Vielleicht eine gewagte These, aber dennoch erinnernswert: „Vorrang für die Anständigen“…

…denn ich halte es für unwahrscheinlich, dass jenseits bestimmter Debattierzirkel diese Broschüre zur Kenntnis genommen wurde, wie viele Broschüren nicht weiter beachtet werden. Dennoch bringt das damalige Papier unter Clements Namen etwas zum Ausdruck, was in allen Schichten anzutreffen ist, Vorbehalte gegenüber denjenigen, die vom eigenen Lebensentwurf abweichen und „auf Kosten anderer“ leben. Clement benutzte den Begriff in Anführungszeichen in dem hier benannten Papier, es braucht den Begriff aber nicht, um dasselbe zum Ausdruck zu bringen. Das ist die tatsächliche Hürde für eine andere, zeitgemäßere Sozialpolitik.

Sascha Liebermann

„Generation Hartz IV: Kinder kämpfen für ihre Zukunft“…

…eine Dokumentation des Norddeutschen Rundfunks, die einen Rückblick auf die Agenda 2010 und die „Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ wirft, zu denen auch das Arbeitslosengeld II, vulgo Hartz IV, gehört. Die Wirkungen sieht man aber nur, wenn ihre normative Bedeutung betrachtet wird. Arbeitslosigkeit ist nicht als solche problematisch, sondern des Status wegen, in den jemand gerät bzw. in dem er sich befindet, wenn er nicht erwerbstätig ist. Wer dagegen ernsthaft etwas tun will, kommt nicht darum herum, den normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit in Frage zu stellen. Alles andere sind Sonntagsreden.

Sascha Liebermann

„…mit Kürzungen und Streichungen bei den sozialen Transferleistungen zu rechnen haben…“ – Oskar Lafontaine zur Sozialpolitik 1999

Kürzlich bin ich auf diese Ausführungen Oskar Lafontaines aus dem Jahr 1999 durch einen Tweet (darin in einem Kommentar) aufmerksam geworden. Nun war es damals beileibe nicht so, dass die Mehrheit das anders sah, sonst wäre es gar nicht so weit gekommen. Und noch heute halten sich Verklärungen des Sozialstaats vor der Agenda 2010 oder solche, die meinen, eine Abschaffung von Sanktionen (siehe auch hier) sei möglich, ohne das Erwerbsgebot aufzuheben – das wäre aber ein Widerspruch in sich.

Hier die Äußerungen Lafontaines laut Plenarprotokoll.

„…mit Kürzungen und Streichungen bei den sozialen Transferleistungen zu rechnen haben…“ – Oskar Lafontaine zur Sozialpolitik 1999 weiterlesen

„Agenda 2010 – die Abrechnung“ zwischen Karl Lauterbach und Otmar Schreiner…

…in der Frankfurter Rundschau vor elf Jahren. Lauterbach tritt ja nun an, die SPD erneuern zu wollen, seine Einschätzung der Agenda 2010 könnte einen Ausblick darauf geben, es sei denn, er sähe das heute anders.

Weitere Kommentare zu Ausführungen von Karl Lauterbach (hier) und Otmar Schreiner (hier).

Ein Auszug:

„Lauterbach: Arbeitsmarktreformen sind nicht automatisch schlecht, nur weil Schröder sie durchgesetzt hat. Wir steckten damals in einer historischen Krise. Wir hatten die höchste Arbeitslosigkeit nach der Vereinigung. Jetzt haben wir die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 15 Jahren. Insofern sind die Arbeitsmarktreformen ein großer Erfolg. Wenn der Union das gelungen wäre, würden im Konrad-Adenauer-Haus täglich die Sektkorken knallen. Die SPD verurteilt sich selbst. Das ist absurd.“

Zur Erfolgsfeier der Arbeitsmarktreformen, siehe hier.
Sascha Liebermann

Ein Denkmal für Leistungsfeindlichkeit…

…will Michael Theurer (FDP, MdB) in seinem Beitrag in der taz errichten, in dem wieder einmal die vermeintlichen Erfolge der Agenda 2010 gefeiert werden. Hier dürfen die üblichen Erfolgsanzeichen nicht fehlen: gestiegene sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und halbierte Langzeitarbeitslosigkeit. Es stört dabei den Verfasser nicht, dass der größte Anstieg der Beschäftigung in Teilzeit (siehe Arbeitszeit je Erwerbstätigen) zu verzeichnen ist und die Halbierung der Langzeitarbeitslosigkeit nichts darüber sagt, was sie an Wertschöpfungssteigerungen mit sich bringt. Dabei macht Theurer die Crux der Sozialpolitik deutlich:

„Wenn wir heute über eine weitere Sozialstaatsreform diskutieren, müssen wir uns zunächst fragen, was die Zielsetzung eines Sozialstaats sein sollte. Die Agenda-Reformen hatten das Ziel, möglichst viele Menschen in Arbeit zu bringen.“

