Zweimal Grundeinkommen im Handelsblatt

„Das bedingungslose Grundeinkommen ist ultraliberal und sozial“ – dieser Beitrag im Handelsblatt beschäftigt sich mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen, der Piratenpartei und zweierlei Varianten von Grundeinkommen. Er kann als Gradmesser dafür gelten, wie das Thema erneut aufgegriffen wird.

Ein Artikel über Götz W. Werner und das BGE schlägt andere Töne an, sieht kein Fortkommen in der Grundeinkommensdiskussion, also eher ein Scheitern. Bedenkt man, welche große Veränderung hinsichtlich unserer Vorstellungen von Zusammenleben das BGE bedeutet, ist es naheliegend, die Entwicklung der Diskussion auch anders zu beurteilen. Ärgerlich und borniert hingegen ist die Haltung des Verfassers, der in dem Engagement Götz W. Werners, damit aber auch aller Aktiven, eine Art Predigertum erkennt, das Glaubenssätze verbreitet. Solche und ähnliche Kritik hat es immer wieder gegeben (siehe hier und hier). Ärgerlich ist sie, weil dabei die guten Argumente unterschlagen werden, die für das Bedingungslose Grundeinkommen sprechen und die unermüglich schriftlich wie mündlich dargelegt werden. Es zeigt aber auch, wie manche, vielleicht einige, Journalisten nicht bereit sind, sich mit der Idee ernsthaft auseinanderzusetzen, vielleicht, weil dadurch eigene Dogmen durcheinandergerieten?!

Standardrentner, Durchschnittsrenter, Rentenanwartschaften und Bedingungsloses Grundeinkommen

Mit statistischen Daten ist das so eine Sache, sie sagen nichts über die konkrete Person und ihre Situation aus, konstruieren hingegen einen Durchschnitts- oder Medianwert, etwas, das es im konkreten Leben so nicht gibt. Da solche Erhebungen die politische Diskussion aber erheblich prägen, sei hier dennoch auf einen Artikel des Handelsblatts hingewiesen. Ihm zufolge könnte der Standardrentner, der, bei einem Jahreseinkommen von 30 000 Euro, 45 Jahre kontinuierlich in die Rentenversicherung eingezahlt hat, eine Rente von 1.224 Euro in West und 1.086 Euro in Ostdeutschland erwarten. Bedenkt man allerdings, dass nach Angaben des Handelsblatts nur „vier von zehn Männern […] statistisch gesehen über diesen langen Zeitraum erwerbstätig [sind]. Bei den Frauen sind es ganze vier Prozent. Legt man diese Werte zugrunde, liegt die Durchschnittsrente in Westdeutschland bei 697 Euro (Männer 970 Euro, Frauen 473 Euro) und in den neuen Bundesländern bei 826 Euro (1.044 Euro für Männer und 676 Euro für Frauen). Zum Vergleich: Die Durchschnittspension für Beamte liegt nach einer Studie der Universität Freiburg bei rund 2.500 Euro. […] Was zudem nachdenklich stimmt: Der Durchschnittsverdiener braucht 27 Jahre, um auf 627 Euro Rente zu kommen. Das ist der Betrag, den auch Hartz-IV-Bezieher bekommen und der als Grundsicherung gilt. Wer weniger verdient, braucht sogar noch länger.“

Manche Kritiker des Grundeinkommens, aber durchaus auch Befürworter, erachten die Aufgabe der Rente, eine Lebensstandardsicherung zu gewährleisten  als wichtig (ob das Aufgabe eines Gemeinwesens ist, darüber kann zurecht gestritten werden). Auch seien erworbene Rentenanwartschaften zu beachten und stehen nicht zur Disposition. Juristisch ist das zutreffend, aber was bedeutet das tatsächlich vor dem Hintergrund der hier zitierten Zahlen?

Nehmen wir einmal an, es käme zur Einführung eines Grundeinkommens in der Höhe von 1000 Euro. Damit würde das obere Rentenniveau der Durschnittsrente (1044 Euro) zur Regel erhoben. Selbst für einen „Durchschnittshaushalt“ mit zwei erwachsenen Rentnern, auch hier seien die höchsten Werte angesetzt, wäre ein Grundeinkommen von 2000 Euro verfügbar gegenüber einer Rente von 1720 Euro heute (1044+676). Ein Grundeinkommen würde auch ohne Beibehaltung einer umlagefinanzierten Zusatzrente für Arbeitnehmer eine Besserstellung erwirken.

In diese Betrachtung, die nur ein Rechenexempel bietet, ist noch gar nicht einbezogen, wie sehr die Verfügbarkeit eines BGEs über die Lebensspanne die gesamte Lebenslage verändert. Der Einzelne verfügt auf dieser Basis über ganz andere Möglichkeiten, kann ganz anders mit Lebensentscheidungen verfahren und darüber hinaus könnte er, wenn gewollt, auch noch in eine freiwillige, umlagenfinanzierte Rentenversicherung einzahlen. Im Vergleich mit der deutigen Lebenssituation wären das gewaltige Veränderungen im positiven Sinn. Wer kann das nicht wollen?

Sascha Liebermann