Warum nicht beide Seiten der Medaille benennen? Ralf Krämer über das Pilotprojekt Grundeinkommen

Ralf Krämer (siehe auch hier), Ver.di, schreibt darüber auf der Seite von Makronom. Der Beitrag reagiert auf einen von Jürgen Schupp, der Grenzen und Möglichkeiten des Pilotprojekts Grundeinkommen, das Mein Grundeinkommen im August lanciert hat, auslotet. In Variation eines Sprichwortes könnte man hier sagen, die Sprache macht die Musik und zeigt die Richtung an, aus der gedacht wird. Man nehme diese Formulierung:

„Das grundlegende Problem ist folgendes: Egal wie ein BGE und seine Finanzierung konkret aussehen würde, immer wäre es so, dass auf irgendeine Weise die über ein BGE verteilten Einkommen bzw. ihre Kaufkraft bei anderen Einkommen durch höhere Steuern oder Abgaben eingesammelt oder durch geringere Sozialleistungen und andere öffentliche Ausgaben kompensiert werden müssten.“

Warum ist das ein „Problem“? Es wäre lediglich so, wie Krämer schreibt, dass dieses Geld eben „eingesammelt“ werden müsste. Auch heute muss die Finanzierung von Sozialleistungen eingesammelt werden und selbst die Ansprüche an die Sozialversicherungen werden durch einen Generationenvertrag ermöglicht, d. h. die Ansprüche werden nicht von denen bedient, die sie selbst beziehen. Darüber hinaus ist die lapidare Feststellung, dass dies durch „geringere Sozialleistungen und andere öffentliche Ausgaben kompensiert werden“ müsste, nur die Hälfte des Ganzen. Ein BGE in der genannten Höhe würde etliche Leistungen schlicht überflüssig machen, sie könnten umstandslos wegfallen, andere hingegen nicht. Wenn ein BGE bestimmte Leistungen ersetzen kann, sind sie nicht mehr nötig – oder soll das anders gemeint sein?

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„Bedingungsloses Grundeinkommen klingt schön, ist es aber nicht“…

…unter diesem Titel fasst Norbert Häring eine Stellungnahme des verdi-Bundesvorstands zum Bedingungslosen Grundeinkommen zusammen (Langfassung). Häring teilt die Einschätzung, was seiner eigenen Stellungnahme zum BGE aus dem Jahr 2015 entspricht. Damals stellte er schon fest, dass es sich um eine „schlechte und in sich widersprüchliche Idee“ handelt. Ich verfasste darauf eine Entgegnung, auf die Norbert Häring wiederum reagierte. Ein aufschlussreicher Disput war das, der zeigt, dass es bei volkswirtschaftlichen Fragen um viel mehr als um „Wertschöpfung“ und „Erwerbsarbeit“ geht. Ein weiteres Mal antwortete ich allerdings nur, um einen bestimmten Aspekt herauszuheben, und zwar die Frage, ob es bei Existenzsicherungsleistungen um Großzügigkeit oder einen Rechtsanspruch geht.

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Grundeinkommen auf dem Ver.di Bundeskongress 2011

Gleich mehrere Anträge, auch wenn sie abgelehnt wurden, haben sich auf dem 3. Ver.di Bundeskongress mit dem Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens befasst. Für diejenigen, die in den Gewerkschaften die Diskussion voranbringen wollen ist das ein gutes Zeichen. Zu den Anträgen geht es hier: Ver.di Bundeskongress 2011 – Sachgebiet B: Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik. Zum Protokoll der Diskussion um den Antrag, der für eine Ablehnung des Grundeinkommens plädiert geht es hier (Tagesprotokoll com 23.9., Protokollteil 23, ab S. 27).

Schon 2007 gab es Beschlüsse zum bGE, mit denen es abgelehnt wurde: Ver.di Info bGE

Verdi-Broschüre zum Grundeinkommen

Die November-Ausgabe 2010 von „verdikt. Mitteilungen der Fachgruppen Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in ver.di“ hat sich mit dem Grundeinkommen befasst. Darin ist ein Beitrag von Wolfgang Spellbrink, Richter am Bundessozialgericht enthalten, an dem sich ablesen lässt, wie die Auseinandersetzung über das Grundeinkommen dort geführt wird. Vergleichbar argumentiert auch Christoph Butterwegge, von dem ebenfalls in dieser Ausgabe von „verdikt“ ein Beitrag abgedruckt ist. Wer weiteren Einblick in die Debatte mit den Gewerkschaften sucht, findet ihn im Buch „Arbeit und Freiheit im Widerspruch? Bedingungsloses Grundeinkommen – ein Modell im Meinungsstreit“.

