…Beitrag bei Internationale Politik und Gesellschaft. Im Original spricht der Titel davon, dass Universal Basic Income eine „bad idea“ sei, die Passage über „Brot und Spiele“, aus der der deutsche Titel gezimmert ist, findet sich dort am Ende. Die Übersetzung verschiebt den Fokus des Beitrags also zu Beginn schon auf die Stilllegungsprämie in der deutschen Diskussion. Der Autor, ein bekannter Professor für Wirtschaft am MIT in Boston, wartet dann jedoch mit Einwänden auf, die mindestens einseitig sind. Ausgaben für ein Bedingungsloses Grundeinkommen stellt er nicht mögliche Einnahmen und andere positive Auswirkungen gegenüber. Dann schreibt er:
„Das bedingungslose Grundeinkommen jedoch ist eine fehlerhafte Idee, nicht zuletzt, weil es – sofern es nicht mit tiefen Einschnitten in das übrige Sicherheitsnetz einherginge – unbezahlbar wäre. In dem USA (Bevölkerung: 327 Millionen) würde ein bedingungsloses Grundeinkommen von bloßen 1.000 Dollar pro Monat etwa vier Billionen Dollar jährlich kosten. Das ist fast so viel wie der komplette Bundeshaushalt des Jahres 2018. Ohne erhebliche Kosteneinsparungen müsste man das US-Bundessteueraufkommen verdoppeln, was der Volkswirtschaft enorme Kostenverzerrungen aufbürden würde. Und nein: Ein bedingungsloses Grundeinkommen ließe sich auf Dauer nicht über Staatsanleihen oder die Notenpresse finanzieren.“
Um die Frage der Finanzierbarkeit zumindest abschätzen zu können, sei hier das Gross Domestic Product der USA in 2018 erwähnt: es betrug $20.50 trillion (also rund 20 Billionen US Dollar) nach Angaben des Bureau of Economic Analysis. Das Net National Income (Volkseinkommen) lag bei etwa 16,7 Billionen. Ein BGE würde also Acemoglu zufolge etwa ein Viertel der Wertschöpfung kosten – unbezahlbar oder nicht erwünscht? Wenn Steuern dazu dazu dienen, Einkommen bereitzustellen, damit also Kaufkraft, wäre das für die Binnenwirtschaft doch äußerst hilfreich. Acemoglu äußert sich hierzu nicht. Dass Steuern auf Einkommen verzerrend wirken, ist dort zu lesen, ja, hielte er denn gar keine Steuern für besser? Oder nur keine Steuern auf Einkommen?
Dann verweist er auf die Negative Einkommensteuer, die viel günstiger sei – auf diesen Mythos allerdings hat Gregory Mankiw schon hingewiesen, siehe hier.
Hier nun die Passage über „Brot und Spiele“:
„Genauso wichtig ist, dass diese Lösungen eine demokratische Politik nutzen. Dasselbe kann man vom bedingungslosen Grundeinkommen nicht sagen, denn dies kommt von oben, als Methode zur Ruhigstellung der unzufriedenen Massen. Es stärkt weder die Menschen, denen es helfen soll, noch fragt es sie auch nur nach ihrer Meinung. (Wollen Arbeitnehmer, die ihre Mittelschichtarbeitsplätze verloren haben, staatliche Transferleistungen oder eine Chance auf einen neuen Arbeitsplatz?) Insofern erinnern Vorschläge eines bedingungslosen Grundeinkommens stark an „Brot und Spiele“, wie sie im Römischen und im Byzantinischen Reich zum Einsatz kamen – Almosen, um die Unzufriedenheit zu entschärfen und die Massen zu besänftigen, statt ihnen wirtschaftliche Chancen und die Möglichkeit zur politischen Teilhabe zu bieten.“
Auch Acemoglu also ein Anhänger der Stilllegungsthese, was voraussetzt, dass die Bürger sich stilllegen lassen. Es komme „von oben“ das BGE, dabei kommt in der Demokratie letztlich alles stets von unten, zumindest was seine Legitimation betrifft, insofern also verkehrt Acemoglu die Verhältnisse, denn nichts ist von Bestand, was keine Gefolgschaft findet, ganz gleich welcher Art sie ist. Weshalb stärkt ein BGE nicht diejenigen, „denen es helfen soll“? Das bleibt eine Behauptung und geflissentlich übersieht der Autor, welche stigmatisierenden Effekte alle bedarfsgeprüften Systeme haben. BGE und Arbeitsplatz bilden keinen Gegensatz, das eine schließt das andere nicht aus, ein BGE erweitert aber die Möglichkeiten. Hier wird, wie in Passagen zuvor, womöglich der amerikanische Hintergrund der Diskussion deutlich, die ausgeprägte Staatsaversion. In der letzten Passage widerspricht sich Acemoglu selbst:
„Viele aktuelle soziale Probleme haben ihre Wurzeln in unserer Vernachlässigung des demokratischen Prozesses. Die Lösung besteht nicht darin, ausreichend Brosamen zu verstreuen, um die Leute zu Hause zu halten, abzulenken und anderweitig ruhigzustellen. Vielmehr müssen wir die demokratische Politik zu neuem Leben erwecken, bürgerliches Engagement stärken und uns um kollektive Lösungen bemühen. Nur mit einer mobilisierten, politisch aktiven Gesellschaft können wir die Institutionen errichten, die wir für unseren künftigen gemeinsamen Wohlstand brauchen, und zugleich die am stärksten Benachteiligten unter uns schützen.“
Wenn Acemoglu von „unserer Vernachlässigung“ spricht, meint er da nun alle Bürger oder nur Eliten? Im Folgesatz wiederum setzt er sich über die Bürger, von denen er behauptet, sie ließen sich ruhigstellen. Zugleich aber will er sie aufrufen, die Demokratie zu stärken, wie soll das gehen, wenn sie sich so einfach ruhigstellen lassen? Bürgerliches Engagement stärken, aber nicht auf diejenigen vertrauen, um die es geht? Eine sonderbare Pirouette, die er da dreht. Letztlich klingt das nach einer Art aktivierenden Bürgerengagementpolitik von oben, denn auf die Bürger von unten ist ja, nach seinem Bekunden, kein Verlass.
Sascha Liebermann