Ein Einkommen zum Auskommen – oder: wie man Neues abwehrt

Im Streitgespräch zwischen Susanne Wiest und Rolf Stöckel (SPD-Sozialexperte) über das bedingungslose Grundeinkommen in Blickpunkt Bundestag (4/2009, zum Gespräch; zum ganzen Heft), dem Magazin des Deutschen Bundestages, wird deutlich, weshalb es nicht nur der SPD so schwerfällt, ein vermeintlich solidarisches Verständnis von sozialer Sicherung à la Hartz IV aufzugeben und die Chancen eines bGEs in Augeschein zu nehmen. Volker Stöckl wehrt vor allem ab und lässt sich auf den Vorschlag nicht ein. Hier wenige Passagen mit kurzen Kommentaren:

„Annähernd 800 Milliarden Euro müsste der Staat im Jahr aufbringen – unmöglich! Utopisch!… Die immensen sachlichen Leistungen des Sozialstaates, etwa für Pflegeheime, Behindertenhilfen und Rehabilitation, werden ignoriert. “ (Stöckel, S. 24 f.).
Ein häufig anzutreffender Denkfehler. 1) Mit einem BGE änderte sich die Einkommenszusammensetzung, die Einkommensströme würden anders organisiert, es käme nicht zum bestehenden ‚oben drauf’ sondern wächst in es von unten hinein (siehe den Film Grundeinkommen). Folglich werden auch die Aufwendungen für die genannten Sachleistungen sich anders zusammensetzen. Was über das BGE hinausgeht, soll keineswegs abgeschafft werden, auch wenn die Kritiker das immer wieder behaupten.

„Stillhalteprämie“ (S. 24).
Ein besonders schöner Einwand, weil er auf den Einwender zurückfällt. Stillgehalten werden kann nur, wer sich stillhalten lässt. Wer also meint, die Menschen würden stillgehalten durch eine Absicherung, die ihnen mehr Freiräume gibt als alles, was wir bislang haben, traut ihnen nicht zu, mündig mit der Freiheit umzugehen. Freiheit ist für ihn offenbar immer eine, zu der man aktiviert werden muss.

„Und wer erwerbsfähig ist, soll seine Arbeitskraft einbringen, selbst wenn sein Einkommen nur wenig über der Bedarfsgrenze liegt. Das liegt auch im Interesse all derjenigen Menschen, die mit ihren Steuern ja den Sozialstaat erst möglich machen.“ (Stöckel, S. 24).
Steuerzahler zählen mehr als Bürger, das ist bezeichnend. Alle diejenigen, die Produkte im Inland kaufen, aber keine Bürger sind, zählen mehr als die Bürger selbst. Eine solche Haltung sollte uns ernsthaft zu denken geben. Apropos: alle zahlen Steuern, auch die Bezieher von Transferleistungen, in dem sie konsumieren, denn im Preis eines Produktes sind alle Steuer- und Abgabenlasten eines Unternehmens enthalten, zusätzlich zur Mehrwertsteuer.

Abschließend eine Anmerkung zu einer Antwort von Susanne Wiest auf den Einwand Rolf Stöckels, der meint, Millionäre brauchen ein bGE nicht.

„Der Millionär bekommt sein Grund einkommen ja nicht monatlich auf sein Konto überwiesen“ (Wiest, S. 26)
Das trifft nur zu, wenn das Grundeinkommen als Steuergutschrift mittels Negativer Einkommensteuer konzipiert wird. Dabei handelt es sich nicht um ein BGE im strengen Sinne, das Bedürftigkeitsprinzip wird beibehalten. Dass rein rechnerisch betrachtet es immer mehr Nettozahler als -empfänger gibt, ändert nichts daran, dass das BGE jedem in Absehung vom Einkommen ausgehändigt wird.

Dass es mit einem bGE nicht darum geht festzustellen, wer ein bGE nötig hat, wie Rolf Stöckel meint, ist eine der größten Barrieren in der Diskussion. Es ist eben nicht vor allem eine Leistung für Bedürftige, sondern eine Anerkennung der Bürger um ihrer selbst willen.

