„Was machen die eigentlich“…

…so lautet der Titel des Beitrags von Anna Mayr und Mark Schieritz (Bezahlschranke) auf Zeit Online zur Diskussion um das Bürgergeld, die Gründe für den Leistungsbezug und Problemlagen der Bezieher, die in der öffentlichen Debatte häufig übergangen werden.

Die (nicht neue) Aufschlüsselung der Zahlen zum Bürgergeldbezug, die die Autoren vornehmen, zerschlägt schon einmal viele Vorurteile, die kursieren, das ist hilfreich – auch wenn sie fortbestehen mögen, die Vorurteile. Auf das vermeintliche Missverhältnis offener Erwerbsarbeitsplätze und erwerbsfähiger Leistungsbezieher wird eingegangen, so dass deutlich wird, weshalb beide Seiten nicht einfach miteinander verglichen werden sollten.

All die vielfältigen Problemlagen oder auch Kollisionen zwischen verschiedenen Herausforderungen, die sich den Beziehern stellen und die im Beitrag erwähnt werden, sind keineswegs neu, nur weil das Bürgergeld neu ist. In der Armutsforschung hat man sich mit solchen Fragen durchaus befasst und die schon vor mehr als zwanzig Jahren veröffentliche Studie von Ronald Gebauer, Hannah Petschauer und Georg Vobruba  („Wer sitzt in der Armutsfalle?“) hatte genau das zum Gegenstand, nämlich zu verstehen, weshalb der Leistungsbezug – damals ging es um Sozialhilfe – auch länger andauern kann (Literaturhinweis, siehe hier und unten). Im Unterschied zu vielen Studien, die meist nur auf der Basis standardisierter Daten, auch entsprechender Befragungen, durchgeführt werden, und denen damit der Blick für die konkrete Lebenswelt einer Person verschlossen bleiben, wurden im damaligen Projekt nicht-standardisierte Forschungsgespräche ebenfalls genutzt. Sie erlauben es, die sehr konkreten Konfliktlagen, in denen sich Bezieher befinden, genau zu rekonstruieren und damit zu verstehen, weshalb ein Leistungsbezug sinnvoll und eine längere Dauer auch vernünftig ist, auch wenn das in der öffentlichen Debatte schnell untergeht. Auf diese Weise versteht man die Dynamik der Lebenslage, in der sich jemand befindet, erheblich besser und könnte daraus auch entsprechen Schlüsse für die Sozialpolitik ziehen.

Schon damals war allzu deutlich, wie wenig die öffentliche Debatte von solchen Einsichten wissen will und stattdessen lieber Vorurteile pflegt, statt sich mit der gebotenen Sachlichkeit damit zu befassen.

Literatur:
Zur Kritik des Armutsfallentheorems“ (Ronald Gebauer und Hanna Petschauer)

Die Arbeitslosigkeitsfalle vor und nach der Hartz-Reform“ (Georg Vobruba und Sonja Fehr)

Fordern statt Fördern? – Nein! Wege aus Arbeitslosigkeit und Armut erleichtern“ (Ronald Gebauer)

Arbeit gegen Armut. Grundlagen, historische Genese und empirische Überprüfung des Armutsfallentheorems“ (Ronald Gebauer)

Sascha Liebermann