Vor kurzem habe ich einen Beitrag von Georg Vobruba zum Bedingungslosen Grundeinkommen kommentiert, veröffentlicht wurde er im Standard aus Wien. Vobruba wirft darin Fragen auf, die ins Zentrum der Grundeinkommensdebatte führen, geht aber davon aus, dass diese Fragen in der Debatte gar nicht gestellt oder genügend behandelt werden. Wie er darauf kommt, bleibt offen. Andere Fragen – Vobruba spricht von der „Arbeitssozialisation“ – haben erhebliches Gewicht und lassen sich nicht mit Verweis auf etwaige Folgen der Digitalisierung erledigen. Genau das klingt bei Christian Tod allerdings in seinem Beitrag „Grundeinkommensskeptiker in der Nostalgiefalle“ an, der unter anderem eine Entgegnung auf Georg Vobruba ist.
Tod reagiert zuerst auf Ausführungen der Arbeitssoziologin Annika Schönauer und zitiert folgende Passage:
„Ob es natürlich sinnvoll ist, alle Berufe, die technologisch ersetzt werden können, auch tatsächlich zu ersetzen, ist natürlich die wichtige Frage, die dahintersteht“.
Das ist der Aufhänger für seine weiteren Ausführungen, die sogleich darein münden, darauf hinzuweisen, wie diese Frage seit dem Zweiten Weltkrieg beantwortet wurde, und zwar mit dem Schaffen „sinnlose[r] Jobs“, die „keinen Mehrwert brachten oder sogar schadeten“. Tod nutzt dies als Absprung für seine Ausführungen, ohne aber die angemessene Frage Schönauers ebenfalls aufzunehmen. Gerade in der Diskussion um etwaige Folgen der Digitalisierung herrscht eine doppelte Einseitigkeit, entweder der Übertreibung auf der einen oder des Herunterspielens auf der anderen Seite. Die Frage, wo die Subsitutierung menschlicher Arbeitskraft sinnvoll ist, lässt sich nicht so einfach beantworten, denn es gibt sowohl praktisch sinnvolle wie nicht sinnvolle Nutzung von Automatisierungsmöglichkeiten. Es ist nämlich durchaus möglich, Automatisierungsmöglichkeiten einzusetzen, wo es praktisch nicht sinnvoll ist. Tod geht es jedoch um etwas anderes.
„Wir erfänden Jobs wegen der falschen Vorstellung, dass jeder mit stumpfsinniger Plackerei beschäftigt sein müsse, weil er nach malthusianisch-darwinistischer Theorie sein Recht zu existieren rechtfertigen müsse.“
Er verweist auf die von David Graeber als „Bullshit Jobs“ – den Heizer auf der E-Lok – bezeichneten Tätigkeiten, die nur deswegen entstünden bzw. aufrechterhalten würden, weil Arbeitsplätze höher angesehen seien als „wirtschaftliche Effizienz und Innovation“. In der Tat ist das ein Phänomen, das sich nur verstehen lässt, wenn der Stellenwert von Erwerbstätigkeit nicht mehr an Leistung, an Gütern und Dienstleistungen, gemessen, sondern um ihrer selbst willen für wichtig gehalten wird. Ich würde dies aber weniger damit erklären, dass eine Theorie diese praktische Haltung hervorgebracht hat, die Theorie liefert eher Versatzstücke um diese Haltung zu begründen. Das erklärt jedoch nicht, weshalb sie so verbreitet ist. Eher könnte das so erklärt werden, dass sich praktische Haltungen Theorien, also Begründungen, suchen, die sie zu ihren Gunsten anführen können.
Dann kommt er auf den Beitrag Vobrubas zu sprechen und ordnet dessen Ausführungen ein. Ich möchte hier nur auf eine Passage eingehen, die für Tods Deutung aufschlussreich ist. Er bezieht sich dabei auf Hannah Arendts Überlegungen zu „Labor“, „Work“ und „Action“, auf die Vobruba anspielt:
„Freiheit durch politisches Handeln bringt den Sinn in menschliches Leben. Gerade diese, nach Arendt wichtigste Aktivität der „Vita Activa“, würde durch ein Grundeinkommen massiv gestärkt. Beim Grundeinkommen geht es nicht primär um Geld – Grundeinkommen bedeutet mehr politische Handlungsfähigkeit und mehr Macht für die Einzelne und den Einzelnen. Wir sehen die Dinge nicht wie sie sind, wir sehen sie so wie wir sind Und hier ist zugleich das Problem: Viele Menschen können sich ein Leben mit dieser Freiheit nicht vorstellen. Sie sind darauf konditioniert, Sinn ausschließlich in ihrer Lohn- und Reproduktionsarbeit zu finden. Sie fühlen sich wohl in ihrer geregelten Komfortzone und scheuen davor zurück, Verantwortung zu übernehmen. Veränderungen sind für sie eine Bedrohung. Alles soll so bleiben, wie es ist, oder sie wollen dorthin zurück, wo es vermeintlich einmal besser war. Das politische Handeln wird an einige Wenige delegiert.“
