Diese Deutung, die wir mit unseren Stellungnahmen schon lange vertreten, äußert Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung anlässlich des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, dem er vorhält, eine Chance verpasst zu haben. Prantl schreibt unter anderem:
„Das war und ist aber ein grober Irrtum, denn bei der Hilfe für Menschen, die nicht genug Arbeit oder genug Arbeitslohn zum Leben haben, geht es um die Konkretisierung von Artikel 1 Grundgesetz. Und dort steht nicht, dass die Würde der Banken, sondern dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Dazu passt es nicht, dass Hartz IV die Schuld an der Arbeitslosigkeit an diejenigen abschiebt, die arbeitslos sind. Dazu passt es nicht, dass die Hartz-IV-Gesetze die Arbeitslosen kontrollieren und sanktionieren und mit Unterstützungsleistungen unglaublich knausern. Dazu passt es nicht, dass Hartz IV, trotz Mindestlohn, hilft, die Löhne zu drücken.“
Das ist aber nicht einmal das Resultat von „Hartz IV“, sondern zeichnet den Sozialstaat aus, der sich auf die Erwerbsverpflichtung stützt.
Und weiter heißt es:
„In der Debatte um Grundrente und Grundeinkommen tun die Fundamentalkritiker solcher Projekte so, als sei der Sozialstaat der Blinddarm der Demokratie – leicht entzündlich, daher gefährlich. Das Gegenteil ist richtig. Ohne einen sich klug weiterentwickelnden Sozialstaat wird das Gemeinwesen entzündlich und der innere Frieden prekär; er ist es schon. Für die Demokratie ist es deshalb durchaus systemrelevant, wie der Staat mit den Hartz-IV-Beziehern umgeht. Ein guter Sozialstaat sorgt dafür, dass der Bürger, auch derjenige ohne Arbeit, Bürger sein kann und Bürger sein will. Demokratie und Sozialstaat gehören zusammen. Das Bewusstsein dafür ist im Jahr des Grundgesetzjubiläums leider nicht sehr ausgeprägt.“
Ja, aber was folgt nun daraus? Muss ein solcher Sozialstaat im Geist der Demokratie nicht ganz auf Sanktionen verzichten und das Erwerbsgebot aufgeben, weil er – wie einst Ernst-Wolfgang Böckenförde zutreffend sagte – vom Wagnis der Freiheit lebt? Führt diese nicht direkt zu einem Bedingungslosen Grundeinkommen oder mindestens zu einer Einkommenssicherung, die sich von der Erwerbsverpflichtung verabschiedet hat?
Sascha Liebermann