…unter diesem Titel bespricht Simon Schaupp auf Soziopolis die bei Suhrkamp veröffentlichte Übersetzung eines Buches von Aaron Benanav, das im Jahr 2020 auf Englisch erschienen ist. Der englische Titel „Automation and the Future of Work“ wurde ins Deutsche übernommen. Da in dem Buch offenbar auf das Bedingungslose Grundeinkommen eingegangen wird, seien hier die Anmerkungen Schaupps dazu kommentiert. Schaupp schreibt:
„Automatisierungstheoretiker:innen von links und rechts sind sich diesbezüglich einig: Ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) soll die Existenzsicherung von der Erwerbsarbeit abkoppeln. Diesen Vorschlag lehnt Benanav ab. Da das BGE die Eigentumsverhältnisse unangetastet lasse, verbleibe die ökonomische Macht vollständig in den Händen der Besitzenden, denn mit dem Abzug von Investitionen könnten sie jede noch so fortschrittliche Regierung unter starken Druck setzen. Deshalb sei es wahrscheinlich, dass sich – anstelle eines auf Umverteilung basierenden BGE-Modells – derjenige der vielen neoliberalen Vorschläge durchsetzen würde, der sich als der tragfähigste Stützpfeiler einer von Ungleichheit geprägten Gesellschaft erweise. Benanavs Schlussfolgerung: ‚Nur eine Eroberung der Produktion, mit der es endlich gelingt, den Kapitalisten die Macht über Investitionsentscheidungen zu entwinden, […] kann uns den Weg in eine Zukunft ohne Mangel bahnen.‘ (S. 129 f.)“
Lässt das BGE die Eigentumsverhältnisse unangetastet? Das hängt doch entscheidend von der Höhe ab, sie entscheidet ebenso, welche Möglichkeiten es schaffen würde, in welchem Maße es Machtumverteilung mit sich brächte. Was dann folgt hat mit einem BGE nichts zu tun, sondern mit staatlicher Regulierung bzw. einer Diskussion über Eigentum – also zwei Paar Schuh. Es sollte doch aber nicht vergessen werden, dass Investitionen nur dann interessant sind, wenn sie eine Erfolgsaussicht mit sich bringen. Dazu bedarf es also bestimmter Bedingungen. Ob denn Investoren sich so einfach zurückziehen würden, ist keineswegs ausgemacht, kämen dann womöglich andere Investoren bzw. würden andere Investitionswege erdacht.
Was sich durchsetzen würde, hinge entscheidend davon ab, was die Bürger sich bieten ließen oder anders ausgedrückt, was sie unterstützen würden. Wenn es auf eine „neoliberale“ Variante hinausliefe, dann wäre das so. Was veränderte eine „Eroberung der Produktion“ an dem heutigen Kriterium der Einkommenserzielung durch Erwerbstätigkeit? Nichts. Darauf aber zielt ein BGE ab, genau dies in Frage zu stellen.
Weiter heißt es:
„‚Fülle ist, so verstanden, nichts was jenseits einer bestimmten technologischen Schwelle läge, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis: Es beruht auf dem Prinzip, dass in keiner Beziehung, die man zu anderen unterhält, die Fähigkeit, die eigene Existenz zu sichern, auf dem Spiel steht.‘ (S. 143) Auf Basis einer Ökonomie in Gemeineigentum könne man die Arbeitszeit um zwei Drittel reduzieren. An die Stelle von Lohnarbeit habe die freiwillige Arbeitsteilung zu treten. Angebot und Nachfrage nach Arbeit sollten sich über die Länge der Arbeitszeit regulieren, die man solange herabsetzen müsse, bis sich eine Person findet, welche die entsprechende Aufgabe übernimmt.“
Benanav scheint der Existenzsicherung und ihrer Unverfügbarkeit großes Gewicht zu geben. Sie führt ihn womöglich dann zu einer Reduzierung der Arbeitszeit, ohne aber den normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit in Frage zu stellen. Wenn aber Einkommenserzielung direkt von Erwerbstätigkeit abhinge, wie würde die Existenz dann gesichert werden? Aus diesem Spannungsverhältnis gelangt man ohne BGE nicht hinaus, deswegen verwundert es, weshalb er es ablehnt und welche Zweifel er daran formuliert. Denn die gelten für viele andere Vorhaben gleichermaßen – auch sein eigenes, es müsste sich ja zu erst einmal durchsetzen.
