In der jüngsten Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung schreibt Ralph Bollmann angesichts des gescheiterten Volkentscheides zum Grundeinkommen in Berlin darüber, wie sich die Lage verändert habe. Während vor vielen Jahren in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ein BGE attraktiv erscheinen konnte, um den Zwängen des Arbeitsmarktes auszuweichen, sei es heute ganz anders. Der Mangel an Arbeitskräften nehme dieser Idee ihre Bedeutung und sie berge sogar die Gefahr, den Mangel noch zu verstärken (siehe einen früheren Kommentar von mir dazu hier). Dass es noch immer eine erhebliche Arbeitslosigkeit gibt, auch Langzeitarbeitslosigkeit, erwähnt Bollmann nicht.
In der Tat spielte die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit eine große Rolle in der BGE-Diskussion seit der Jahrtausendwende, immer wieder wurde sie als entscheidender Grund angeführt, um ein BGE einzuführen, denn das Versprechen der Vollbeschäftigung (siehe auch hier) sei nicht mehr erreichbar. Belegt wurde das z. B. mit dem Sinken des Arbeitsvolumens, rekurriert wurde hierbei auf den deutschen Arbeitsmarkt, international stellte sich das schon anders dar. Diejenigen allerdings, die dieser These entgegentraten, taten es nicht minder verkürzt (siehe z. B. hier), wenn die Gründe für das Sinken des Arbeitsvolumens als unklar erklärt werden, die Entwicklung seit dem 19. Jahrhundert immer neue Arbeitsplätze habe entstehen lassen und es keinen Zweifel gebe, dass dies wieder so sein werde. Durch die Digitalisierung bekam die These vom „Ende der Arbeit“ neuen Wind in die Segel und es folgte eine Kaffeesatzleserei darüber, wie es sich denn nun verhalten werde und wozu die Digitalisierung führe (siehe auch hier und hier). Sicher, wenn das Arbeitsvolumen (es geht hierbei nur um Erwerbstätigkeit, nicht um unbezahlte Arbeit) tatsächlich sänke, würde das BGE einen guten Dienst leisten; wenn es nicht sänke aber ebenso.
Es war diese Verkürzung auf Arbeitslosigkeit und Arbeitsvolumen, auf die Folgen der Automatisierungsmöglichkeiten, die zu einer Engführung der BGE-Diskussion führte und nun Ralph Bollmann zu dem Schluss veranlasst, es habe seine Attraktivität verloren. Dabei spielt die Entwicklung des Arbeitsmarktes für die Frage, ob ein BGE eine angemessene Antwort auf die Herausforderungen der Gegenwart darstellt, eine nachgeordnete Rolle im oben genannten Sinn. Eine andere Frage ist die entscheidende, die ein BGE aufwirft, und zwar danach, ob die Kriterien, nach denen Einkommen erzielt werden soll (Norm), angemessen sind angesichts der vielfältigen Aufgaben, die sich in einem Gemeinwesen stellen. Soll das so bleiben oder soll Einkommen mit anderen Gegenleistungsverpflichtungen einhergehen wie z. B. einem Gemeinwohldienst (siehe auch den Vorschlag eines participation income) oder vielmehr an einen Zugehörigkeitsstatus wie Statusbürgerschaft bzw. Aufenthaltstitel? Letzteres erst erlaubte, die Existenzsicherung vom Gegenleistungsprinzip im Sinne einer spezifischen Tätigkeit zu lösen und machte die Zugehörigkeit zum Kriterium der Existenzsicherung. Auf diese Weise würde sowohl der Status und nicht die Leistung entscheidend für die Absicherung als auch der Möglichkeitsraum erheblich erweitert, Aufgaben wahrzunehmen, die der Einzelne als wichtig und richtig erachtet.
Sascha Liebermann