Selbstbestimmung mit oder ohne Bedürftigkeit und Folgen des erwerbszentrierten Sozialstaats,…

…das charakterisiert die folgende Äußerung Stephan Strackes, arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, am Ende einer Pressemitteilung:

„Das Versprechen unseres Sozialstaates besteht nicht in einem bedingungslosen Grundeinkommen. Vielmehr besteht das Versprechen unseres Sozialstaats darin, die Menschen aus der Bedürftigkeit zu holen und sie darin zu unterstützen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Daran gilt es festzuhalten.“

Zwar ist es richtig, wenn er sagt, dass der bestehende Sozialstaat zum Ziel hat „die Menschen aus der Bedürftigkeit zu holen“, die Frage ist nur, woraus sich dieses Versprechen ergibt? Im Grundgesetz ist davon keine Rede, ebensowenig enthält es eine Erwerbsobliegenheit. Alle „Staatsgewalt“ geht eben gerade nicht von den Erwerbstätigen aus, sie geht vom „Volke“ (Art. 20 GG) aus und das Volk sind die Staatsbürger (Art. 116 GG). Das hierin enthaltene Souveränitätsprinzip würde also vielmehr einen Sozialstaat verlangen, der die vorbehaltlose Sicherung des Existenzminimums zum Ziel haben müsste, um die Entscheidungsfähigkeit der Bürger ebenso vorbehaltlos abzusichern. Von dort aus müsste alles weitere folgen. Das leistet der Sozialstaat heutiger Art jedoch nicht.

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„Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens birgt große Potentiale“,…

…allerdings wird hier noch zu sehr ein BGE vor dem Hintergrund begründet, welche Leistungen es ermöglicht und nicht die Anerkennung der Bürger um ihrer selbst willen und um des Gemeinwesens willen der entscheidende Punkt ist, der sich aus den Grundfesten der Demokratie begründen lässt. Dazu benötigt es keinen „neuen Gesellschaftsvertrag“, denn politisch ist die Verfasstheit dafür, ein BGE einzuführen, längst gegeben – das Grundgesetz kennt keine Erwerbsobliegenheit. Dass aus dieser Anerkennung dann sich all die anderen Möglichkeiten ergeben, als Folge, nicht als Ausgangspunkt, ist unstrittig. Die Reihenfolge ist allerdings wichtig, denn Würde kann nicht erworben werden.

Sascha Liebermann

Sagt das nun etwas über ein BGE oder über manche Diskussionen darüber?

Seit über ein Bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert wird, schallt ihm der Vorwurf entgegen, es solle die Lösung für alle Probleme sein und sei deswegen unrealistisch oder gar naiv. Obwohl seit Jahren Befürworter hervorheben, dass es kein Allheilmittel ist, in etlichen Abhandlungen dies ausgeführt wird, erfreut sich dennoch dieser Vorwurf großer Beliebtheit. Selbst wenn es Befürworter gibt, die die Hoffnung auf eine einfache Lösung haben, hat das mit der Idee eines BGE nichts zu tun, die Hoffnung bezeugt nur den Wunsch nach einer einfachen Lösung. Selbst wenn mit einem BGE der gesamte Sozialstaat ersetzt werden soll, solche Befürworter gibt es, folgt dies nicht aus einem BGE, sofern man sich an den etablierten Kriterien orientiert, z. B. des Basic Income Earth Networks oder des Netzwerks Grundeinkommen. Folgt man der Systematik, die die Kriterien miteinander verbindet, ergeben sich Schlussfolgerungen, die naheliegen und andere, die abwegig sind und der Systematik entgegenstehen. Dass man einem BGE alles Mögliche anhängen kann, ist nicht ungewöhnlich, die Geschichte manchen Vorschlags kann dafür Pate stehen.

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Sinn und Zweck: Unabhängigkeit vom Auf und Ab der Meinungsschwankungen und des „Markt“-Erfolges…

…während der Legislaturperiode. Was hier für ein Mandat gilt, gälte im Falle eines BGE im Allgemeinen, zumindest solange es verteilbares Einkommen und eine entsprechende Leistungserstellung gäbe.

