…so lässt sich resümieren, was ein Vorabdruck aus dem neuen Buch des Präsidenten des ifo-Instituts, Clemens Fuest, über seine darin geführte Auseinandersetzung mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen erkennen lässt (Clemens Fuest, Wie wir unsere Wirtschaft retten. Der Weg aus der Corona-Krise, Aufbau Verlag; die hier zitierten Absätzen bilden den Abschluss des siebten Kapitels „Wie wir die Überforderung des Sozialstaats verhindern“, S. 174-180). Abgedruckt war der Auszug in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Ob Fuest sich noch an anderen Stellen des Buches mit einem BGE befasst, ist daraus nicht ersichtlich. Auch das Inhaltsverzeichnis lässt dies nicht erkennen. Was schreibt er?
„Die vierte Leitplanke ist das Subsidiaritätsprinzip. Es besagt, dass jeder Bürger zunächst selbst für seine wirtschaftliche Existenz verantwortlich ist. Erst wenn das scheitert, springt der Sozialstaat ein. Zur Eigenverantwortung gehört, dass die Bürger sich gegen absehbare Risiken absichern. So lässt sich begründen, dass Arbeitnehmer verpflichtet werden, Beiträge an die Sozialversicherungen zu entrichten. Bei Selbständigen und Unternehmern geht man davon aus, dass sie ohne gesetzliche Verpflichtung für Risiken vorsorgen. Den Bürgern steht darüber hinaus das soziale Netz der Grundsicherung zur Verfügung.“
Fuest kommt hier auf ein Verständnis des Subsidiaritätsprinzips zu sprechen, das als das vorherrschende bezeichnet werden kann, institutionalisiert im Sozialstaat, keineswegs aber die zwingende Form darstellt. Ich habe mich schon vor längerer Zeit damit befasst, es anders zu deuten (siehe hier). Die entsprechende Passage aus der Enzyklika Quadragesimo Anno, die hierfür von Bedeutung ist, spricht in keiner Form davon, Eigenverantwortung und Erwerbsverpflichtung zu verbinden. Sie kann vielmehr als Betonung des Autonomiegedankens gedeutet werden, der sich grundsätzlich auf die Handlungsfähigkeit des Indivdiuums bezieht. Autonomie muss geschützt und gestärkt werden, das ist ihr Kern. Fuest befindet sich mit seiner Deutung in einem bestimmten Fahrwasser und schert sich um Alternativen nicht. Er fährt fort:
„Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip wird jedoch erwartet, dass die Grundsicherung nur beansprucht, wer keine anderen Reserven hat, beispielsweise eigenes Vermögen. Daraus folgt unter anderem, dass die populäre Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens abzulehnen ist. In Deutschland und den meisten europäischen Ländern gibt es bereits ein Grundeinkommen, das vor Armut durch Erwerbslosigkeit schützt. Es ist aber nicht bedingungs los, steht also nur denen zur Verfügung, die es brauchen, weil eigenes Einkommen oder Vermögen fehlt. Das entspricht dem Subsidiaritätsprinzip.“
Sicher, wer es wie Fuest auslegt, muss ein BGE ablehnen, aus dem Subsidiaritätsgebot selbst folgt das keineswegs. Insofern also nichts Neues für die Debatte. Fuest analysiert hier folglich nicht, er bezieht einfach seiner Wertbindung folgend Stellung. Das ist sein gutes Recht, trägt zur Analyse aber nichts bei, hält nur alte Voreingenommenheiten aufrecht. Zugleich aber verdeckt er etwas, das allzuoft in seiner Konsequenz nicht beachtet wird, was aufgrund von Fuests Expertise überraschen kann: Es fehlt jede Bezugnahme auf das geltende Verständnis dahingehend, dass das Existenzminimum gesichert sein muss und der Grundfreibetrag in der Einkommensteuer genau das abzusichern hilft – ganz abgesehen davon, über welches Vermögen jemand verfügt. Fuest müsste hier doch eigentlich ins Straucheln geraten mit seiner vermeintlich konsequenten Herleitung – damit ist er nicht allein.
Fehlt im Grunde nur noch, dass ein BGE eine Stilllegungs- und Stillhalteprämie ist:
„Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde den Staat finanziell überfordern. Um den rund 80 Millionen Einwohnern in Deutschland ein bedingungsloses Grundeinkommen von beispielsweise 800 Euro im Monat zu zahlen, müsste man im Jahr 768 Milliarden Euro aufbringen. Das gesamte Steueraufkommen in Deutschland betrug im Jahr 2019 799 Milliarden Euro. Darüber hinaus würde das bedingungslose Grundeinkommen einen Teil der Bevölkerung aus dem Erwerbsleben ausschließen. Das hätte höchst negative ökonomische und soziale Folgen.“
Fuest spricht von Brutto-, nicht von Nettokosten, das kann einen schon einmal erstaunen, denn letztere sind entscheidend. Außerdem ist nicht das Steueraufkommen alleine von Bedeutung, es müssen ebenso die Sozialversicherungen beachtet werden und darüber hinaus die Grundfreibeträge, die darin gar nicht auftauchen. Letztlich hängt die Finanzierungsfrage am sogenannten Volkseinkommen. Weshalb, das ist beinahe noch die interessantere Frage, würde ein BGE einen „Teil der Bevölkerung aus dem Erwerbsleben ausschließen“? Wir können mutmaßen, dass ein BGE wohl die Politik aus der Verantwortung entlasse, sich um das Entstehen von Arbeitsplätzen zu kümmern usw. usf. Die Frage ist, wer entscheidet darüber, was in einem Land geschieht? Können sich die Bürger, wenn sie etwas nicht wollen, dagegen nicht wehren gemäß der Verfahren und Wege, die wir dafür haben?
Siehe meine früheren Beiträge zu Ausführungen Fuests im Zusammenhang mit einem BGE hier.
Sascha Liebermann