Womöglich Grundeinkommensprojekt in Kenia – was ist davon zu halten?

Spiegel Online berichtete, andere mittlerweile auch, über ein mögliches Grundeinkommensprojekt, das in Kenia über zehn bis 15 Jahre Jahre laufen könnte. Finanziert werden soll es durch die US-Spendenorganisation GiveDirectly. Daran sollen „mindestens“ 6000 Personen teilnehmen nach Auskunft von Michael Faye und Paul Niehaus, Gründer von GiveDirectly, die einen Beitrag dazu auf Zeit Online veröffentlicht haben. Sie schreiben unter anderem:

„Zweitens muss er [der Test, SL] langfristig sein, sodass die Menschen langfristig die Garantie eines Grundeinkommens haben.“

Das ist nachvollziehbar, weil ein kurzfristiges Projekt den Teilnehmern keinesfalls erlaubt, bei Entscheidungen während des Projekts die Zeit danach außer Acht zu lassen. Allerdings sind auf eine Lebensspannt bezogen auch zehn bis fünfzehn Jahre nicht lang, wenn man bedenkt, dass Qualifikationen für den Arbeitsmarkt der Nach-Projektphase erworben oder erhalten werden müssen. Gleichwohl kann diese Perspektive eine Verschnaufpause darstellen, besonders in Lebenssituationen, in denen die Ausrichtung auf den Arbeitsmarkt unvernünftig sein kann, weil andere Fragen drängen, z. B. für Familien mit kleinen Kindern, in Lebenskrisen und ähnlichen Situationen.

Die Autoren schreiben weiter:

„Drittens muss die Zahlung innerhalb der definierten Gemeinschaften bedingungslos sein, da das Ziel ist, genauso viel über soziale Gemeinschaft wie über individuelles Verhalten herauszufinden. Bei allen bisherigen Pilotprojekten zum Grundeinkommen waren nicht alle dieser drei Kriterien erfüllt.“

Hier würde man gerne wissen, wie diese Gemeinschaften abgegrenzt werden. Kenia ist ein Staat, also eine politische Vergemeinschaftung, das wäre nach der Verfasstheit des Landes die Gemeinschaft, die für ein universalistisches BGE einstehen müsste (6000 Testpersonen bei 45 Mio. Einwohnern). Vergleichbar mit einem BGE als Solidarleistung einer politischen Gemeinschaft an seine Bürger und andere bezugsberechtigte Personen ist es nicht. Das ist ein nicht unerheblicher Unterscheid, wenn es um Auswirkungen geht.

Dann heißt es noch:

„Gleichzeitig können wir direkt an den politischen Debatten des Schwellenlandes teilnehmen. Somit ergänzt das Projekt die Pläne für Grundeinkommensexperimente der finnischen und der kanadischen Regierung, ebenso wie ein kürzlich vom Start-up-Inkubator Y Combinator angekündigtes Projekt.“

Was meinen die Autoren damit? Vielleicht Teilnahme durch Beratung? Politische Gemeinschaften sind nach innen und außen abgegrenzte Gebilde durch Zugehörigkeit bzw. Nicht-Zugehörigkeit, das ist die Basis dafür, dass sie selbst darüber befinden können, wie sie leben wollen. Legitimiert dazu, sich im Sinne dieser Frage einzubringen, sind nur die Bürger des Gemeinwesens, andere können beratend hinzugezogen werden, wenn die Bürger es wollen – sie sind aber nicht legitimiert, sich einzumischen.

Es wäre doch interessant zu wissen, wie es dazu kommt, dass die Autoren Kenia als Experimentierfeld auserkoren haben. Hat sich die Regierung dafür interessiert oder haben sich Bürgerinitiativen bei GiveDirectly beworben? Es kann zu Recht gefrag werden, ob ein Projekt, dass von außerhalb des Landes initiiert ist – so klingt es bislang – nicht eine Einmischung in innere Angelegenheiten darstellt? Jedes Projekt, das nicht von einem Land selbst getragen wird, ist eine Gratwanderung zwischen Stärkung und Schwächung von Autonomie, weil Ziele, Vorgehensweisen und Maßstäbe an Länder herangetragen werden, die nicht ihre eigenen sind. Darauf hatte unter anderem schon Elinor Ostrom hingewiesen. Das ist ein Dauerthema in der Entwicklungshilfe, wo nicht selten, zahlreiche NGOs sich in einem Land an einem Ort die Klinken in die Hand geben.

Und was sendet es für ein Signal, wenn eine US-amerikanische Spendenorganisation sich ein afrikanisches Land als Experimentierfeld sucht, statt in den USA dasselbe auszuprobieren? Immerhin sind es in Kanada und Finnland die Regierungen der Länder, die solche Experimente wollen, sie sind politisch dafür legitimiert. Ein Entwicklungsprojekt, ganz gleich welcher Ausrichtung, stellt immer eine Intervention da. Davon wie vorgegangen wird hängt es wesentlich ab, inwiefern die Autonomie gestärkt oder geschwächt werden kann.

