Zu diesem Thema schreibt Andrea Komlosy auf Project Syndicate. Darin findet sich folgende treffende Beschreibung:
„Unsere derzeitige enge Definition von Arbeit geht auf das Ende des neunzehnten Jahrhunderts zurück, als die zunehmende Dynamik der Großindustrie zu einer weitgehenden Trennung von Arbeitsplatz und Haushalt führte. In industriellen Kernregionen wurde Arbeit auf die Erwerbsarbeit außerhalb des Hauses reduziert, während Hausarbeit, Subsistenzlandwirtschaft und der nachbarschaftliche Tauschhandel plötzlich nicht mehr als Wert in die Berechnungen einflossen. Diese unbezahlten Tätigkeiten verschwanden weder aus der Peripherie noch aus dem Zentrum der Weltwirtschaft, wurden aber nicht zur Arbeitswelt gezählt. Kein Lohn bedeutete keine Anerkennung, keine statistische Erfassung und keinen Zugang zu öffentlichen Leistungen.“
Die Kritik daran, welche Indikatoren für die Erfassung der Wertschöpfung verwendet werden, hier besonders die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, hat schon eine gewisse Tradition. Es läge nahe, den Wert unbezahlter Arbeit in die Erfassung hineinzunehmen, das ist aber nicht nur methodisch problematisch, es suggeriert auch, dass beides vergleichbar sei. Das ist es aber nicht, wenn noch die Besonderheit der Beziehungen in Betracht gezogen wird, die für unbezahlte Arbeit bestimmend sind.
Etwas missverständlich ist folgende Passage:
„Die Lohnbeziehungen wurden zwar erweitert, doch in weiten Teilen der Entwicklungsländer reichten die Löhne nicht aus, um eine Familie zu ernähren, so dass Arbeit im Haushalt und Subsistenzwirtschaft einen Ausgleich schaffen mussten. Und ab den 1980er-Jahren kehrte unbezahlte Arbeit auch in die entwickelten Volkswirtschaften zurück.“
Was ist hier gemeint? Denn unbezahlte Arbeit war nie verschwunden, allenfalls wurde sie verlagert oder – wie die Autorin selbst schreibt – nicht bedacht, für nachrangig erklärt, wenn nicht gar ignoriert. Und wer kann sich schon Haushaltshilfen leisten oder möchte sie in Anspruch nehmen? In Deutschland zumindest ist das kein Breitenphänomen, in anderen Ländern, in denen es diesbezüglich eine gewisse Tradition gibt, sicher verbreiteter. Ohnehin ist der Umfang unbezahlter Arbeit nicht durch Messungen zu erfassen, die entscheidende Differenz liegt im Beziehungsgefüge – siehe oben -, das diese Tätigkeiten auszeichnet.
Diese Erklärung hier scheint etwas einfach:
„Im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung und Globalisierung der Warenketten führten die Arbeitgeber immer flexiblere Arbeitsverträge ein und drängten immer mehr Beschäftigte dazu, prekäre Beschäftigungsbedingungen zu akzeptieren.“
Das war nicht einfach eine Laune, sondern Ausdruck dafür, diese Entwicklung in bestimmter Weise zu deuten – und zwar aus Sicht der Interessen des Unternehmens, bei aller Kurzsichtigkeit, die darin eine Rolle spielte. Die „Beschäftigten“, erscheinen hier schlicht als Opfer, nicht aber als diejenigen, die en gros diese Entwicklung auch hingenommen oder sogar selbst noch begrüßt haben. „Prekär“ müssten solche Arbeitsverhältnisse nicht sein, wenn der Einzelne Verhandlungsmacht hätte und zwar grundsätzlich, nicht in Abhängigkeit von der Lage am Arbeitsmarkt. Leiharbeit würde einen anderen Charakter erhalten, es könnte zur Selbstverständlichkeit werden, dass Leiharbeiter besser bezahlt werden müssten als Festangestellte, weil sie ein größeres Risiko tragen.
Am Ende wird es doch recht blass, was die Autorin aus ihren interessanten Beobachtungen schlussfolgert:
„Ein solches Szenario ist nur aufmunternd, wenn es uns gelingt, neue Wege zu finden, um bezahlte und unbezahlte Arbeit gerecht auf alle Bürger zu verteilen. Andernfalls laufen wir Gefahr, letztendlich in einer gespaltenen Gesellschaft zu leben. Wohlhabende Workaholics hätten finanziell lohnende, aber belastende Jobs, während Arbeitslose gezwungen wären, sich auf Subsistenzstrategien zu verlegen, um ihr Grundeinkommen oder ihre Armenfürsorge aufzubessern.“
Hier wird offenkundig, dass sie dem Einzelnen doch wenig zutraut, vielleicht ist dies der Grund dafür, weshalb sie den Zugewinn an Verhandlungsmacht durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen nicht thematisiert. Ein BGE lässt auf einfache Weise Zusammenschlüsse zur Vertretung von Interessen zu. Aber auch für Lebensgemeinschaften bzw. Familien wäre der Freiheits- und Machtgewinn durch ein gesichertes (kumuliertes) Haushaltseinkommen enorm. So ließe sich anders über die Frage nachdenken und reden, wie mit der Fürsorge für andere umgegangen wird. denn eines darf angesichts der ungleichen Verteilung von Fürsorgetätigkeiten nicht vergessen werden, ein wesentlicher Grund ist das Erwerbsgebot, ohne dessen Befolgung ein Haushalt kein legitimes dauerhaftes Einkommen erzielen kann.
Siehe auch diesen früheren Kommentar zu einem Interview von Andrea Komlosy.
Sascha Liebermann