Leerlaufende Abwehr – Daniela Schneckenburger (Bündnis 90/ Die Grünen) zum bedingungslosen Grundeinkommen

„Leerlaufende Abwehr“ – so könnte das Interview mit Daniela Schneckenburger, „grüne Landeschefin“ in Nordrhein Westfalen („Radikale Alternativen sind gerade attraktiv“, taz vom 1.12.2006) übertitelt werden. Anläßlich der Bundesdelegiertenkonferenz in Köln geführt, stößt man in diesem Interview zwar nicht auf interessante oder beachtenswerte Argumente gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen. Statt dessen können wir es vielmehr als Dokument dafür betrachten, wie sehr die Gegner damit ringen, sich die Idee vom Leibe zu halten.

An einer Stelle des Interviews heißt es: „…Ich halte diese Idee [des bGE, SL], wie auch Teile der Gewerkschaften, für eine Stilllegungsprämie, die endgültige Resignation vor der Arbeitslosigkeit.“ Ganz abgesehen davon, daß Menschen nicht stillgelegt werden können – es sei denn, man zählt sie zu den Überflüssigen, wie es heute zum guten reaktionären Ton gehört – ist diese Aussage bezeichnend. Sie spricht uns Bürgern nämlich die Fähigkeit ab, uns gegen Stillegungsversuche zu wehren. Was traut uns Frau Schneckenburger denn noch zu, wenn sie diese Gefahr sieht? Offenbar gar nichts, ihre Äußerung bezeugt nur eine bevormundende Haltung, die sich heute den Mantel der Fürsorge gerne umlegt und sich um unser Wohl vermeintlich sorgt – unser Wohl, das von ihr definiert wird.

Besonders deutlich wird dies, wo die Interviewerin auf die Initiative fördernde Wirkung des Grundeinkommens hinweist und Frau Schneckenburger antwortet: „…Das ist eine sehr idealistische Sicht. Machen wir uns nichts vor: In dieser Gesellschaft ist Arbeit, vor allem bezahlte Arbeit, für viele Menschen sinnstiftend. Nicht jeder Mensch hat die Fähigkeit, aus sich selbst heraus eine Betätigung zu finden…“. Wenn denn bezahlte Arbeit für viele sinnstiftend ist, dann müssen wir uns keine Sorgen darum machen, was die Bürger nach Einführung eines solchen Grundeinkommens tun werden. Aber, aus dieser Regel, in die man vertrauen könnte, folgt für Frau Schneckenburger nicht das, was naheläge. Sie stellt die Erfahrung, in der Regel engagieren sich die Bürger für ihren Beruf, auf den Kopf. Nur weil nicht jeder – also nicht alle, aber doch die meisten – in der Lage sei, aus sich heraus eine Betätigung zu finden, wäre ein solches Grundeinkommen nicht der richtige Weg. „Zwang zur Vermittlung in Arbeit“ mache „keinen Sinn“, so Frau Schneckenburger weiter. Doch, was ist denn eine Erwerbsverpflichtung anderes als Zwang, wenn man sich nur unter Inkaufnahme von Sanktionen dagegen entscheiden kann? Also, alles schönes Gerede. „Aktive Arbeitsmarktpolitik“, die ihr so am Herzen liegt, kann es genauso geben, wenn ein Grundeinkommen eingeführt wird. Werden wir sie noch benötigen? Das können wir dann sehen, wenn es so weit ist.

Die Geistesverwandtschaft mit Hartz IV fällt der Interviewerin auf. Sie fragt, worin der Unterschied zwischen Hartz IV und den Vorstellungen der Grünen bestehe. Darauf die Antwort: „Menschen ohne Arbeit brauchen mehr als Heizung, Kleidung und Essen. Sie müssen auch am gesellschaftlichen Leben teil nehmen können, ihr Kind zum Beispiel ein Instrument spielen lassen. Das Einkommen muss höher sein als das jetzige Arbeitslosengeld II.“ Tatsächlich? Eine mutige Antwort, die der Frage geschickt ausweicht, denn mit einem entsprechend hohen Grundeinkommen wäre das kein Problem.

