Politische Nation, kulturelle Vielfalt und Bedingungsloses Grundeinkommen

Die Zuwanderung von Flüchtlingen, die in Kriegs- oder Hungergebieten an Leib und Leben bedroht sind und von denen niemand wissen kann, ob sie bleiben werden oder nicht – auch sie selbst wissen das zu ihrem eigenen Leidwesen nicht;

die Zuwanderung von Asylbewerbern, die in ihren Heimatländern aufgrund ihrer von der Mehrheitskultur abweichenden Lebensweise – sei dies eine religiöse Abweichung wie bei den Christen im Iran oder den Schiiten in Saudi Arabien, sei es eine sexuelle Abweichung wie bei Homosexuellen in Ägypten, seien es sonstige kulturelle Abweichungen wie bei den Uiguren in China – an Leib und Leben bedroht sind und bei uns um Schutz und Aufnahme ersuchen;

die Zuwanderung von jungen Menschen aus Europa und der ganzen Welt, die sich bei uns ein besseres Leben erhoffen und deshalb gern hier bleiben wollen

– diese ganze Entwicklung wirft die Frage nach der Identität Deutschlands, nach der Identität eines jeden Deutschen auf. Vielen macht das Andrängen dieser Frage Angst. Wenn dann noch die zukunftseröffnende Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens ins Spiel gebracht wird, ist schnell das Ende jeder offenen Debatte erreicht. Deshalb ist es sinnvoll, sich Klarheit zu verschaffen über den Zusammenhang von Identität, politischer Nation und kulturellem Selbstverständnis.

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Bedingungsloses Grundeinkommen in der Schweiz – nicht national umsetzbar?

Mit dieser Frage beschäftigt sich ein Bericht des tagesanzeigers (auf den sich auch die Neue Zürcher Zeitung beruft, die gleich die Schweiz zum „Schlaraffenland mit gefährlicher internationaler Sogwirkung“ ernennt) und bezieht sich auf Äußerungen Oswald Siggs, der einer der Initianten der Eidgenössischen Volksinitiative ist. Sigg „glaube nicht, dass man das bedingungslose Grundeinkommen in der Schweiz isoliert umsetzen kann“, zitiert ihn der tagesanzeiger. Wegen der durch ein BGE erwachsenden Attraktivität der Schweiz für „all die Arbeitslosen in Europa und für Flüchtlinge“ würde durch die Einführung die Zuwanderung deutlich zunehmen. Sigg plädiere deswegen für einen Pilotversuch in einem Kanton, um zu testen, was passiert, wenn ein BGE eingeführt wird (siehe meinen jüngeren Kommentar zu Feldexperimenten hier). Dabei verweist er laut tagesanzeiger allerdings selbst darauf, dass definiert werden könne, wer in diesem Experiment bezugsberechtigt ist. Damit hat Sigg im Grunde aber schon ausgesprochen, wie mit der Zuwanderung umgegangen werden könnte, wie mit ihr auch heute schon umgegangen werden muss. Es bedarf bei nationaler und selbst europäischer Einführung einer Wartefrist, bis jemand bezugsberechtigt ist. Wie sie aussieht, wäre wiederum Gegenstand politischer Willensbildung bzw. bestehender Gesetzgebung.

Aus der Sicht eines politischen Gemeinwesens, das über sein Leben selbst bestimmen können will, ist eine Fristenregelung die einzige Möglichkeit, mit der auf die von Sigg aufgeworfene Sorge geantwortet werden kann. Über eine ähnliche Frage gab es im letzten Jahr eine Diskussion in Deutschland betreffend den Bezug von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe. Das Bundessozialgericht  (siehe auch hier) stellte fest, dass bei EU-Bürgern geprüft werden müsse, ob Anspruch auf Sozialhilfe bestehe. Nach einer Mindestaufenthaltszeit allerdings bestehe ein Rechtsanspruch. Was Oswald Sigg für die Schweiz befürchtet, ist also in der EU schon Realität und nach Annahme der Masseneinwanderungsinitiative in der Schweiz zu klären, wie auf Zuwanderung reagiert werden kann. Dass es nur eines BGE wegen zu besorgniserregenden Wanderungsströmen kommen würde, ist unwahrscheinlich, dafür gäbe es ja durchaus heute schon Anlass, auch innerhalb der EU, denn das eigene Land zu verlassen, bedeutet ja, nicht nur die eigene vertraute Lebensumgebung aufzugeben, es verlangte ja ebenso, Angehörige und Freunde zurückzulassen.

Gegen Ende des Beitrags heißt es noch:

„All diese Unwägbarkeiten zeigen: Bei einem Ja zum bedingungslosen Grundeinkommen würde die Schweiz in ein grosses Testlabor verwandelt. Denn die Idee wurde noch nirgendwo in diesem Ausmass erprobt. Zwar fanden im Ausland diverse Pilotversuche statt, aber stets in sehr beschränktem Rahmen. Auch wurden dort vor allem die Auswirkungen der ausgeschütteten Gelder getestet, nicht die Folgen der Finanzierung solcher Grundeinkommen.“

Eine besonnene Einführung gehört dazu, ein Umsturz von einem Tag auf den anderen ist nicht zu erwarten. Dem BGE werden teils Probleme zugeschrieben, die es hervorbringen würde, die längst bestehen.

Sascha Liebermann