…über das neue Buch von Thomas Straubhaar in der Neuen Zürcher Zeitung. Eisenring hatte schon das erste Buch Straubhaars zum Bedingungslosen Grundeinkommen „Radikal gerecht“ rezensiert (siehe hier) und erwartbare, teils treffende Einwände vorgebracht. In der aktuellen Rezension geht es wieder um „Arbeitsanreize“, die Eisenring ähnlich krude verwendet wie Straubhaar über die Jahre selbst. Wer behauptet, Erwerbsarbeit verliere aufgrund höherer Besteuerung an Attraktivität, sollte sich einmal damit befassen, welche Gründe es noch dafür gibt, erwerbstätig zu werden, dann würde die Deutung ungleich komplexer werden. Darauf habe ich in meinem damaligen Kommentar auch mit Verweis auf Ausführungen Karl Widerquists hingewiesen.
Entscheidend für die Einschätzung ist, wie differenziert die Motivierung von Handeln verstanden wird, da ist der Begriff „Anreiz“ (siehe auch hier) nicht hilfreich, schon semantisch legt er eine Verkürzung nahe und in seinem Gebrauch in der fachwissenschaftlichen Literatur ist er häufig unterkomplex (obwohl es in der Psychologie durchaus komplexere Konzepte dazu gibt). Seine Attraktivität rührt sicher genau daher, dass er in einer Form Zusammenhänge vereinfacht, die so vereinfacht nicht zu verstehen sind, wie schon der Sozialphilosoph George Herbert Mead in „Mind, Self, and Society“ sich zu zeigen bemühte.
Dass Eisenring hier wieder einmal die vermeintlich negativen Folgen eines BGE für die Bildungsambitionen junger Menschen herausstellt, ohne zu fragen, woher denn heute manche Verweigerung, Desinteresse oder gar Scheitern daran rührt, ist beredtes Zeugnis für eine verkürzte Betrachtung, für die der Gebrauch des Begriffs „Anreiz“ steht. Siehe unsere Beiträge zu dieser Frage z.B. hier und hier.
Straubhaar scheint auch im neuen Buch wieder ein BGE auf ein Mittel gegen etwaige Folgen der Digitalisierung zu verkürzen, die politische Dimension, es als Anteil der Bürger am Wohlstand des Gemeinwesens zu betrachten, ganz gleich, wie die Arbeitswelt sich entwickelt, sieht er anscheinend nicht.
Eisenring schreibt gegen Ende:
„Es [das BGE, SL] unterhöhlt einen zentralen Pfeiler unserer Gesellschaft: Wer von der Allgemeinheit Hilfe in Anspruch nimmt, sollte sich anstrengen, selbst wieder auf die Beine zu kommen. Solidarität ist keine Einbahnstrasse, sondern begründet eine Pflicht zur Selbsthilfe. Dazu passt das Motto «Fördern und fordern», das Straubhaar als «altbacken» abtut.“
Kann man in einem Gemeinwesen leben, ohne Hilfe in Anspruch zu nehmen? Sind denn öffentliche Infrastruktur, Rechtssicherheit usw. keine Hilfe im weiteren Sinne? Der Kostgänger-Einwand greift nur, wenn die umfassenden Abhängigkeiten aller voneinander in einem Gemeinwesen geleugnet werden, wenn also auf Loyalität der Bürger zur politischen Ordnung, Leistungen außerhalb der Erwerbsförmigkeit und Leistungen vorangehender Generationen verzichtet werden könnte. Das ist jedoch unmöglich. Eisenring verkürzt Eigenständigkeit auf den Erwerbsbeitrag – das ist nur ein Aspekt des Zusammenlebens neben anderen ebenso wichtigen. Entscheidend aber bleibt die Stellung der Bürger im Gemeinwesen als Legitimationsquelle der politischen Ordnung – sie gilt bedingungslos.
Frühere Kommentare von uns zu Straubhaars Ausführungen finden Sie hier.
Sascha Liebermann