Christoph Schlee bietet zwei neue Filme zum Grundeinkommen an. Die CDs können bei Allmende-Film bestellt werden.
Autor: Sascha Liebermann
„Ausbildungsbonus“ – weshalb einfach, wenn es auch abwegig geht?
Wieder einmal denken sich unsere politischen Repräsentanten komplizierte „Anreizsysteme“ aus, um Unternehmen dazu zu ermuntern, Arbeitsplätze zu schaffen. War es im letzten Jahr die Initiative 50 Plus, soll nun durch einen Ausbildungsbonus (FAZ, 22. Juni, Wirtschaftsteil) für Unternehmen, also eine zweckgebundene Subvention, darauf Einfluß genommen werden, daß Jugendliche mit niedrigen Qualifikationen und ohne Schulabschluß mehr Chancen am Arbeitsmarkt erhalten. Auch Paten soll es geben, vielleicht ältere Arbeitslose, die Jugendlichen beratend zur Seite stehen. Ob dies alles wohl freiwillig geschehen soll, ob den Arbeitslosen dabei die Wahl gelassen wird, ob sie es überhaupt wollen? Ob denn die Jugendlichen gefragt werden, ob sie es wollen? Angesichts der Hartz-Maschinerie sind Zweifel angebracht.
Sogleich hat der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) diesen Vorschlag, laut FAZ, kritisiert. Es mangele an Qualifikation der Jugendlichen. Anstelle eines solchen Bonus sollten Jugendliche lieber gefördert werden. Ja, ganz recht, aber wie? Da hilft es wenig, wenn die Bundesbildungsministerin fordert, die Zahl der Schulabbrecher müsse reduziert werden.
Welche Chancen bieten wir Jugendlichen denn? Wird Bildung als Selbstbildung verstanden oder soll nur der Nürnberger Trichter je mehr zum Einsatz gelangen, desto mehr er versagt? Seit Jahren folgt die Bildungspolitik – trotz der PISA-Ergebnisse – der Maxime: Anpassung fördern, Individualentwicklung verhindern, Neugierde abtrainieren. Statt auf Neugierde und Interesse bei Schülern und Studenten zu vertrauen und jeden Unterricht, jede Lehre zu ihrer Förderung zu nutzen; statt Erfahrung zu ermöglichen, die von der Bereitschaft des Einzelnen, sich auf sie einzulassen, ihren Ausgang nimmt, zentralisieren wir, entwickeln rigide Lehr- und Studienpläne (Zentralabitur, gestufte Studiengänge). Nicht Bildung, also Vielfalt, wollen wir ermöglichen – wir wollen sie erzwingen. Die Schrauben der Bildungssortiersysteme werden angezogen – Individualentwicklung also durch Zwang und Druck? Als wüßten wir nicht, als könnten wir nicht wissen, wenn wir wollten, daß nirgends Bildungsbemühungen weniger Erfolg haben als dort, wo Bildung erzwungen wird.
Ein Tor, wer glaubt, mit Zwang und Druck könnten wir unsere Probleme lösen. Lehrt uns das Leben nicht, daß dort sich Neues entwickelt, wo Neugierde und Begeisterung, wo Initiative gefördert werden?
Ein bedingungsloses Grundeinkommen (bGE) ist eine einfache, eine wirkliche Antwort auf die Sorgen unserer Zeit. Jugendliche könnten sich frei entwickeln, sich Orte und Personen suchen, von denen sie lernen wollen. Geht heute Druck von der Lage am Arbeitsmarkt aus, würde dieser Druck der Chance der Freiheit weichen. Eine Freiheit, die Anstrengungen erfordert, von jedem – sie ist kein Paradies, sondern eine Zumutung. Jeder aber könnte sein Leben nach seinen Neigungen und Interessen, nach seine Fähigkeiten und Möglichkeiten gestalten – ein Leben in Würde, nicht in Überwachung durch die Hartz-Maschinerie wäre möglich. Da ein bGE den Lohn von der Aufgabe befreite, die Existenz zu sichern, wären Auszubildende für Unternehmen günstiger als heute, ohne daß sie weniger Einkommen zur Verfügung hätten. Das gälte für alle Arbeitnehmer. Sie müßten sich aber gar nicht am Arbeitsmarkt orientieren, könnten Ausbildungen auch jenseits davon absolvieren und sich bürgerschaftlich engagieren. Wo ein Meister ist, ist auch ein Schüler – dazu bedarf es keiner Organisation.
