"Der totalitäre Wohlfahrtsstaat" – Oskar Negt über das Grundeinkommen in "Kulturzeit" (3Sat)

Die gestrige Sendung von Kulturzeit beschäftigte sich u.a. mit der von einem Beitrag Peter Sloterdijks (in der FAZ) angestoßenen Diskussion um den Wohlfahrtsstaat. In einem Kurzinterview mit Oskar Negt zum Thema kommt auch die Sprache auf das „Grundeinkommen“ oder vielleicht eher die „Grundsicherung“? Nein, es ging doch um das bedingungslose Grundeinkommen, was jedoch nur deutlich wurde, weil die aufmerksame Moderatorin nachhakte.

Damit hat Oskar Negt seine Position revidiert, denn in 2004 äußerte er sich in der Frankfurter Rundschau noch anders: „Würde man nun das Grundeinkommen, das gewiss nicht üppig ausfallen dürfte, mit einem Honorar für Wahlbeteiligung verbinden – wäre das nicht eine Lösung des Apathie- Problems, das so viele Politiker beklagen?“ (Frankfurter Rundschau vom 30. Juli 2004).

Also doch ein niedriges Grundeinkommen und weshalb? Diese Antwort blieb Oskar Negt damals schuldig und auch nach der gestrigen Sendung ist nicht klar, ob es nun höher ausfallen darf, denn er betonte immer, wieviel sichdamit sparen ließe.

Sascha Liebermann

„Bedingungsloses Grundeinkommen : als Antwort auf die Krise der Arbeitsgesellschaft“ – Sammelband online

Unter diesem Titel ist nun ein von Manuel Franzmann herausgegebener Sammelband online verfügbar, der auf einen Workshop an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt im Juli 2006 zurückgeht.

"Politik muss notwendige Härte haben" – so Roland Koch

Nun sieht auch Roland Koch wieder die Stunde der „Abschreckung“ gekommen. In einem Interview mit der Wirtschaftswoche vom 16. Januar äußert sich der der Hessische Ministerpräsident Roland Koch mit diesen Worten:

„Koch: …Was wir Arbeitslosenhilfe nennen, gibt es in den USA nur für Menschen mit Kindern und nie länger als fünf Jahre. In Deutschland gibt es Leistungen für jeden, notfalls lebenslang. Deshalb müssen wir Instrumente einsetzen, damit niemand das Leben von Hartz IV als angenehme Variante ansieht.
Frage: Wie soll das gehen?

Koch:
Wir müssen jedem Hartz-IV-Empfänger abverlangen, dass er als Gegenleistung für die staatliche Unterstützung einer Beschäftigung nachgeht, auch niederwertige Arbeit, im Zweifel in einer öffentlichen Beschäftigung. Dass er eben nicht bloß zu Hause sitzt.
Frage: Das werden die Hartz-IV-Empfänger als bedrohlich empfinden.

Koch: Es kann aber kein funktionierendes Arbeitslosenhilfe-System geben, das nicht auch ein Element von Abschreckung enthält. Sonst ist das für die regulär Erwerbstätigen, die ihr verfügbares Einkommen mit den Unterstützungssätzen vergleichen, unerträglich.“

Wer angesichts der Diskussion um die Regelsätze auf eine Abkehr von den Prinzipien von Hartz IV gehofft hat, wird damit eines Besseren belehrt. Zur Erinnerung: Roland Koch hatte sich schon 2001 dafür dafür eingesetzt, die Vergabe von Transferleistungen in Deutschland in Anlehnung an die Wisconsin Works-Programme zu gestalten. Die Regierung Schröder überholte ihn.

Überschätzt werden sollten die Äußerungen auch nicht: sie entsprechen der Gesetzeslage.

Sascha Liebermann

"Grundeinkommen…dass ist moralisch und sozialpolitisch verantwortungslos!" – so Sigmar Gabriel

So äußerte sich Sigmar Gabriel, SPD-Parteivorsitzender, im Chat zur Sendung Maybrit Illner vom 14. Januar. Hier die ganze Passage:

Conni220 (Gast): Kennen Sie die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens? Warum halten Sie an der Idee Mindestlohn fest??…

Sigmar Gabriel:… Ja, die kenne ich. Und ich halte sie für total falsch. Erstens haben wir ein bedingungsloses Grundeinkommen. Es heißt Harz IV (anderer Name: Sozialhilfe). Es soll das Existenzminimum absichern und wird in seiner Höhe angepasst bzw. auch vom Bundesverfassungsgericht überprüft. Also geht es zweitens um ein höheres Einkommenn, wenn über ein bedingungsloses Grundeinkommen gesprochen wird. Man kommt aber auch heute bereits mit ALG II und Wohngeld plus eine Arbeitsgelegenheit auf 700 bis 750 Euro. Es gibt normale Arbeitsverhältnisse, wo netto weniger verdient wird. Ich finde: Esistenzsicherung ja. Aber Grundeinkommen , ohne dass gearbeitet werden muss, dass ist moralisch und sozialpolitisch verantwortungslos!“

(Zitat aus dem Chatprotokoll auf der Website der Sendung)

Im Sinne der Äußerungen von Ursula von der Leyen nimmt also der Druck auf Bezieher von Arbeitslosengeld nicht ab, er hält mindestens an.

