…so leitet der Journalist der Süddeutschen Zeitung den Abschnitt eines Gesprächs mit Kardinal Reinhard Marx ein, der sich mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen beschäftigt. Voraus geht dieser Äußerung ein Passage, in der es um etwaige Folgen der Digitalisierung geht und um die These, dass diejenigen, die dann ihre Arbeitsplätze verlören und ein BGE bezögen, zuhause bleiben dürften. Darauf reagiert Marx mit der Prognose, dies sei das Ende der Demokratie, wenn es soweit komme. Doch die These des Journalisten ist genauso eine Verkürzung, wie die Reaktion von Marx einen erstaunen kann. Denn, nicht diejenigen, die ihren Arbeitsplatz verlören, könnten zuhause bleiben, im Prinzip könnten das alle – allerdings würde es dann bald kein BGE mehr geben. Alleine die Vorstellung davon, dass, nur weil jemand keinen Arbeitsplatz habe, er dann „zuhause“ bleibe und dass offenbar „zuhause“ nicht der Ort von Tätigkeit oder nur minderwertiger Tätigkeit sein kann, ist bemerkenswert.
Wie kommt ein Würdenträger der katholischen Kirche auf den Gedanken, das „Normalarbeitsverhältnis“ seine eine Säule für „eine freie Gesellschaft“?
Eine freie Gesellschaft, die liberale Demokratie, lebt von einer liberalen Grundhaltung der Bürger als Träger des Gemeinwesens. Es bedarf also einer ebenso liberalen politischen Ordnung. Was hat das mit dem Normalarbeitsverhältnis zu tun? Direkt gar nichts, indirekt lediglich, dass eine politische Ordnung ihre Aufgaben natürlich auch finanzieren können muss. Möglich ist das nur, wenn es eine grundsätzliche Leistungsbereitschaft gibt, nicht nur auf der Seite des Wirtschaftsgeschehens im engeren Sinne, sondern im Allgemeinen. Es bedarf ihrer in allen Lebensbereichen des Gemeinwesens. Letzteres – das mag für einen Würdenträger nicht überraschen – scheint für Kardinal Marx aber keine Rolle zu spielen, denn in dem kurzen Gespräch taucht das politische Gemeinwesen gar nicht auf. Die Familie wird als dasjenige gesehen, wofür der Mensch etwas von Wert schaffe, darüber hinaus offenbar nur in der „Gesellschaft“, also in Erwerbsarbeit. Marx, so scheint es, ist gar nicht klar, auf welchem Fundament sich das erhebt, was er für so bedeutsam hält, und zwar auf dem Fundament politische Vergemeinschaftung. Auch wenn der Kardinal davon spricht, wie wichtig es sei, etwas Sinnvolles für die Gesellschaft zu schaffen, bleibt es auf Erwerbstätigkeit verengt. Als sei es gar nichts, dafür Sorge zu tragen, dass aus Kindern mündige Staatsbürger werden können. Der Beitrag derer, die im „Normalarbeitsverhältnis“ den ganzen Tag nicht zuhause sind, leisten dazu einen geringen Beitrag, diejenigen, die dafür zuhause sind, den größten. Offenbar hat auch die katholische Kirche die Familie aus den Augen verloren.
Dass Theologen durchaus anders auf die Zusammenhänge blicken können, dafür siehe hier und hier.
Ein BGE würde, ganz anders als Marx behauptet, eben nicht das Ende der Demokratie bedeuten, sondern deutlich machen, wie sehr die Demokratie nicht von Erwerbstätigen leben, sondern von Bürgern. Ein BGE würde sie stärken und darüberhinaus all diejenigen einbeziehen in das BGE, die einen Status innehaben, der sie zu Bezugsberechtigten macht. Für die anderen blieben bedarfsgeprüfte Leistungen bis sie den für ein BGE nötigen Status erreicht hätten.
Sascha Liebermann