Ein solches Grundeinkommen spricht den Einzelnen Vertrauen aus, wir – die Bürger – sprächen es jedem aus. Interessierte Schüler, Auszubildende und Studenten würden die heutige und erst recht die auf uns zukommende Wirklichkeit der Bildungseinrichtungen fliehen, Einrichtungen, die Bildung verhindern. Statt die Entstehung von Neuem zu fördern und zu initiieren, ist Wissensverwaltung ihr neuer Zweck.
Weshalb abwegig, wenn es auch einfach geht: das bedingungslose Grundeinkommen weist den Weg. Wir müssen ihn nur gehen.
Sascha Liebermann
Paternalismus in zwei Kleidern – Kurt Beck und die Marktliberalen
Künstlich baut Kurt Beck in seinem Beitrag „Das soziale Deutschland“ (FAZ, 11. Juni, S. 10) einen Gegensatz zwischen der SPD und dem sogenannten Neoliberalismus der CDU auf. Vergessen gemacht werden soll wohl, wer die Politik der letzten Jahre maßgeblich geprägt hat: die SPD. In einer Reaktion auf Becks Beitrag hat Gerald Braunberger (FAZ, 12. Juni, S. 15) zurecht auf dessen verzerrte Darstellung des Neoliberalismus hingewiesen. Er hält nämlich, in der frühen ordoliberalen Gestalt, das staatliche Ordnungsgefüge für unerläßlich, um eine Marktwirtschaft zu ermöglichen.
Bei aller Kritik daran allerdings sind sich Beck und Braunberger auch einig, wie folgende Zitate zeigen:
Beck: Erwerbsarbeit ist es, die aus Armut und dauerhafter Ausgrenzung herausführt. Sie verschafft Anerkennung und Selbstwertgefühl, und sie öffnet den Weg in ein selbständiges Leben, und: Wer seine Zukunft durch eigene Anstrengung erst gewinnen muß, der spürt, welches Gewicht die Forderung nach gleichen Rechten hat. Nicht Besitz darf den Ausschlag geben, sondern die immer neue Chance des Erwerbs, nicht Ort oder Status der Geburt dürfen entscheiden, sondern allein die immer offene Perspektive eines tätigen Lebens.
Braunberger: Der neoliberale Staat ist allerdings eines nicht: eine Umverteilungsmaschine, deren Vertreter meinen, die Bürgersolidarität sei umso höher, je mehr Geld dem einen zwangsweise genommen und dem anderen gegeben werde. Er ist einer, der Freiheitsrechte innerhalb der von ihm gesetzten Ordnung respektiert, aber keiner, der den Menschen in paternalistischer Manier vorschreiben will, wie sie zu leben haben.
Worin unterscheiden sich beide Ausführungen? Doch nur darin, wie die Erwerbsverpflichtung realisiert werden soll, nicht aber darin, daß sie beibehalten werden muß. Beide wollen also gleichermaßen paternalistisch definieren, worin ein Beitrag zum Gemeinwesen besteht.
Erstaunlich ist an Becks Ausführungen, wie geschmeidig er einige der Schlagworte und Thesen aufgreift, die sonst von Befürwortern eines bedingungslosen Grundeinkommens gebraucht werden. Daran wird deutlich, wie genau in der voranschreitenden Grundeinkommensdiskussion hingeschaut werden muß, um einzuschätzen, was jemand vertritt (vgl. Enno Schmidt zu Straubhaar).
Einerseits spricht Beck von dem Willen der Einzelnen, einen Beitrag zu leisten – dann müssen sie folgerichtig nicht dazu gedrängt werden, wie es heute geschieht. Andererseits äußert er auch folgendes: Die demokratische Gesellschaft ist auf die aktive Beteiligung aller ihrer Bürgerinnen und Bürger gegründet. Sie entspricht damit dem Bedürfnis nach sozialer Gerechtigkeit, das man auch auf die Formel „Mitarbeiten und Mitbestimmen“ bringen könnte.
