Belohnen statt Sanktionieren?…

…so stellt sich offenbar Simone Lange, die für den Parteivorsitz in der SPD kandidiert, eine Alternative zur bisherigen Sozialpolitik vor. Im Interview mit neues deutschland spricht sie davon, dass es nicht mehr ausreiche zu reparieren, der Motor müsse ausgetauscht werden.

Sie wird gefragt:

nd: „Spitzenvertreter der SPD verweisen aber darauf, dass sie in den vergangenen Jahren Reparaturmaßnahmen an der Agenda 2010 vorgenommen haben. Ein Beispiel hierfür war die Einführung des Mindestlohns. Warum sollte die Partei trotzdem erneut über die Sozialpolitik debattieren?“
Lange: „Die Ergebnisse der Sozialpolitik der vergangenen Jahre zeigen doch, dass wir nicht mehr mit Reparaturen oder Pflastern auskommen. Hier muss der gesamte Motor ausgewechselt werden. Die Sozialgesetzgebung braucht eine andere Grundausrichtung. Wir müssen wegkommen von den Hartz-IV-Sanktionen…“

Der Ansatz ist grundsätzlich, keine oberflächlichen Verbesserungen, keine abgenutzen Teile austauschen, der ganze Antrieb muss herausgenommen werden. Eine andere Grundausrichtung der Sozialpolitik würde bedeuten, von Bezugsbedingungen, die Gegenleistungen verlangen, wegzukommen, vom Misstrauen zum Vertrauen, wenn man so will. Insofern ist es konsequent, das sie von den Sanktionen wegkommen will. Das müsste dann aber in ein Bedingungsloses Grundeinkommen münden, denn solange es einen normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit gäbe, können Sanktionen als Hilfsinstrumente nicht aufgeben werden. Eine repressionsfreie Grundsicherung ist in dieser Hinsicht naiv oder irreführend.

Was schlägt sie vor? Die zitierte Passage wird so fortgesetzt:

„…Wir brauchen stattdessen ein Prinzip des Belohnens. Ich plädiere für ein Bonussystem, von dem Menschen profitieren, wenn sie selbst die Initiative ergreifen und sich beispielsweise weiterbilden. Menschen sollten Anreize dafür erhalten, damit sie sich einen Job suchen… “

Ein „Prinzip des Belohnens“? Das klingt nun nicht nach BGE, eher danach, Wohlverhalten zu fördern, das in eine bestimmte Richtung weist. Belohnen schließt Bewerten ein, das verlangt einen Maßstab. Brauchen denn „Menschen“ „Anreize“, um sich einen Job zu suchen? Oder ist es nicht eher der Normalfall, dass jemand ohnehin sich auf die Suche macht, wenn er dazu in der Lage ist und es ihm ein wichtig und richtig erscheint, einen Job zu haben? Und ist es nicht vielmehr so, dass, wer das nicht tut, womöglich andere Sorgen hat und von daher andere Unterstützung oder Hilfe benötigt?

Weiter sagt sie:

„…Nur dann entwickeln sie auch eine eigene Motivation. Wir sollten auch nicht mehr Sozialleistungen gegeneinander aufrechnen. Meine Kritik richtet sich nicht nur dagegen, dass wir uns zu viel Bürokratie zumuten, sondern ich habe auch die Situation der betroffenen Menschen im Blick. Zudem muss das Prinzip der Bedarfsgemeinschaften abgeschafft werden. Denn jeder Mensch hat das Recht auf eine eigene armutsfeste Grundausstattung.“

Ernsthaft? Menschen entwickeln nur dann eine eigene Motivation, wenn sie Anreize dafür haben? Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Wäre nicht eher davon auszugehen, dass eine solche Motivation in der Regel vorhanden ist bei Erwachsenen, man sie aber nicht durch ein Sozialsystem, wie wir es haben, behindern sollte? Für Kinder gilt in der Regel dasselbe, denn ihr Entdeckerdrang kann vor allem daran scheitern, dass Eltern unaufmerksam sind und diesen nicht unterstützen. Nicht Belohnung hilft weiter, sondern das Vermeiden von Hemmnissen. Ist denn der Unterschied zwischen einem Belohnungs- und einem Bestrafungssystem so groß, wie sie hier meint? Ist nicht das Arbeitslosengeld II mit seinen Sanktionen genau das, ein Belohnungssystem für Wohlverhalten, genau dasselbe was, was Frau Lange will, es zugleich aber loszuwerden strebt?

Ein wirkliche Veränderung wäre es hingegen, eine „armustfeste Grundausstattung“ als Individualanspruch zu betrachten, der nicht mit anderen Einkommen im Haushalt verrechnet wird. Das liefe dann schon deutlich in Richtung eines BGE, zu dem allerdings der Belohungsgedanke überhaupt nicht passt. Man kann gespannt sein, wie Frau Lange ihre Vorschläge weiterentwickelt, vielleicht doch mehr in Richtung eines BGE oder letztlich doch zum Verbleib in einem zwar anders genannten und freundlicher daherkommenden Sanktionssystem, das mit Belohnungen arbeitet.

Sascha Liebermann