Vor wenigen Tagen haben wir auf einen Beitrag von Richard Sennett hingewiesen, ohne ihn weiter zu kommentieren. Dabei wäre ein Kommentar mehr als angebracht gewesen. Thomas Loer wies darauf hin, dass Sennett, bei aller Unterstützung für ein „garantiertes Grundeinkommen“, in der Sache, um die es geht, doch widersprüchlich oder verwirrend ist. Er plädiert auf der einen Seite für ein „garantiertes Mindesteinkommen“, ohne dass man erfährt, was genau damit gemeint ist. Auf der anderen sieht er die Aufgabe von Unternehmen darin, Arbeitsplätze zu schaffen bzw. zu erhalten, ganz gleich, ob sie für den Wertschöpfungsprozess benötigt werden oder nicht. Damit bleibt er der Vorstellung verhaftet, Arbeitsplätze seien als solche wertvoll. Doch der Reihe nach. Zuerst sagt Sennett dies:
„Bund: Worin sehen Sie hier das grösste Problem?
Sennett: Die Frage ist, wie man die Profite aus den neuen Technologien nutzen kann, um den Leuten ein Gefühl zu geben [Hervorhebung SL], dass sie auch künftig eine produktive Arbeit verrichten, auch wenn diese Arbeit traditionell nicht oder nicht gut bezahlt wird. Man könnte eine Steuer einführen, die ein Unternehmen zu zahlen hätte, wenn es Jobs durch Automation eliminiert. Wenn ich das aber in Businessschulen vorschlage, sind die Leute nicht begeistert (lacht).“
Sehen wir einmal davon ab, ob womöglich die Übersetzung des Interviews nicht ganz gelungen ist. Jemandem „ein Gefühl“ geben zu wollen tendiert zu Manipulation. Man kann die Arbeit, von der Sennett spricht, würdigen und wertschätzen, woraufhin sich dann auf Seiten der Gewürdigten ein Gefühl einstellen kann – das der Wertschätzung der Arbeit entspricht, was aber nicht zwingend ist. Denn man weiß nicht, wie jemand eine solche Würdigung deutet, auf die hin sich das Gefühl dann einstellen kann. Eine solche Würdigung hängt indes nicht direkt vom Lohn ab, der dafür bezahlt wird.
Wenn Sennett eine Steuer für den Fall einführen will, dass Arbeitsplätze durch Automatisierung substituiert werden, betrachtet er den Erhalt von Arbeitsplätzen als etwas Sinnvolles, ganz gleich welcher Art sie sind und wozu sie benötigt werden oder auch nicht. Damit hält er am Primat von Erwerbsarbeit fest, statt sie in Relation dazu setzen, dass Arbeitsplätze dann sinnvoll sind, wenn auf menschliche Arbeitskraft nicht verzichtet werden kann.
Oder geht es ihm nur darum, die durch die wegfallenden Arbeitsplätze fehlenden Sozialabgaben und Lohnsteuern auf anderem Wege wieder einzuziehen? Dann drückt er sich äußerst missverständlich aus.
Sehr interessant ist dann sein Blick auf die Ungleichheitsdiskussion:
„Heute ist die Ungleichheit zu einem grossen Thema geworden. Als Sie in den 90er-Jahren darüber schrieben, war der Fokus darauf noch viel geringer.
Ich stehe der Ungleichheitsdebatte von heute skeptisch gegenüber. Die Menschen haben schon immer unter ungleichen Bedingungen gelebt. Unsere Forschung hat gezeigt, dass es die Arbeiter nicht sehr beschäftigt, dass die Ungleichheit bei den Reichsten deutlich zunimmt. Wichtig ist diesen Leuten, dass sie selbst eine gute Arbeit haben. Ausserdem überrascht sie die Ungleichheit nicht besonders.
Wie erklären Sie sich denn das grosse Interesse am Thema?
Das Thema interessiert vor allem die Mittelschicht. Denn für die Beschäftigten aus diesen Schichten sieht es so aus, dass die Probleme, unter denen sie leiden, durch den extremen Reichtum an der Spitze mitverursacht werden. Ich glaube nicht, dass die Probleme auf den Arbeitsmärkten gelöst werden, wenn man einfach den Reichtum an der Spitze beschränken würde. Die Ungleichheit ist das Resultat einer ökonomischen und insbesondere einer Arbeitsmarktstruktur, von der die Reichsten übermässig profitieren.“
Sennett legt, im Unterschied zur dominanten Diskussionslinie über Ungleichheit, sein Augenmerk nicht auf die Ungleichheitsverhältnisse zwischen niedrigeren und höheren Einkommen, sondern darauf, was einer bestimmten Gruppe wichtig ist. Diese Gewichtung steht nicht ohne weiteres mit der Frage nach Ungleichheit in Verbindung. Gerade jüngst berichteten wir von einem Gespräch mit dem Bielefelder Soziologen Stefan Liebig, der ebenfalls darauf hinwies, dass die Ungleichheitsdiskussion insofern verkürzt sei, als vor allem oder gar ausschließlich auf die Einkommensströme geschaut werde.