Von alldem abgesehen sollte nicht vergessen werden, dass das Projekt in Namibia in einer ähnlichen Konstellation stattfand, ebenfalls nicht von der dortigen Regierung finanziert wurde und trotz der Ergebnisse bislang nicht dazu geführt hat, dass ein Grundeinkommen eingeführt wurde. Was sagt uns das?

Zur Frage, was Feldexperimente leisten können oder auch nicht siehe diese beiden Beiträge:

„Feldexperimente zur Erprobung eines Bedingungslosen Grundeinkommens –  aussagekräftig oder zweifelhaft“

„Feldexperimente zum Grundeinkommen – Nutzen oder Schaden?“

Von besonderer politischer Brisanz ist es, in einer Demokratie Experimente zu einer Frage durchzuführen, die durch die politische Verfasstheit schon beantwortet ist. Eine Demokratie, in der die Stellung der Bürger als Volkssouverän bedingungslos gilt, in der das Gemeinwesen darauf vertrauen muss, dass die Bürger sich einbringen – wie sollte in einem solche Gefüge ein Experiment gerechtfertig werden, dass genau dazu dient, herauszufinden, was schon längst Realität ist? Ein solches Experiment würde politische Selbstentmündigung bezeugen. Insofern ist es unverständlich, dass Gianis Varoufakis mit Blick auf die Schweiz und der bevorstehende Volksabstimmung von einem Experiment spricht.

Sascha Liebermann

„Als Bauer muss ich fairerweise dem bedingungslosen Grundeinkommen für alle zustimmen“…

schreibt Ruedi Baumann im Auswandererblog. Denn, „Die rund 50’000 Landwirtschaftsbetriebe in der Schweiz erhalten im Durchschnitt mehr als 50’000 sfr. pro Jahr. Natürlich bestehen zwischen Klein- und Grossbetrieben riesige Unterschiede. Grossbauern dürfen beispielsweise mit über 200’000 sfr. pro Jahr rechnen, für Kleinbauern dagegen bleibt nur wenig übrig!“

Lange Nacht des Grundeinkommens – Theater Basel, Großes Foyer

Am 2. MAI, 18.00-24.00, findet die Lange Nacht des Grundeinkommens am Theater Basel, mit folgenden Gästen, statt:

Anita Fetz (Ständerätin, SP), Andreas Gross (Politikwissenschaftler), Kathy Riklin (Nationalrätin CVP), Rudolf Minsch (Chefökonom der economiesuisse), Adolf Muschg (Schriftsteller), Enno Schmidt (Autor), Reiner Eichenberger (Professor der Ökonomie), Sarah Schilliger (Soziologin), Regula Stämpfli (Politologin), Sascha Liebermann (Soziologe), Silvia Schenker (Nationalrätin), Lukas Rühli (Avenir Suisse), Philip Kovce, (Autor), Adrienne Goehler (Kuratorin), Theo Wehner (Arbeitspsychologe), Richard Eisler (Gründer Comparis), Michèle Roten (Autorin), Daniel Häni (Unternehmer). Moderation: Daniel Binswanger, Redakteur und Kolumnist «Das Magazin». Zum Faltblatt der Veranstaltung.

„Wie viel Geld macht eine Familie glücklich?“…

…fragt Rinaldo Dieziger im Mamablog des tagesanzeigers und kommt zu dem Schluss:

„…Genau gleich funktioniert übrigens auch die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Wenn sie am 5. Juni angenommen wird, erhält jede Schweizerin und jeder Schweizer von Vater Staat 2500 Franken pro Monat. Und zwar nicht nur 20 Jahre, sondern ein Leben lang. Ob das mich und meine Familie glücklicher machen würde? Vielleicht. Auf jeden Fall würde es uns freier machen.
Ich könnte zum Beispiel statt 80 nur noch 60 Prozent arbeiten. Oder das Such-Abo bei Homegate anpassen. Oder einen Tesla leasen. Oder die Suite mit Meersicht und Kinderzimmer buchen. Es wäre ein Stück Freiheit. Was würden Sie damit tun?“

hotelleriesuisse lehnt Grundeinkommen ab…

…mit einer bezeichnenden Begründung:

Keine Experimente – Nein zum «bedingungslosen Grundeinkommen»
Ebenfalls zur Ablehnung empfiehlt hotelleriesuisse dem Volk am 5. Juni die Volksinitiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Ein Ja würde die Schweizer Volkswirtschaft in einem Ausmass verändern, das zurzeit noch nicht zuverlässig abgeschätzt werden kann, so der Verband. Klar sei aber: Branchen mit niedrigeren Löhnen und mit einem hohen Anteil an Teilzeitbeschäftigten wie die Hotellerie wären besonders stark betroffen, da der Anreiz, in diesen Branchen zu arbeiten, gering wäre. Der Wegfall der Sozialversicherungen würde den erhöhten Finanzbedarf für das Grundeinkommen nicht kompensieren, dadurch müssten die Steuern erhöht werden.“

Wer schon so über seine Angestellten denkt, könnte den Laden auch gleich dicht machen. Warum nicht bessere Arbeitsbedingungen schaffen und dies auf Basis des BGE mit den Angestellten aushandeln?