Wer von der Gemeinschaft Geld bekommt…

…der muss demnächst „Bürgerarbeit“ leisten. Damit macht Bundesministerin von der Leyen ernst mit den Ankündigungen von Anfang dieses Jahres. Vielleicht ein später Erfolg des Soziologen Ulrich Beck, der Bürgerarbeit (siehe auch hier) einst ins Gespräch gebracht hat?

Über Reaktionen von Gewerkschaftsseite darf gestaunt werden. In einer Pressemitteilung des DGB heißt es: „Zudem kritisiert der DGB, dass die Bürgerarbeit nicht auf freiwilliger Teilnahme beruht, was in aller Regel Erfolg versprechender ist, sondern im Fall der Ablehnung scharf sanktioniert werden soll.“ – Bitte, lesen wir recht? Freiwillige Teilnahme? Das klingt beinahe so, als fordere der DGB bald ein bedingungsloses Grundeinkommen. Dabei kritisiert er etwas, das für ALG-I- und ALG-II-Bezieher das Selbstverständlichste ist: unter der Androhung von Sanktionen leben zu müssen. Hat er das vergessen? Willkommen in der Gegenwart.

Laut Leipziger Internet Zeitung wird von Ver.di und einer Stadträtin der Linkspartei das Workfare-Prinzip kritisiert, dem die Bürgerarbeit folge. Ihre Maxime sei, dass es „Keine Leistung ohne Gegenleistung“ gebe. Das aber gilt seit dem Bundessozialhilfegesetz 1961 und ist mit im Zuge der Agenda 2010 nur verschärft worden. Sozialhilfe war nie zum Ausruhen gedacht oder dazu herauszufinden, wie man leben will. Sie beinhaltete stets die Verpflichtung, wieder aus ihr hinauszugelangen.

Während Verdi nicht im Verdacht steht, ein bedingungsloses Grundeinkommen zu befürworten, denn nur mit ihm gäbe es keine Erwerbsverpflichtung, so gibt es bei der Linkspartei zumindest ein paar Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens. Doch davon ist in der Zeitungsmeldung nicht die Rede. Stattdessen wird der Bürgerarbeit eine repressionsfreie Mindestsicherung gegenübergestellt. „Repressionsfrei“ – klingt liberal. Tatsächlich handelt es sich um eine Leistung, die dem Bedürftigkeitsprinzip folgen soll. Sie ist zwar als Individualanspruch konzipiert, dennoch wird die Leistung mit dem Haushaltseinkommen verrechnet. Damit bleibt vom Individualprinzip nichts übrig. Selbst wenn es anders wäre, dann bleibt dennoch die Erwerbsverpflichtung als normatives Ideal erhalten – also würde sich auch damit nicht grundsätzlich etwas ändern. Wo „repressionsfrei“ drauf steht, muss also nicht Repressionsfreiheit drin sein.

All dies wäre der Erwähnung nicht wert, denn es handelt es nicht um Neuigkeiten von der Arbeitsfront. Indes sind sechs Jahre Grundeinkommensdiskussion vergangen und bei den Parteien hat sich nichts getan. Oder werden etwa die Grünen sich nun als Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens ‚outen‘? Da müssen wir keine Sorge haben, es gibt ja den Bundesvorstand.

Für die Befürworter eines bGEs kann das nur heißen: noch mehr öffentliche Veranstaltungen, Diskussionen, Filmvorführen, Info-Stände, Aktionen jeglicher Art organisieren, um auf das bGE aufmerksam zu machen. Es gilt, nicht zu verzagen, denn die Erfolge der Grundeinkommensdiskussion sind erheblich, das bGE hat seinen festen Platz in der öffentlichen Debatte, das war 2004 noch kaum vorstellbar. Das reicht aber nicht.

Sascha Liebermann