In seinem Beitrag „Aus der mal nicht eindeutigen Welt der Leiharbeit. In der Pflege. Oder: Wenn ausnahmsweise Arbeitgeber vor Leiharbeitern geschützt werden sollen“ schreibt Stefan Sell in seinem Blog Aktuelle Sozialpolitik über einen anderen Blick auf Leiharbeit und macht auf ein interessantes Phänomen aufmerksam. Die viel gescholtene Leiharbeit hat auch andere Seiten, Leiharbeit ist nicht Leiharbeit. Hier exemplarisch eine Passage:
„Offensichtlich gibt es einige interessante Besonderheiten der Inanspruchnahme von Leiharbeit in der Pflege. Und die bestehen nicht nur darin, dass es anscheinend für einige Pflegekräfte attraktiver ist, statt einer Festanstellung beispielsweise in einem Pflegeheim eine Tätigkeit in der Leiharbeit vorzuziehen. Letztendlich können die Leiharbeitskräfte in der Pflege – anders als in anderen, „klassischen“ Einsatzbereichen der Arbeitnehmerüberlassung, wo sie als hoch flexible Randbelegschaft, die man jederzeit entsorgen kann -, von einem besonders ausgeprägten Ungleichgewicht zuungunsten der Arbeitgeber profitieren, denn der eklatante Personalmangel führt dazu, dass man hier auf die Leiharbeitskräfte zur Aufrechterhaltung des Normalbetriebs angewiesen ist, weil man keine oder zu wenige Arbeitskräfte für die „normale“ Beschäftigung findet, aber aufgrund der Personalvorgaben gezwungen ist, beispielsweise eine bestimmte Anzahl an Pflegefachkräften vorzuhalten. Dazu bereits der Beitrag „Gute Leiharbeit“? Zur medialen und tatsächlichen Bedeutung der Leiharbeit in der Kranken- und Altenpflege vom 23. September 2019.“
Schon vor vielen Jahren habe ich in einem Beitrag zu diesem Thema (siehe auch hier) versucht deutlich zu machen, dass Leih- bzw. Zeitarbeit nur unter bestimmten Bedingungen problematisch ist, und zwar dann, wenn die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer schlecht bzw. ungünstig ist. Die unter solchen Bedingungen berechtigten Sorgen und Nöte sind aber nicht mehr dieselben, wenn Verhandlungsmacht besteht und Ausweichmöglichkeiten bestehen, die keine Notlösungen sind. Sells Beobachtung ist insofern hilfreich, greift allerdings zugleich zu kurz, wenn für diejenigen, die unbezahlte Arbeit leisten, es keine Verhandlungsmacht gibt. Ihre Leistung wird ja bislang als selbstverständlich vorausgesetzt. Erst ein Bedingungsloses Grundeinkommen wird das ändern, indem es eine normative Umwertung vollzieht und das bislang Zweitrangige zum Gleichrangigen erhebt.
Sascha Liebermann