Sascha Liebermann

Wissenschaftliche "Empirie" und Positivismus – "Unsichere Zeiten" in MDR Figaro

Unter diesem Titel diskutierten Adrienne Göhler, Klaus Dörre und Sebastian Sooth am 3. Mai in MDR Figaro unter anderem auch über Grundeinkommen, das vor allem gegen Ende der Sendung zur Sprache kommt. Sie steht als Podcast bereit.

Während sich Adrienne Göhler für ein bedingungsloses Grundeinkommen aussprach, beurteilte Klaus Dörre es von der Warte des „empirischen Sozialforsches“ – darauf wies er wiederholt im Laufe der Sendung hin. Was zeichnet seine Einwände aus?

Sein Verweis darauf, nur von empirisch belegbaren Zusammenhängen ausgehend Einschätzungen vorzunehmen, wünschte man sich häufiger, wenn Wissenschaftler sich zu Wort melden. In seiner Argumentation gegen das bGE allerdings hält er wissenschaftliche Analyse und intellektuelles Plädoyer nicht auseinander. Es ist das eine, aus der „Empirie“ herauszupräparieren, welche Vorstellungen zu sozialer Sicherung gegenwärtig vorherrschen (Wissenschaft). Etwas anderes aber ist es, über andere mögliche Sicherungssysteme nachzudenken und für ihre zukünftige Einführung zu streiten (intellektuelles Räsonnement). Wird dann noch aus Gegenwärtigem – also der Vorstellung z.B., es dürfe keine Leistung ohne Gegenleistung geben – hergeleitet, dass es ein BGE nicht geben werde, weil die Menschen in der Gegenwart es nicht wollen, dann hat dies mit wissenschaftlicher „Empirie“ nichts gemein.

Es bedarf keiner großartigen Untersuchung, um herauszufinden, dass das BGE bislang keinen breiten Rückhalt hat.Verwunderlich ist das nicht, Vielen ist es gar nicht bekannt. Auch kollidiert es mit manchen unserer Überzeugungen. Bei näherer Betrachtung aber ist das BGE gar nicht so weit von der Gegenwart entfernt, wie auch Klaus Dörre meint. Was also möglich ist, hängt davon ab, was wir möglich machen wollen. Dazu bedarf es einer breiten öffentlichen Diskussion, dann werden wir sehen, wie weit wir zu gehen bereit sind.

Was Dörre ganz vernachlässigt, das ist, auf welchen Voraussetzungen wir heute schon leben auch hinsichtlich unserer politischen Ordnung. Daran könnten wir erkennen, dass wir nicht in einer „Arbeitsgesellschaft“ leben, denn die Stellung der Bürger als Souverän ist von Arbeit nicht abhängig, auch ist es die Geltung der Bürgerrechte nicht. Unser Denken hinkt also der Realität unserer politischen Ordnung hinterher. Gerade angesichts 60 Jahre Grundgesetz muss darauf hingewiesen werden.

Statt also gegenwärtige Vorstellungen einfach einzusammeln, sollte die Wissenschaft die Frage beantworten, wie die Diskrepanz zwischen diesen Vorstellungen und der politischen Ordnung zu erklären wäre. Dazu hat Klaus Dörre nichts anzubieten in der Sendung. Auch sagt er nichts dazu, wie sich das BGE zu dieser Ordnung verhält. Dann wird schnell deutlich, dass viele Einwände gegen ein BGE gar nicht das BGE treffen, sondern gegenwärtige Verhältnisse und Problemlagen, sie entstehen also nicht erst mit dem BGE, sondern sind schon da.

Was im Gestus einer wissenschaftlich empirisch gemeinten Stellungnahme auftritt, gerät unter der Hand zur politisch normativen – im Namen von Wissenschaft wird Politik gemacht.

Sascha Liebermann

Verkehrte Welt

Wer kennt ihn nicht, den wiederkehrenden Einwand, ein bedingungsloses Grundeinkommen sei ungerecht, weil dann diejenigen, die weiterhin erwerbstätig sind, diejenigen finanzieren, die es nicht sind. Was so einleuchtend scheint, ist es bei näherer Betrachtung nicht.

