Auf ZEIT ONLINE ist ein Beitrag von Mark Schieritz erschienen, der sich mit der Lohnentwicklung der vergangenen dreißig Jahre und den möglichen Folgen zukünftiger Automatisierung befasst. Es handelt sich bei diesem Beitrag um einen Vorabdruck aus seinem Buch „Der Lohnklau“. An zwei Stellen kommt er auf das Bedingungslose Grundeinkommen zu sprechen. Was sagt er dazu?
„Die Roboterelite hätte damit allerdings nicht viel Freude, denn der Mangel an Kaufkraft würde früher oder später zum Systemzusammenbruch führen. Als Ausweg bleibt nur, den Verdienst von der Arbeitsleistung zu entkoppeln – zum Beispiel durch ein bedingungsloses Grundeinkommen, bei dem der Staat jedem Bürger ohne Gegenleistung einen festen Geldbetrag zur Verfügung stellt.“
Schieritz weist auf etwaige Folgen radikaler Automatisierung hin, wie manche Autoren sie für die nächsten Jahrzehnte voraussagen. Wenn die Entwicklung so einträte, wie vorausgesagt, dann gäbe es aufgrund des damit einhergehenden Kaufkraftmangels ein Absatzproblem für die Unternehmen. Um dem entgegenzuwirken, wäre dann ein BGE das adäquate Mittel. In der Tat wäre das BGE ein Mittel, um dem entgegenzuwirken. Was aber, wenn die Prognosen nicht eintreten, sie sind ja nur Prognosen und keine Realitäten – Schieritz weist darauf ebenso hin? Dann also kein BGE? Oder es wieder aufheben, wenn die Lage am Arbeitsmarkt sich gebessert hätte? Auch solche Prognosen gibt es (siehe bisherige Beiträge von uns dazu). So einleuchtend Schieritz Überlegungen sind, so kurzsichtig sind sie. Das BGE würde, wenn es vor allem damit begründet würde, eine Reparaturmaßnahme bleiben, eine Ausgleichsleistung zum mangelnden Erwerbseinkommen. Darin liegt aber nicht seine grundsätzliche Bedeutung. Sie reicht viel weiter, denn die Frage, ob BGE oder nicht, ist von der Entwicklung am Arbeitsmarkt gar nicht abhängig. Es geht um die Frage, nach welchem Maßstab wir Einkommen verteilen, ob sich diese Verteilung aus dem Erwerbsprinzip herleitet oder aus einem anderen. Die Stärke des BGE, deswegen ist es so weitreichend, relativiert das Erwerbsprinzip, weil es davon unabhängig bereitgestellt werden soll, und zwar aufgrund der Angehörigkeit zu einem Gemeinwesen bzw. des Umstandes, seinen Lebensmittelpunkt darin zu haben. Das ist ein Unterschied ums Ganze. Erst so verstanden wäre das BGE keine Repartur- oder Notfallmaßnahme mehr.
Schieritz schreibt weiter:
„Der Staat ist mit der Rolle als Reparaturbetrieb für ein derartiges Versagen überfordert. Eine politisch organisierte Umverteilung wie beim bedingungslosen Grundeinkommen oder bei anderen Lohnzuschüssen stößt in der Praxis schnell an Akzeptanzgrenzen.“
„Der Staat“ – damit sind wohl die vom Volkssouverän beautragten öffentlichen Behörden und Einrichtungen gemeint. Wieso sollten sie überfordert sein? Immerhin sind sie heute schon dafür zuständig, die existierenden Sicherungssysteme zu verwalten und für die Bereitstellung der Leistungen Sorge zu tragen. Wer sollte sonst für die Durchführung gesetzlicher Bestimmungen legitimiert sein, wenn nicht diese Einrichtungen? Allenfalls kann von einer Überforderung gesprochen werden, die aus einer unüberschaubaren Kompliziertheit des heutigen Leistungsgefüges mit all seinen Bereitstellungsverfahren herrührt. Das müsste so aber nicht sein, worauf BGE-Befürworter durchaus hinweisen.
Dass ein BGE an Akzeptanzgrenzen stößt, ist auch kein Beleg für die Überforderung, weil die Frage, ob ein BGE eingeführt werden soll, zugleich die Frage danach ist, ob wir uns vom Vorrang der Erwerbstätigkeit verabschieden wollen – mit allen Folgen. Das ist eine eminent politische Frage, wie die Aktion von Ralph Boes deutlich macht.
„Die Erfahrung lehrt, dass die Menschen gegen höhere Löhne wenig einzuwenden haben, weil sie als Entgelt für eine entsprechende Mehrleistung angesehen werden. Der Empfang von Transferzahlungen hingegen gilt schnell als Schmarotzertum.“
Was folgt daraus? Es einfach hinnehmen? Oder vielmehr deutlich machen, dass – wenn überhaupt schon von Schmarotzertum gesprochen wird – alle bei allen notwendig und unausweichlich schmarotzen, weil sie aufeinander angewiesen sind? Weil die Bürger eines Gemeinswesens laut unserer politischen Ordnung um ihrer und der politischen Ordnung selbst willen den Souverän bilden und nicht weil sie etwas leisten? Weil in arbeitsteiligen Lebenszusammenhängen alle aufeinander angewiesen sind? Weil diejenigen, die sich für ihre Kinder zuhause engagieren, es den anderen erst ermöglichen, erwerbstätig zu sein? Das Erwerbsleben schmarotzt also notwendig am gemeinschaftlichen Gefüge, zu dem es direkt keinen Beitrag leistet. Wie ist das gemeint? Das Erwerbsleben ist eben nicht gemeinschaftsbildend, weil Erwerbstätige nicht um ihrer selbst willen etwas gelten, sondern nur um der Aufgabe willen, die sie auszufüllen haben. Wo das nicht mehr der Fall ist, werden sie als Aufgabenträger ausgetauscht. Für den Wertschöpfungsprozess ist das sogar notwendig und unerlässlich. Wo aber gilt der Bürger um seiner selbst willen etwas? Nur dort, wo er als ganze Person im Zentrum steht, im Gemeinwesen und in der Familie (und davon hergeleiteten ähnlichen Beziehungen wie Freundschaften).
Schieritz schließt dann:
„Deshalb dürfen die Unternehmen nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Nur wenn wir wieder verdienen, was wir verdienen, findet der Untergang des Kapitalismus auch weiter nicht statt.“
Die Unternehmen? Sollen die Unternehmen darum gebeten oder gesetzlich dazu gedrängt werden, dass wir „wieder verdienen, was wir verdienen“? Wie genau stellt er sich das vor? Sicher, die Arbeitnehmer könnten aufbegehren, wie Schieritz es für die USA notiert. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen könnte das erheblich erleichtern. Erst ein BGE jedoch würde den Vorrang von Erwerbstätigkeit aufheben, erst durch es würde die Gemeinschaftsbildung gestärkt, die am Status der Angehörigkeit sich orientiert und nicht an Leistung. Erst mit einem BGE würde der Bürger ins Zentrum des Sozialstaats rücken und dem Erwerbstätigen seinen ihm angemessenen Platz zuweisen. Das scheint Schieritz – wie so viele in der BGE-Diskussion – nicht zu sehen.
Sascha Liebermann