Benanavs Buch, das auf zwei Artikeln aufzubauen scheint, die mit „Automation and the Future of Work“ (PDF beider Artikel in der New Left Review) übertitelt waren, tauchen Sorgetätigkeiten nicht auf. Dort setzt er sich mit der Diskussion um ein Universal Basic Income auseinander, ausführlicher, als es in der Besprechung scheint. Deswegen kommentiere ich hier Auszüge (aus dem zweiten Beitrag in der Datei, S. 133 f.):
„In its egalitarian forms, ubi has many attractive aspects. Even a minimal net redistribution can be welcomed on its own terms, above all if it goes some way to alleviate the stress of poverty and its associated mental and physical ailments. Combined with a global carbon tax, ubi could play a role in mitigating climate change, providing a partial panacea for the job losses incurred through a transition to renewables. To evolve from a technocratic fix to an emancipatory project, however, ubi would have to do more: it would have to empower individuals to fight for dramatic social change.“
Der letzte Satz ist entscheidend. Wovon hängt es ab, ob Individuen sich für diese Veränderung einsetzen, sie auf sich nehmen? Kann man sie dazu „bringen“, es zu tun? Wie sollte das in einer Demokratie möglich sein, ohne an ihren Grundfesten zu rütteln (siehe auch hier), schließlich ist sie keine volkspädagogische Erziehungseinrichtung? Benanav scheint überhaupt nicht zu sehen, dass ein Engagement von der Bereitschaft, sich zu engagieren, abhängt. Wenn sich Bürger nicht engagieren wollen jenseits der existierenden Wege und Verfahren, lässt sich dagegen nichts anderes unternehmen, als eine öffentliche Diskussion anzuzetteln. Direkt daran anschließend schreibt er:
„There are reasons to doubt that ubi will have that effect. To begin with the flourishing communities that ubi proponents invoke: in itself, giving people money will not revitalize communities. As Marx and Engels argued in the Communist Manifesto, the expansion of the cash economy tends to melt ‘all fixed, fast-frozen relationships’ into air. This is because money allows people to meet their needs without relying on the communities of which they form a part; it therefore tends to erode their collective organizational capacities.“
Sich auf Marx und Engels zu berufen ist für einen empirisch arbeitenden Sozialwissenschaftler doch etwas wenig. Was könnte er vor Augen haben, vielleicht die Kommodifizierung von nicht warenförmigen Beziehungen? Hieraus könnte noch ein treffender Einwand insofern gemacht werden, wenn er denn das BGE träfe, doch das ist nicht der Fall, denn es zeichnet sich gerade dadurch aus, nicht als Gegenleistung für eine Vorleistung bereitgestellt zu werden und auch kein anderes Ziel zu haben als die Absicherung des Individuums. Ein BGE ist also Ausdruck von Zugehörigkeit. Es würde gerade aufgrund dieses Charakters die Eigenständigkeit dieser Form von Beziehungen, die um ihrer selbst willen und um der „community“ selbst willen existieren, bestärken. Es wäre auch eine Konsequenz daraus, dass es Güter und Dienste gibt, die eingekauft werden müssen, um über sie verfügen zu können. Interessant ist darüber hinaus, dass Benanav im Umkehrschluss behauptet, soziale Kohäsion entstehe bzw. erhalte sich durch die durch Geld als gesellschaftliches Verhältnis vermittelte Abhängigkeit. Die anderen Abhängigkeiten, wie zuvor beschrieben, sind jedoch viel tiefgreifender. Dass nun gerade Sozialbeziehungen, die wie für Erwerbstätigkeit charakteristisch sind (also rollenförmige), sozialen Zusammenhalt stiften sollen, ist zwar eine verbreitete Auffassung, wird darum aber nicht angemessener (siehe hier und hier).
„What of the further claim that a ubi would empower workers in confrontations with their bosses? This is putting the cart before the horse: in order to win a ubi large enough to alter social relations, workers would first need to be empowered. A still deeper concern is that, even if ubi did give people a greater capacity to stand and fight, it is not clear that it presents a viable pathway toward broader emancipatory goals.“
Hier zeigt sich noch einmal, was oben schon zu erkennen war. Wie will Benanav es bewerkstelligen, to „empower“ „workers“, ohne ihnen zuvor Handlungsmöglichkeiten zu schaffen, wie das BGE es täte? Will er etwa Empowerment-Kurse einführen? Wer entscheidet, welche „goals“ emanzipatorisch sind? Hier geht es doch um einen Willensbildungsprozess, der sich nicht dekretieren lässt. Womöglich bietet das Buch, aus dessen Besprechung ich oben zitiert habe, andere Einsichten. Was die Einblicke hier erkennen lassen, ist ein softer Paternalismus statt „empowerment“ durch die Eröffnung von Handlungsmöglichkeiten für jeden Einzelnen zu jeder Zeit über die gesamte Lebensspanne.
Dass die Diskussion zu etwaigen Folgen der Automatisierung nicht selten in Kaffeesatzleserei mündet, habe ich schon öfter kommentiert. Für die Debatte um ein BGE ist die enge Verquickung beider bedauerlich, weil sie den Blick verengt. Die Relevanz eines BGE hängt davon nicht ab, sie ist unabhängig von etwaigen Folgen der Digitalisierung. Gleichwohl aber kann man sich fragen, inwiefern die heutige Sorge um Automatisierungsfolgen die Nutzung von Technologien hemmt, dafür gibt es schon länger Hinweise.
Dass die Aussage des Titels nicht so klar ist, dazu siehe frühere Beiträge hier „Geht der Gesellschaft die Arbeit aus?“, hier „Automatisierung“ und hier „Digitalisierung“.
Sascha Liebermann