…damit wirbt die Partei Die Linke auf ihrer Website. Der Text ist ein Ausschnitt aus dem Programm zur Bundestagswahl im September. Wie in programmatischen Aussagen nötig, geht es vollmundig zu, das weist die Richtung, in die die Vorschläge weisen, wenn es z. B. heißt:
„Ohne leistungsfähigen Sozialstaat keine funktionierende Demokratie“.
So wird man dem im allgemeinen durchaus zustimmen können, doch heißt das, bislang lebten wir nicht in einer Demokratie? Das würde zu weit gehen. An anderer Stelle ist zu lesen:
„Wir wollen ein neues Betriebssystem des Sozialen: eine öffentliche Infrastruktur, die Armut abschafft, Demokratie mit sozialer Sicherheit fördert und Umverteilung von Oben nach Unten schafft“.
Im Tech-Neudeutsch wird ein neues Betriebssystem eingespielt, aber woher stammt es, worauf beruft es sich? Lässt sich Armut wirklich abschaffen? Das gilt doch allenfalls für die Armut, die lediglich aus Einkommensmangel besteht, für anders begründete nicht.
Treffend ist die Kritik an Niedriglöhnen, Sanktionen und der Maschinerie von Hartz IV. Dann folgt dies:
„Jedes Jahr wachsen Wohlstand, Wissen und Reichtum. Längst wäre ein besseres Leben für alle Menschen möglich: sinnvolle Arbeit, mehr Freizeit, sicheres Leben. Doch jeder soziale Fortschritt muss dem Kapital abgetrotzt werden. Immer noch. Einkommen und Vermögen von Superreichen und der Konzerne beruhen nicht auf eigener Arbeitsleistung, sondern auf Aneignung fremder Arbeit. Anders als es die Neoliberalen behaupten, herrscht nicht das Leistungsprinzip. Sie sagen „Leistung“, aber meinen ihren finanziellen Erfolg und die Anerkennung von Marktergebnisse als „gerecht“.“
Eigene versus fremde Arbeitsleistung – diese Entgegensetzung ist interessant, gilt aber für Arbeitsprozesse im Allgemeinen. Es gibt keine eigene Leistung, die nicht von fremder Leistung lebt. Hier wird also ein Vorurteil gepflegt, das allerdings überall anzutreffen ist, man denke nur an das Motto „von seiner eigenen Hände Arbeit leben“. Diese Verkürzung zu kritisieren ist wichtig und richtig, sie zu reproduzieren zeigt, in welchem Widerspruch hier das Programm noch steckt. Es kann nur um die Frage gehen, wie der Anteil an dem Wertschöpfungs- bzw. Leistungserfolg verteilt wird, nicht ob er durch eigene oder Aneignung fremder Arbeit erzielt wurde. Dass die Interessen der Finanzmärkte nicht mit den Zielen von Unternehmer bzw. unternehmerischem Handeln identisch sind, ist keine neue Einsicht. Unternehmer kommen hier aber gar nicht vor oder werden einfach der Kapitalseite zugeschlagen.
Einzelne Punkte ließen sich noch diskutieren, ich will nur zwei herausgreifen:
„Wir wollen den Sozialstaat als System des Zusammenhalts: Er schafft die Strukturen, die die Menschen in der Gesellschaft verbinden, deshalb produziert er „Kohäsion“ – das Gefühl, dass alle Menschen Teil dieser Gesellschaft sind. Deshalb ist unser Sozialstaat inklusiv: Er richtet sich an alle, die hier leben. Die Menschenwürde ist unteilbar und sie kennt keine Unterschiede nach Herkunft oder Pass.“
Nicht der Sozialstaat schafft Zusammenhalt, er unterstützt nur den Zusammenhalt, der durch die politische Vergemeinschaftung der Bürger gestiftet und durch Rechte abgesichert wird. Auf diese Weise, durch vorbehaltlose Anerkennung der Bürger als Bürger sind diese miteinander verbunden im Gemeinwesen, das ist die maßgebliche „Kohäsion“. Dass die Menschenwürde unteilbar ist, ist zwar richtig, zugleich aber abstrakt, denn die Menschenwürde wird nur dann zur Richtschnur des Handelns, wenn sich ein Gemeinwesen zu ihr bekennt. Es gibt eben auch Gemeinwesen, die das nicht tun, dort ist sie keine Richtschnur. Insofern ist also die Achtung der Menschenwürde nur dort realisiert, wo sie in die Lebenspraxis als ethische Maxime und in die Institutionen integriert ist. Der „Pass“ ist nicht nur ein Papier, sondern Ausdruck von Zugehörigkeit und Anerkennung dieser Zugehörigkeit, also Anerkennung der Bürger als Träger der politischen Ordnung. Es ist interessant, wie diese politische reale, ganz konkrete Dimension durch den Vergleich zum „Pass“ herabgewürdigt wird.
An einer weiteren Stelle heißt es:
„Existenzangst abschaffen. Mit einer solidarischen Mindestsicherung von 1.200 Euro für jede/jeden und in jeder Lebenssituation, in der es gebraucht wird. Sanktionen und entwürdigende Antragsverfahren werden abgeschafft. Das Bundesverfassungsgericht hat schon 2019 darauf hingewiesen: Das Grundrecht auf soziale Teilhabe muss auch für Bezieher:innen von Grundsicherungsleistungen umgesetzt werden. So werden Armut und Existenzangst nicht nur milder verwaltet, sondern überwunden – und damit auch der Zwang schlechte Arbeit zu Niedrigstlöhnen anzunehmen.“
Diese Mindestsicherung ist also eine, die beantragt oder deren Bedarf festgestellt werden muss, denn greift nur in „Lebenssituationen“, in denen sie „gebraucht“ wird. Oder ist das nur ungeschickt ausgedrückt? Wenn es keine Sanktionen mehr geben soll, dann klingt dieser Vorschlag ganz nach der Garantiesicherung, die Robert Habeck vorgeschlagen hat. Es dürfte dann nur noch ermittelt werden, ob ein Einkommensbedarf vorliegt, Erwerbsbereitschaft dürfte keine Rolle spielen. Dann erst kann auf Sanktionen verzichtet werden. Weshalb dann aber nicht gleich ein Bedingungsloses Grundeinkommen einführen, dass ganz auf Bedarfsfeststellung verzichtet?
Sascha Liebermann