Diese Frage stellt sich anlässlich eines Beitrages von Alexander Hagelüken in der Süddeutschen Zeitung, denn er stellt sie nicht. Sein Beitrag beruft sich auf Daten einer Befragung von Unternehmen, in der nicht nur zukünftige Entwicklungen Gegenstand waren (bis 2021), sondern auch vergangene (ab 2016). Aus dem Beitrag:
„Die unveröffentlichte Untersuchung setzt sich ausführlich mit den vielen negativen Prognosen auseinander. Forscher wie Jeremy Bowles, Mika Pajarinen sowie Michael Osborne und Carl B. Frey beziffern in unterschiedlichen Studien 40 bis 60 Prozent der europäischen und amerikanischen Arbeitsplätze als automatisierbar. Das bedeutet aber nicht, dass unterm Strich ebenso viele Menschen arbeitslos werden, argumentiert das ZEW. Zum einen ermitteln andere Forscher etwa für Deutschland nur ein Automatisierungsrisiko von zwölf bis 15 Prozent. Zum anderen ersetzen Betriebe aus verschiedenen Gründen nicht alle Mitarbeiter, bei denen es technisch möglich wäre.“
Handelt es sich um Vollzeit- oder um Teilzeitstellen? Worauf stützen sich die Auskünfte, wenn es sich um eine Befragung handelt? Gab es verlässliche, überprüfbare Angaben? Das müsste man wissen, um die Schlussfolgerungen einschätzen zu können. Was daraus allerdings in keiner Weise hervorgeht, ist, ob denn Automatisierungsmöglichkeiten offensiv und radikal oder eher defensiv genutzt werden. Wird, was automatisierbar ist, auch automatisiert? Könnten womöglich noch mehr Stellen substituiert werden?
Wie komme ich darauf, dass dies der Fall sein könnte? Ganz einfach, Entscheidungen werden nie im luftleeren Raum getroffen, sie beruhen auf Überzeugungen und normativen Deutungen von Handlungsmöglichkeiten. Wenn, wie z. B. in der deutschen Diskussion, Arbeitsplätze einen solch hohen Stellenwert besitzen, dass sie schon beinahe als schützenswertes Gut erscheinen („Beschäftigung sichern“), werden die Folgen möglicher offensiver Automatisierung als nicht ohne weiteres erwünscht betrachtet. Von einer Wertbindung in diesen Fragen sind auch die Führungsebenen von Unternehmen nicht frei (siehe hier und hier). Es wäre also denkbar, dass Automatisierungsmöglichkeiten eher defensiv genutzt werden. Aus Befragungen wird das kaum in Erfahrung zu bringen sein, weil es den Akteuren meist nicht bewusst ist (siehe hier), wie stark ihre Entscheidungen normativ geleitet sind.
Hagelüken schreibt weiter:
„Ob die neue Technik dann Jobs vernichtet, hängt vor allem von zwei Fragen ab: Schafft die Digitalisierung zusätzliche Tätigkeiten und Umsatz für die Firmen? Dafür gibt es Anzeichen. Steigert sie die Produktivität, sodass Preise sinken und Kunden Geld für anderes übrig haben? Das ist ungeklärt, am prominentesten bezweifeln es US-Ökonomen wie Daron Acemoğlu und Robert Gordon. Ulrich Zierahn bleibt optimistisch: „Die prognostizierte Massenarbeitslosigkeit aufgrund des technologischen Wandels ist unwahrscheinlich“.“
Ja, unwahrscheinlich, das mag sie sein, darauf lassen sich allerdings keine Entscheidungen gründen, die heute zu treffen wären. Folgende Grafik über die Entwicklung des Arbeitsvolumens insgesamt und der Arbeitszeit je Erwerbstätigen lässt erkennen, dass letztere abgenommen, erstere zugenommen hat, sie erreicht wieder das Niveau von 1991(!).
Teilzeiterwerbsverhältnisse haben relativ an Bedeutung gewonnnen, was wiederum – je länger, desto mehr – Folgen für Ansprüche an Arbeitslosen- wie Rentenversicherung hat.
Zur Arbeitsmarktstatistik und atypischer Beschäftigung siehe auch diesen Beitrag von Stefan Sell.
Was hat das alles mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen zu tun? Obwohl es von der Arbeitsmarktsituation ganz unabhängig ist, könnte die Konstellation weitere Argumente für ein BGE liefern, denn die Vorrangstellung von „Beschäftigung“ führt zu einer Zurücksetzung von Leistung und greift damit das Fundament des heutigen Wohlstandes an. Wir wissen nicht, welche Leistung gar nicht erst entsteht oder im Entstehen gehemmt wird („Opportunitätskosten“), da sie nicht in Erscheinung tritt. Das gilt eben auch für Automatisierung, wir können nicht genau sagen, wie defensiv oder offensiv automatisiert wird, doch gibt es Anzeichen für ersteres. Das könnte ein BGE beheben, weil es zu einer normativen Umwertung führte, Beschäftigung nicht mehr über Leistung stünde.
Sascha Liebermann