Tods Ausführungen erhalten hier kulturkritische Züge. Zuerst hebt er hervor, wie bedeutsam „politisches Handeln“ ist, das würde ich ähnlich sehen, aber nicht so vereinseitigen, denn Reproduktion („Labor“) und Produktion („Work) sind gleichermaßen von Bedeutung, wenn auch jeder Bereich auf seine eigene Weise. Man kann es als Problem ansehen, dass Arendt durch ihre Begrifflichkeit eine Hierarchisierung nahelegt, als erfülle sich das Menschsein erst in „Action“. In der Tat würde ein BGE Macht verlagern, wenn die Eigene Existenz nicht mehr unmittelbar von eigener Erwerbstätigkeit abhängig wäre. Wenn Tod aber davon schreibt „Viele Menschen können sich ein Leben mit dieser Freiheit [die das BGE schafft, SL] nicht vorstellen. Sie sind darauf konditioniert, Sinn ausschließlich in ihrer Lohn- und Reproduktionsarbeit zu finden“, stellt sich die Frage, wie „konditioniert“ hier zu verstehen ist. Darüber hinaus wäre zu fragen, weshalb sie es sich nicht vorstellen können? Von Konditionierung zu sprechen unterschlägt oder verdeckt, dass Fragen der Werthaltung Fragen von Gerechtigkeitsvorstellungen sind, die sich nicht durch „Konditionierung“ ausbilden. Vollends kulturkritisch wird es, wenn er den „Menschen“ vorhält, nicht aus ihrer „Komfortzone“ herauszuwollen, anstatt deutlich zu machen, dass es immer eine Herausforderung ist, das Vertraut zu verlassen, ohne zu wissen, wohin das Verlassen des Vertrauten führt. Das Leben im Alltag bevorzugt Kontinuität und Verlässlichkeit – das ist kein Phänomen der Gegenwart. Deswegen ist es nötig, für einen Vorschlag wie das BGE durch Argumente zu werben, statt Vorhaltungen zu machen.
Weiter schreibt Tod:
„Diese – teilweise reaktionäre – Neophobie ist dafür verantwortlich, dass die kulturelle Entwicklung der technologischen hinterherhinkt. Der Physiker und Historiker Thomas Kuhn, der den Begriff „Paradigmenwechsel“ eingeführt hat, stellte die These auf, dass neue Ideen, auch wenn sie bewiesen sind, erst dann umgesetzt werden, wenn jene Generation, die sie als neu betrachtet, stirbt.“
Hier setzt er diese Argumentationslinie fort und hält denen, die nicht weiterwollen vor, „reaktionär“ zu sein. Technologie implementiert sich nie von selbst, sie war immer schon davon abhängig, kulturell als sinnvoll gedeutet werden zu müssen, das galt schon für die Erfinderung der Wassermühle, deren Nutzung, wie der Historiker Marc Block zeigte, erst sehr viel später erfolgte. Das Hinterherhinken ist also nichts, was überwunden werden könnte. Das Gegenteil davon ist die Überladung von Technologie als Weltverbesserungsinstrument als solches.
Gegen Ende des Beitrags kommt Tod noch einmal auf die „Kultur der Schaffung von Arbeitsplätzen“ zu sprechen, die „wichtiger als wirtschaftliche Effizienz und Innovation“ sei. Das ist in der Tat eine Folge dessen, Erwerbstätigkeit so stark normativ aufzuladen, wie er es eingangs schildert.
Vobruba wirft er dann vor, in der Nostalgiefalle zu sitzen:
„Wenn Vobruba am Schluss seines Beitrags die Erfindung der Dampfmaschine mit der heutigen Entwicklung vergleicht, sitzt er in der Nostalgiefalle. Das Argument, dass der Gesellschaft durch den technischen Fortschritt die Arbeit abhanden kommt, ist tatsächlich uralt. Unsere Kultur konnte die Entwicklung mit der Schaffung von „Bullshit Jobs“ weitgehend aufhalten. Allerdings ist es ein Unterschied, ob unsere Muskeln durch Maschinen ersetzt werden, oder unsere Gehirne.“
Er wirft Vobruba vor, einen unbrauchbaren Vergleich zwischen alten und neuen Technologien gezogen zu haben, denn es gehe nun nicht mehr darum, „Muskeln“ durch Maschinen zu ersetzen, sondern „Gehirne“. Und die Belege dafür? Vobruba fordert genau solche ein und sagte keineswegs, dass es nicht so kommen könne, doch bleibt das Spekulation im schlechten Sinne. Tod scheint aber dem Digitalisierungshype aufzusitzen, sonst müsste er an dieser Stelle doch Vobrubas Zurückhaltung begrüßen, ohne dass diese Zurückhaltung ein Argument gegen das BGE wäre. Das BGE ist ja gerade von der Digitalisierung unabhängig, es braucht sie nicht notwendig, gleichwohl wäre es, falls die Folgen einträten, die manche heute mit der Technologie verbinden, eine Antwort darauf. Wenn sie nicht einträten, hätte es immer noch seine Berechtigung, aber politisch, weil die Bürger in der Demokratie schon heute ihre Legitimationsgrundlage bilden und im Zentrum stehen. Ganz einfach deswegen.
Siehe auch meine Kommentare zu dieser Debatte hier und hier.
Sascha Liebermann