Um zu sehen, wie weit es mit bürgerschaftlichem Denken her ist, sei zum Schluß noch eine andere Passage zitiert: „…Völlig absurd würde es, wenn – wie in manchen Konzepten gedacht – das Grundeinkommen jeder erhalten soll. Denn warum soll jemand ein Existenzminimum kriegen, der ein hohes Einkommen oder Vermögen hat?“ So spricht, wer nicht die Bürger als Bürger gleichstellen will, wer also das Grundeinkommen nicht als Bürgereinkommen betrachtet, sondern als barmherzige Gabe. Was unterscheidet denn „Vermögende“ von anderen hinsichtlich ihrer Bedeutung für unser Gemeinwesen? Nichts. Sie sind gleich. Nur wenn das bedingungslose Grundeinkommen unabhängig von den Einkommen betrachtet wird, die durch eine Leistungserbringung zusätzlich erzielt werden, ist es in seiner ganzen Bedeutung begriffen. Erst dann hätten wir uns eine freiheitliche Ordnung gegeben, die die Menschen nicht nach ihrem Einkommen bewertet, sondern danach, was sie damit tun: Investieren sie, sollten sie steuerfrei bleiben, konsumieren sie Leistungen, sollten sie besteuert werden.

Sascha Liebermann

Brüder im Geiste – die sogenannten Neoliberalen und ihre sogenannten Kritiker

„Warten auf’s Jobwunder“ so übertitelte das SWR 2-Radio einen Beitrag von Joachim Meißner über „Wirtschaftsmärchen heute“ (gesendet am 23.11.), in dem auch Rudolf Hickel, Professor an der Universität Bremen, zu Wort kam.

Rudolf Hickel ist, wie auch Albrecht Müller, ein renommierter und bekannter Kritiker des sogenannten Neoliberalismus. Beide vertreten konsequent eine Gegenposition zu der seit Jahren verbreiteten Verklärung des Marktes und informieren über einseitige Darstellungen zu Fragen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik.

Beide sind – ähnlich wie Ulrich Busch – aber zugleich auch Brüder im Geiste des Neoliberalismus, denken genauso ökonomistisch verkürzt, wenn es um die Frage geht, ob wir in die Bereitschaft der Bürger vertrauen können, ihren Beitrag zum Gemeinwohl leisten zu wollen. Ihre Antwort ist: Nein, wir können es nicht, denn mit einem bedingungslosen Grundeinkommen falle der Anreiz zu arbeiten weg. Dieselbe Behauptung in derselben Sprache kennen wir von den sogenannten Neoliberalen (siehe den Kommentar zu „Althaus‘ Radikalkur“). Nun hebt insbesondere Albrecht Müller stets seinen volkswirtschaftlichen Sachverstand hervor, über den er, im Unterschied zu den Befürwortern eines Grundeinkommens, verfüge.

Haben sich beide jemals gefragt, woher Leistung rührt, auf welchem Boden sie gedeiht? Alles spricht dafür, daß sie derselben Vorstellung einer sozialmechanischen Erzwingung von Leistung anhängen wie diejenigen, die den Druck auf Arbeitslose weiter verstärken wollen. Druck und Anreiz liegen näher beieinander, als es die Kritiker des Neoliberalismus wahrhaben wollen. Daß jede Leistung, auch die routinierteste, zuallererst eines inneren Antriebs desjenigen bedarf, der sie erbringt – diese Vorstellung stammt für die Anreizdenker aus einer Welt, in der es bessere Menschen gibt als die verderbten der Gegenwart. Daß ein um so stärkerer innerer Antrieb Voraussetzung dafür ist, tragfähige Lösungen für Probleme zu erdenken, halten sie für naiv.

Ein Blick in die Gegenwart und in die Vergangenheit würde sie eines Besseren belehren. Der Wohlstand, in dem wir leben, wäre ohne die Bereitschaft der Bürger, etwas beizutragen, nie entstanden. Genausowenig wie es unser demokratisches Gemeinwesen gäbe, wäre es auf Anreize angewiesen. Jeder kann dieses Engagement, wenn er mit offenen Augen durch die Welt geht, beobachten.

Deutlicher als zuvor wird in der zunehmenden öffentlichen Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen, was sich schon lange abgezeichnet hat: Die Scheidelinie zwischen Befürwortern eines freiheitlichen solidarischen Gemeinwesens und ihren Gegnern verläuft jenseits von rechts und links, neoliberal und keynesianisch. Die Gegner der Freiheit stehen dort, wo in Anreizen ein Heilmittel gesehen wird. Beide sind gleichermaßen Vertreter eines Weltbildes, das den Menschen mißtraut – sie sind die wirklichen Gegner der Freiheit.

Sascha Liebermann