, dass alle dazugehören, Zugehörigkeit nicht am Erwerbsstatus festgemacht, wie es zumindest der Sozialstaat tut. Eines scheint er mir ebenso zu unterschätzen: wenn eine Einführung ernsthaft erwogen wird und es dann tatsächlich dazu kommt, hätte sie eine hohe Bindungskraft, d. h. auch einen hohen Verpflichtungsgrad sich zu fragen, was man beitragen kann und will.
Davon abgesehen lässt sich fragen, wie sinnvoll es für ein Unternehmen ist, solche jungen Menschen anzustellen, wenn ihre Bereitschaft so gering ist, wie es in Vobrubas Ausführungen anklingt? Dass es zu einer Einführung auf EU-Ebene absehbar kommen könnte, scheint mir doch wenig realistisch, noch weit weniger realistisch als eine Einführung in Deutschland.
Sascha Liebermann