Sicher: die Erzeugung von standardisierten Gütern und Diensten, die gekauft werden können, ist wichtig. Wer würde das bestreiten. Ohne diese Güter wäre unser Leben beschwerlicher. Genauso wichtig aber ist auch dasjenige Engagement, das wir stets für selbstverständlich halten, es aber nicht gleichermaßen anerkennen.

Stellen wir uns vor, diejenigen, die sich ohne Bezahlung engagieren, z.B. in Parteien und Initiativen, in Familien und Wohltätigkeitsorganisationen würden ihr Engagement einstellen, nur weil es nicht bezahlt wird. Sie würden dies auch tun, weil sie darüber ungehalten sind, dass andere sich nicht gleichermaßen engagieren. Wahrscheinlich würden wir ihnen entgegenhalten, dass jeder selbst zu entscheiden habe, ob er sich ehrenamtlich oder familial oder wo auch immer engagieren will. Nun ist es aber gerade nicht so, dass die freiwillig oder ehrenamtlich Engagierten über die anderen schimpfen und ihre Untätigkeit beklagen. Sie hätten, vergleicht man ihre Situation mit derjenigen der Helden der Arbeit, durchaus Anlass, sich zu beklagen.

Denn ohne ihr Engagement könnten wir viele Leistungen nicht in Anspruch nehmen, die wir mehr oder weniger selbstverständlich voraussetzen. Wer auf den Fussballplatz geht, um dem lokalen Sportverein zuzuschauen; wer Stadtteilfeste besucht, um ein wenig mit den Nachbarn zu feiern; wer sich über die von einer Bürgerinitiative erwirkten baulichen Veränderungen in verkehrsberuhigten Zonen freut; wer die Dienste der freiwilligen Feuerwehr in Anspruch nimmt usw. usf. – für all das bezahlt er nicht, allenfalls steuert er einen Obulus bei.

Obwohl wir also auf dieses Engagement angewiesen sind und der Freiwilligen bedürfen, reden wir wenig darüber, wie es zu größerer Wertschätzung gelangen könnte, ohne es direkt zu bezahlen und dadurch in Erwerbsarbeit zu verwandeln. Womit hat das zu tun?

Je weniger sich der Nutzen von etwas direkt messen lässt, z.B. durch seinen Verkaufswert, desto weniger neigen wir dazu, es als Leistung anzuerkennen. Je weniger es in bestehende Schubladen passt, desto mehr zweifeln wir am Sinn einer Tätigkeit. Ist das nun das Problem derer, die dennoch sich dort weiter engagieren wollen, wo sie es für wichtig und richtig erachten, oder ist es das Problem der Helden der Erwerbsarbeit, die den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen?

Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde Wertschätzung zum Ausdruck bringen, ohne dieses Engagement in Erwerbsarbeit zu verwandeln, Wertschätzung durch solidarische Ermöglichung, das ist der Weg, den das BGE vorschlägt.

Sascha Liebermann

Wer alles in einen Topf wirft, kommt denkend nicht voran – zum Beitrag "Das Bürgergeld – Der Frontalangriff gegen den Sozialstaat"

Auf den Nachdenkseiten war ein Beitrag zu Bürgergeld und bedingungslosem Grundeinkommen von Jo Seeberger (siehe auch „Initiative gerechte Marktwirtschaft“) zu lesen. Der Beitrag ist derart undifferenziert und bezieht sich beinahe mutwillig nur auf die „Spar“-Varianten des BGE, als solle Wind gegen den Vorschlag im allgemeinen gemacht werden. In der Vergangenheit haben sich die Nachdenkseiten kaum mit dem BGE beschäftigt und es einfach unter der Rubrik neoliberal verbucht, ein dort häufig verwendeter Kampfbegriff.

Wundern kann einen, dass die Nachdenkseiten, die sich bemühen, eine Gegenöffentlichkeit zum politischen Zeitgeist zu fördern und einen reichen Fundus an Informationen dazu bereitstellen, einen solchen Beitrag unkommentiert veröffentlichen.