Sascha Liebermann

"Wer Geld von der Gemeinschaft bekommt, muss auch was dafür tun"

Alles beim Alten im Bundesarbeitsmininsterium. Mit Aussagen wie diesen „Wir werden es nicht akzeptieren, wenn jemand ohne nachvollziehbaren Grund nicht oder nur wenige Stunden arbeitet“ und „Gleichzeitig gilt: Wer Geld von der Gemeinschaft bekommt, muss auch was dafür tun“ wird Bundesarbeitsminsterin von der Leyen in der Bild-Zeitung zitiert. Damit greift sie die bekannte Argumentation auf, Transferempfänger seien Kostgänger des Staates. Am selben Tag, dem 10. Januar, war sie bei „Anne Will“ zu Gast, um über zehn Jahre Agenda 2010 zu räsonnieren. Auch dort war an ihren Äußerungen zu erkennen, dass der Druck auf diejenigen, die „Geld von der Gemeinschaft“ erhalten, nicht abnehmen, sondern zunehmen soll. Da folgt sie ganz ihrem Vorgänger Olaf Scholz und den Aussagen Guido Westerwelles und Angela Merkels im Bundestagswahlkampf (siehe „FDP im Kreis der Faulheitsbekämpfer angekommen“).

Zur gleichen Zeit wird deutliche Kritik an der Hartz-Gesetzgebung auch durch einen Beschluss des Landessozialgerichts Hessen (Beschluss zur Grundsicherung für Arbeitsuchende) und schon länger von Helga Spindler geübt (siehe jüngste „Phoenix-Runde“ [Podcast] mit Helga Spindler und Jürgen Borchert, Richter am Landessozialgericht Hessen). Doch, zielt sie etwa darauf, die Prinzipien des Transfersystems, das an Erwerbsleistung gebunden ist, aufzugeben? Was ist von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu erwarten, dass sich – anders als in manchen Medien berichtet – mit der Berechnung der Regelsätze für Kinder und Erwachsene beschäftigt?

Eine Erhöhung der Regelsätze, sollte sie kommen, würde natürlich denjenigen helfen, die von ihnen leben müssen. Das ist unbestritten. Aber schon in der Frage, wer etwas von der Erhöhung des Schonvermögens hat, sieht es diffiziler aus, denn sie trifft nur diejenigen, die auch etwas angespart haben bzw. es konnten. Eine Verbesserung verbleibt also innerhalb des Systems. Es wird gegenwärtig ja nicht einmal über eine Liberalisierung im Sinne einer Negativen Einkommensteuer nachgedacht, die ohne Bedürftigkeitsprüfung auskäme. Wie an den Äußerungen von Frau von der Leyen zu erkennen ist, steht auch die „Aktivierung“ nicht zur Disposition. Bei aller Diskussion über Hartz IV, das Vierte Gesetz über moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, die durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts weitere Nahrung erhalten könnte, ist damit politisch langfristig wenig erreicht. Wir müssen uns vor Augen führen, dass die möglichen Verbesserungen nicht aus dem Parlament heraus vorgeschlagen und verabschiedet werden, sondern vom Bundesverfassungsgericht, das über die Einhaltung des Grundgesetzesfür die Bundesrepublik Deutschland wacht. Statt die Gestaltung aktiv politisch in die Hand zu nehmen, statt in öffentlicher Auseinandersetzung für Vorschläge zur Verbesserung um die Zustimmung der Bürger zu werben, erfolgt eine Verbesserung der gegenwärtigen Lage allenfalls reaktiv. Es hat sich, wie daraus zu schließen ist, im politischen Bewusstsein wenig bis nichts verändert, auch wenn immer wieder Verbesserungsbedarf eingestanden wird. Nun, in diesem Fall gilt durchaus: Vielles wenn nicht alles Schall und Rauch.

Um so mehr gilt es auch in 2010, dem Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens weiter Gehör zu verschaffen. Gelegenheiten und Möglichkeiten gibt es reichlich, auch nach dem Wahlkampf des vergangenen Jahres.

Sascha Liebermann