Gerade der letzte Teil ist undemokratisch, weil er Mitbestimmung von Mitarbeit abhängig macht. Es heißt ja nicht „Mitbestimmen und Mitarbeiten“, Beck dreht die Reihenfolge um, aus Demokratie und Selbstbestimmung der Bürger wird eine Erwerbstätigengesellschaft. Der nächste Schritt wäre, eine vorübergehende Einschränkung der Bürgerrechte dort vorzusehen, wo ein Bürger sich dauerhaft der Erwerbsarbeit verweigert. Nun könnte man hier unterstellen, die sei eine bösartige Deutung, doch letztlich ist damit wörtlich genommen und konsequent weitergedacht, was in der zitierten Passage zum Ausdruck kommt. Vollwertiger Bürger ist in dieser Vorstellung nur der Erwerbstätige. Mit dieser Haltung läßt sich die sanktionierende Sozialpolitik à la Hartz IV sehr gut rechtfertigen.
Deutlich wird dies auch in der einzigen Passage, in der Beck sich zum bedingungslosen Grundeinkommen äußert: Ich finde es gar nicht so rätselhaft, daß von Marktradikalen bis zu Postkommunisten ein fauler Kompromiß über ein sogenanntes „bedingungsloses Grundeinkommen“ geschlossen wird. Durch Besitz Begünstigte drängen darauf, gering belastet und von der Gesellschaft in Ruhe gelassen zu werden. Das ist die übliche Abwehr, doch „in Ruhe gelassen“ – und zugleich ermutigt – würden alle. Die positive Seite der Ermöglichung, die auch Becks Vorstellung eines „vorsorgenden Sozialstaats“ innewohnen müßte, wäre mit dem bGE auf einfache Weise wirkungsvoll erreicht.
Weiter heißt es: Die anderen nehmen es hin, daß die Schwächeren nur noch alimentiert und damit abgespeist und ausgegrenzt werden. Das Ergebnis wäre sicher nicht die klassenlose Gesellschaft, sondern eine Spaltung Deutschlands in einen produktiven und einen stillgelegten Teil.
Wie ließe sich jemand ausgrenzen und abspeisen, der durch das bGE in die Lage versetzt würde, sein Leben in die Hand zu nehmen, zu jeder Zeit, für jede ihm wichtige Sache oder Person? Daß auch Beck, wie schon andere Kritiker (Daniela Schneckenburger, Oswald Metzger [beide Die Grünen]; Andrea Nahles, SPD) vor ihm, davon ausgehen, Bürger ließen sich stillegen, ist bezeichnend: So kann nur denken, wer den Menschen gar nichts zutraut und glaubt, zu allem bedürften sie einer fürsorglichen Betreuung. Hatte Beck dem nicht gerade an anderer Stelle widersprochen? Sein vorsorgender Sozialstaat ist ein bevormundender Betreuungsstaat, das ist gewiß.
Obwohl Beck auch solche Dinge sagt: Leistungsträger sind doch nicht nur Besserverdiener, sondern oft gerade die kleinen Leute in ihrem Beruf, in ihrer Nachbarschaft, in ihrem Verein und ihrer Familie – besteht kein Zweifel, für welche Zukunft er steht. Im Unterschied zu anderen Mitgliedern der SPD, wie im Kreisverband Rhein-Erft, nimmt er die Freiheit der Bürger nicht ernst, würde er sonst entsprechende Vorschläge unterbreiten und das bGE in seinen Chancen erkennen. Was er und auch seine Kritiker vorschlagen, ist doch nur eine Fortsetzung der aktivierenden entmündigenden Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik mit anderen Vokabeln. Auch damit unterschätzen beide die mündigen Bürger, die das bemerken.
Sascha Liebermann
Bedingungsloses Grundeinkommen – Hörbücher des Kongresses in Kassel
Die Firma Sonnenweb.de hat den Kongreß zum bedingungslosen Grundeinkommen, der Anfang Juni im Anthroposophischen Zentrum in Kassel stattfand, aufgezeichnet. Zu jeder Veranstaltung gibt es einen Mitschnitt als CD. Die Referenten sind sehr gut, Fragen aus dem Publikum sind weniger deutlich zu verstehen.