Sascha Liebermann hat aus diesem Anlass eine Brief an die Redaktion geschrieben, in dem er auf den Beitrag eingeht.

Brief an die Nachdenkseiten 21.4.2009.pdf

In einer früheren Replik auf Albrecht Müllers Beitrag „Entscheidend ist, was wächst“ (Frankfurter Rundschau) wurde zu dessen Beurteilung des BGE schon Stellung bezogen.

Liebermann – Bürgervergessen. Replik auf Albrecht Müller – 7-2005

Soziale Unruhen? – Über Duldsamkeit und Leidensfähigkeit

Jüngst haben Prognosen oder besser Prophezeiungen für Empörung gesorgt, dass womöglich in Deutschland mit Unruhen zu rechnen sei. Verantwortungslos (auch hier) seien solche Einschätzungen, sie könnten heraufbeschwören, was sie vorhersagen, meinen die Kritiker.

Spricht in der Gegenwart etwas dafür, dass es bald zu Unruhen kommen könnte? Durch Vorträge über das bedingungslose Grundeinkommen kommt man viel herum. Dabei trifft man gerade Menschen, die sich Gedanken machen oder mit dem Gegenwärtigen unzufrieden sind und nach Auswegen suchen. Ins Auge sticht dabei die Duldsamkeit, mit der wir uns Vieles gefallen lassen. Zu dieser Duldsamkeit fügen sich häufig Feindbilder. Es werden Zustände kritisiert, für die Interessengruppen verantwortlich gemacht werden. Sie seien so mächtig, hört man dann oft, dass Veränderungen aussichtslos sind.

Was wie eine kritische Bemerkung erscheint, erweist sich zum einen als Verantwortungsvermeidung, zum anderen als zynisch. Mit einer solchen Haltung bestätigen wir gerade diejenigen, die eine Basta-Politik betreiben, die uns suggerieren, es gebe keine Alternativen – wenn man sie nicht will, dann gibt es sie auch nicht.

Und zuguterletzt das Misstrauen. Selbst unter Grundeinkommensbefürwortern wird immer gefragt, ob wir schon fähig seien, die Verantwortung zu tragen, die das BGE uns gibt? Ja, wer denn sonst, wenn nicht wir? Ein Schweizer, dem die Frage gestellt würde, ob er zur Demokratie schon reif genug sei, würde uns – zurecht – den Vogel zeigen. Das BGE ist ein zutiefst demokratische Angelegenheit.

Symptomatisch ist auch der Mangel an Selbstkritik, auf den man stößt. Haben wir etwa Hartz IV gute Alternativen entgegengehalten? Haben wir etwa uns lautstark gegen die Privatisierung öffentlicher Aufgaben gewandt? Haben wir bzw. haben sich die Universitäten etwa gegen den Bologna-Unsinn gewehrt? Nach tragfähigen Gegenvorschägen konnten wir lange suchen, Einzelne allenfalls finden wir vor. Darüber können auch die gerne ztitierten Umfragen, denen zufolge so und so viele Deutsche gegen Hartz IV, die Rente mit 67 oder sonstiges seien, nicht hinwegtäuschen. Mit diesen Umfragen macht man sich die Lage schöner als sie ist. Es ist leicht kritisch zu sein, wenn es folgenlos ist. Mir scheint vielmehr, dass wir enorm leidensfähig, weil wir ein so ambivalentes Verhältnis zu unserer freiheitlich demokratischen Ordnung haben.

Das Ohnmachtsempfinden, dem man allerorten begegnet, hat seinen Grund auch in einer Selbstentmachtung. Wo es an Lösungen mangelt, wo man den Eindruck gewinnt, dass unsere Politiker nicht unsere Interessen im Sinne des Gemeinwesens vertreten, müssen wir uns einmischen, statt nörgelnd über sie herzuziehen. Wenn wir hingegen unser Meinung nicht öffentlich kundtun, wenn wir uns nicht z.B. in Initiativen organisiert gegen eine Politik der Intransparenz, wie sie angesichts der sogenannten Finanzkrise vorherrscht, wenden, dann wird sich auch nichts ändern. Wundern sollten wir uns darüber auch nicht.

Sascha Liebermann