Dann folgt die Passage über das garantierte Mindesteinkommen:
„Was halten Sie denn von einem garantierten Mindesteinkommen?
Ich bin sehr dafür. Ich halte das für eine Notwendigkeit. Damit verknüpft ist mein Vorschlag, dass man Firmen besteuern sollte, die Jobs aus technologischen Gründen abbauen. Diese Steuern können dazu verwendet werden, das Minimaleinkommen zu finanzieren. Eines der Klischees zum garantierten Mindesteinkommen ist, dass die Leute dann den Anreiz zum Arbeiten verlieren. Das ist falsch. Wir wissen aus der Forschung, dass die Leute selbst bei einem solchen Grundeinkommen den Wunsch zu arbeiten nicht verlieren. Sie wollen schon aus psychologischen Gründen arbeiten, um sich nützlich zu fühlen. Und sie haben die Ambition, mehr als das Minimum zu verdienen.“
Es bleibt hier unklar, was er vor Augen hat, wenn es um ein garantiertes Mindesteinkommen geht. In seinem Buch „Respect“, soll er, nach Philippe van Parijs und Yannick Vanderborght, ein „Basic Income“ als Ersatz für alle anderen Transferleistungen betrachtet haben. Nun taucht, wie schon oben, die Steuer auf, die im Falle der Substituierung von Arbeitsplätzen durch Technologie greifen soll. Ganz klar ist er, wenn es um „Anreize“ zu arbeiten geht, die durch ein BGE verloren gehen könnten, diese These hält er für falsch. Unklar wird es wieder am Ende der Passage, denn es stellt sich die Frage, wovon es abhängt, ob man sich nützlich fühlt? Tatsächlich davon, dass man Nützliches tut oder alleine dadurch, dass es für nützlich gehalten wird? Beide Dimensionen sind aber nicht identisch, denn eine Leistung kann nützlich und wertvoll sein, wird aber im Gemeinwesen als solches nicht geschätzt (sogenannte care-work); sie kann relativ weniger sinnvoll sein, als gemeinhin angenommen wird (Erwerbstätigkeit), wird aber dennoch hoch geschätzt. Eine Aufgabe kann tatsächlich nützlich und wertvoll sein, eine konkrete Person würde das auch so sehen, sie aber aus persönlichen Neigungen und Fähigkeiten aber nicht ausführen wollen. Es überrascht, dass Sennettt dazu an dieser Stelle nicht mehr sagt.
In der Schlusspassage wird wieder deutlich, wie sehr er sich doch an Erwerbstätigkeit orientiert:
„Zum Schluss ein Wort zur Schweiz. Ist der Zusammenhalt hier nicht grösser?
Ja, das denke ich. Die Schweizer lieben es, sich über sich selbst zu beklagen, und gleichzeitig sehen sie sich als ein Modell für andere. Die Wahrheit liegt in der Mitte. Es gibt in der Schweiz einen Arbeitsmarkt, der mehr Leute mit einschliesst als etwa in Grossbritannien. Aber ich weiss nicht sehr viel über die Schweizer Gesellschaft.“
Kein Wort über das politische Selbstverständnis der Schweiz, welche Bedeutung die direkte Demokratie für den „Zusammenhalt“ hat. Stattdessen die einförmige Kaprizierung auf den Arbeitsmarkt als Inklusionsinstrument. Dabei, das kann nicht oft genug gesagt werden, inkludiert der Arbeitsmarkt Personen nie um ihrer selbst, sondern nur um ihres Leistungsbeitrags willen. Sie erfüllen eine Aufgabe und sind deswegen wertvoll, nicht aber als solches. Ganz anders im Gemeinwesen, zumal den modernen Demokratien. Hier rücken die Menschen als ganze Personen ins Zentrum, wenn die Staatsbürgerrechte bedingungslos verliehen werden und ebenso bedingungslos gelten. Aus diesem Grund wäre ein Bedingungsloses Grundeinkommen eben etwas Unspektakuläres, denn es entwickelte lediglich den Sozialstaat weiter.
Sascha Liebermann