Das wäre in der Tat zu fragen. Soll der Sozialstaat dazu dienen, die Autonomie der Bürger zu stärken oder soll er Arbeit zum Selbstzweck erheben? Diese Frage ist nicht ohne. Orientiert sich die Antwort in die erste Richtung wäre zu fragen, wie die Handlungsfähigkeit der Bürger maximal unterstützt werden kann entsprechend der vielfältigen Ambitionen und Neigungen. Autonomie setzt Vertrauen in die Mündigkeit voraus, dass die Bürger sehr wohl wollen und wünschen, ihre Leben in die eigenen Hände zu nehmen, aber nach ihrer Vorstellung davon. Die zweite Richtung, in die noch immer die Antwort gesucht wird, erhebt Erwerbsarbeit zum Selbstzweck, als ob Wohl und Wehe einer Demokratie davon abhingen. Dabei kann doch niemand ernsthaft behaupten, dass es für Unternehmen gleichgültig ist, welche Mitarbeiter sie haben, ob diese dort sich engagieren wollen oder nicht. Zwar ist die Haltung verbreitet, als wäre es Aufgabe von Unternehmen, Mitarbeiter zu erziehen, im Sinne der Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen, im Sinne der Erzeugung neuer Problemlösungen ist das nicht. Während die Unterstützung von Autonomie dem Leistungsethos gewogen ist, ist die Überhöhung von Erwerbstätigkeit leistungsfeindlich. Deswegen kann auch die oben genannte Erfolgsmeldung nur die Hälfte der Geschichte sein. Sie geht zu Lasten anderer Lebensbereiche, wenn wir nur daran denken, in welch absurde Dimensionen die außerhäusliche Betreuung von Kindern getrieben wird: je früher, je länger, desto besser (siehe hier und hier).

Ein Denkmal für Leistungsfeindlichkeit… weiterlesen

Selbstverklärung – Carsten Schneider (SPD) über den Aufbruch vor 20 Jahren

Darüber schrieb der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion im Tagesspiegel.

„Zwanzig Jahre und sechs Regierungen später hat sich in Deutschland eine gewisse Zukunftsernüchterung breitgemacht. Es ist paradox: Eigentlich geht es unserem Land so gut wie nie. Die Gesellschaft ist vielfältiger und offener geworden. Die Wirtschaft ist in bester Verfassung. Der Sozialstaat steht – bei allen Mängeln – auf festem Fundament. „Cool Germany“ titelte jüngst der britische Economist; 1999 hatte das Blatt Deutschland noch als „kranken Mann Europas“ bezeichnet. Dies sind nicht zuletzt die Früchte des rot-grünen Reformprojektes von 1998 bis 2005, das eben weit mehr als die Arbeitsmarktpolitik umfasste.“

Wäre es hier nötig zu erwähnen, welche Stellung der Niedriglohnsektor hat, wie viele Personen sich im Arbeitslosengeld II-Bezug (siehe auch hier) befinden und wie immer mehr das ganze Leben an Arbeitsmarkttauglichkeit ausgerichtet wird? Herr Schneider hat das sicher nur unabsichtlich übersehen. Schaut man darüber hinaus auf die Entwicklung der Erwerbstätigen und das Arbeitsvolumen (siehe hier, hier und hier), werden einem die Folgen des hohen Maßes an Teilzeitarbeit vor Augen geführt, der im Alter zu niedrigen Renten führt, wenn Teilzeiterwerbstätigkeit dauerhaft ausgeübt wird.

Selbstverklärung – Carsten Schneider (SPD) über den Aufbruch vor 20 Jahren weiterlesen

„Umkehren, Genossen!“ – aber wohin, einfach zurück oder nach vorn?

Gesine Schwan rief in der Zeit ihre Genossen aus der SPD zum Umkehren auf, aber wohin? Der Beitrag war noch vor der Landtagswahl in Bayern erschienen.

Ihre Diagnose beginnt damit, die Erfahrungen, die Grund dafür seien, die AfD zu wählen, ernst zu nehmen:

„Folgt man verschiedenen Analysen, sind dies die wesentlichen Gründe, die sie antreiben: Sie fühlen sich nicht angemessen anerkannt und wertgeschätzt, empfinden einen massiven Macht-, Zugehörigkeits- und Kontrollverlust in ihrer Arbeits- und Lebenswelt, und sie haben Angst vor der Zukunft.“

Sie verweist darauf, dass manche diese Sorgen mit Hilfe des Verweises auf einen Sündenbock oder mehrere zu artikulieren versuchen. Was könnte die SPD dem entgegensetzen?

„Kurzfristig dringend notwendig ist es daher, ihnen gegen ihr Ohnmachtsgefühl eine „Ermächtigungserfahrung“ zu bieten, ihnen die Chance auf eine konkrete Verbesserung und Gestaltung ihrer Situation zu bieten. Finanzielle Wahlversprechen reichen nicht aus. Das bewährte sozialdemokratische Konzept der Mitbestimmung und Teilhabe muss wieder fruchtbar gemacht werden, und zwar möglichst in übersichtlichen, vor allem kommunalen Kontexten.“

„Umkehren, Genossen!“ – aber wohin, einfach zurück oder nach vorn? weiterlesen

„Hartz IV ist ein Angstmache-Instrument“…

…sagt Klaus Barthel (SPD) in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau. Er begrüßt die jüngere Debatte über die Folgen des Arbeitslosengeldes II, hält ein solidarisches Grundeinkommen aber nicht für ausreichend in der jetzigen Konzeption. Was er stattdessen befürwortet, wird nicht deutlich, ein BGE kommt nicht zur Sprache.

Barthel hat offenbar vor 15 Jahren schon die Arbeitsmarktpolitik kritisiert, siehe hier, hier und hier.