Wenn Vogel das so gesagt hat, wie es hier zitiert wird, fragt man sich unweigerlich, welche Vorstellung er davon hat, weshalb Bürger bereit sind, Verpflichtungen zu übernehmen – etwa nur weil sie etwas dafür erhalten? Und er als Abgeordneter – etwa weil er eine Diät dafür erhält? Dann wäre die Demokratie wirklich im Abstieg begriffen.

Sascha Liebermann

Selektives Misstrauen oder vielleicht besser gleich die Demokratie abschaffen – treffend angemerkt

„100% Paternalismus von jemandem, der sich selbst als Stimme von Freiheit & Vernunft sieht“…

…, wobei hier nicht in Abrede gestellt werden soll, dass es in der Tat Hilfekonstellationen gibt, die auf lange Sicht autonomieschwächend sich auswirken können, wenn nämlich die Herausbildung (pädagogisches Handeln) bzw. Rückgewinnung (therapeutisches, rechtspflegerisches Handeln) von Autonomie als Ziel einer Hilfe missachtet wird (wichtige Frage in Diskussion um eine Professionalisierungstheorie, siehe hier, hier und hier). Bolz müsste, wenn er konsequent wäre, in jeder Form der vorbehaltlosen Anerkennung von Autonomie, die für die Lebenspraxis so elementar ist, eine Gefahr erkennen, wenn er der Auffassung ist, ein BGE „erzeugt“ [sic] „erlernte Hilflosigkeit“, denn ein BGE vollzieht nichts anderes, als diese Autonomie grundsätzlich anzuerkennen. Wenn diese für Bolz zu einer Hilflosigkeit führe, müsste er die Grundfesten der modernen Demokratie letztlich ablehnen, was allerdings erst zu einem vorbehaltlosen Paternalismus führt, wie BGE Eisenach herausstellt.

Sascha Liebermann

„Ganz viele Menschen wollen keine staatliche Unterstützung“ meint Christian Lindner…

…, was bliebe denn, wenn „ganz viele Menschen“ auf all die Unterstützung verzichteten, die das Gemeinwesen heute organisiert und bereitstellt?

Die Frage danach, welche Form staatlichen Ausgleichs gerecht ist, ergibt sich aus der Frage, wie ernst wir es damit nehmen, dass alle Bürger gleich sind – als Bürger. Die FDP ist dahrendorfvergessen (siehe auch hier), denn die Gleichheit der Bürger verlangt auch eine Absicherung, damit sie ihre demokratischen Rechte wahrnehmen können, deswegen meinte schon Dahrendorf, ein Grundeinkommen sei konstitutionelles Anrecht. Das schließt in keiner Weise aus, dass sozialer Aufstieg möglich sein soll, setzt jedoch ganz anders an. Aufstieg ist auch eine Frage von Macht und Selbstbestimmung, verbreitet ist jedoch pädagogisierende Bevormundung und ein weltfremdes Verständnis von Unabhängigkeit.

Sascha Liebermann

Welcher „Pfeiler“? Ein zentraler Pfeiler unserer Demokratie ist die Unverfügbarkeit von Selbstbestimmung…

…in der Gemeinschaft, solange sie nicht die Selbstbestimmung anderer beschränkt oder das Gemeinwesen gefährdet. Sie ist durch Rechte abgesichert. „Auf die Beine“ kommt keiner von allein, „die Allgemeinheit“, und nicht nur sie allein, hat ihm immer schon geholfen, er kann lediglich seinen Beitrag dazu leisten. Wie er ihn aber leistet, muss seine Entscheidung sein. Man kann andere Pfeiler als wichtiger erachten oder sie als allein wichtige herausstellen, dann übergeht man andere tragende Elemente um den Preis der Entwertung der übergangenen. Böckenförde war klüger als manch demokratievergessener.

Siehe auch frühere Beiträge dazu hier, direkt zu Eisenrings Ausführungen hier.

Sascha Liebermann