Grundeinkommen für alle – Thomas Straubhaar
Enno Schmidt (Initiative Grundeinkommen Basel) hat einen Kommentar zur jüngsten Veröffentlichung von Thomas Straubhaar verfaßt. In diesem Beitrag widmet er seine Aufmerksamkeit der Frage, ob nicht in der Argumentation HWWI-Direktors das Grundeinkommen als Spar-Modell gedacht ist.
SPD Rhein Erft für bedingungsloses Grundeinkommen
Im Sommer 2006 wurden wir zweimal von der SPD Rhein Erft zur Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeladen. Nun hat der Kreisverband sich dafür ausgesprochen, das bGE ins Grundsatzprogramm der SPD aufzunehmen. Ein Bericht zum Parteitag findet sich hier.
Mönchengladbach: Gespräche zum Grundeinkommen – ab 24. Juni
Auf dem Vorplatz des Museum X finden ab 24. Juni Gespräche zum Grundeinkommen statt.
Programm:
Sonntag 24. Juni
12:00 Feierliche Einweihung des Forums
anschließend
Inszenierung / Gespräche zum Grundeinkommen
DU SOLLST DEIN BROT IM SCHWEISSE DEINES ANGESICHTS ESSEN?
Montag 25. Juni
18:00 Inszenierung / Gespräche zum Grundeinkommen
WELCHE BEDEUTUNG HAT ARBEIT FÜR MEIN LEBEN?
Dienstag 26. Juni
18:00 Gespräche zum Grundeinkommen
ARBEITSKRAFT = WARE?
20:00 Vortrag
WAHRHEIT PHANTASIEREN
(WIR STEHEN AUF DEN SCHULTERN VON RIESEN)
Wem gehört das Wissen? Was produziert ein Künstler – gesellschaftlich gesehen?
Gespräch mit Hinrich Sachs, Künstler und Autor, lebt in Basel, und Matthias Spielkamp, freier Journalist mit den Spezialgebieten Immaterialgüter, Recht und Regulierung der Informationsgesellschaft, lebt in Berlin
Mittwoch 27. Juni
18:00 Gespräche zum Grundeinkommen
ASSOZIATIONEN ODER WIE ENTSTEHT SOZIALE PREISBILDUNG
Donnerstag 28. Juni
18:00 Gespräche zum Grundeinkommen
DER BÖSE NACHBAR – MEINE BEIDEN MENSCHENBILDER
Freitag 29. Juni 18:00 Inszenierung / Vortrag
FREIHEIT STATT VOLLBESCHÄFTIGUNG – DAS BEDINGUNGSLOSE GRUNDEINKOMMEN ALS CHANCE UNSERER ZEIT
Vortrag von Sascha Liebermann
Samstag 30. Juni
18:00 Inszenierung / Gespräche zum Grundeinkommen
WIR SIND DER SOUVERÄN!
Sonntag 01. Juli
18:00 Inszenierung / Gespräche zum Grundeinkommen
WIE GEHT ES WEITER?
Initiatoren: Florian Dietrich, Hannes Weiler
Skulptur: Florian Dietrich, Jochen Weber
Schauspiel: Jörg Petzold
Regie: Hannes Weiler
Gespräche zum Grundeinkommen: Florian Dietrich, Roland Hoffmann,
Tanja Roebrock, Wolfgang Schneider
Aktuell: Diskussion zum bGE am 12. Juni in Dortmund
Am 12. Juni, um 16 Uhr, wird Sascha Liebermann einen Vortrag zum bedingungslosen Grundeinkommen an der International School of Management (ISM) in Dortmund halten. Nähere Informationen hier.
Blinde Flecken in der feministischen Diskussion zum Grundeinkommen
Ute Fischer hat einen Beitrag verfaßt, der sich mit der feministischen Diskussion um ein Grundeinkommen beschäftigt. Er ist hier erhältlich.
Freiheit statt Vollbeschäftigung – Übersetzungen ins Spanische
Nun sind unsere „Häufig gestellten Fragen“ und eine „Kurzdarstellung“ zum bedingungslosen Grundeinkommen ins Spanische übersetzt worden. Vielen Dank an Edina Sabanovic und Cristian Perez Munoz (Uruguay).