Jens Spahn hat für Aufregung (siehe auch hier) gesorgt mit seinen Äußerungen über Hartz IV. Sie finden sich in einem Interview mit der Berliner Morgenpost. Thilo Sarrazin hatte vor Jahren schon einmal einen Hartz IV-Speiseplan vorgestellt. Und die SPD war über die Jahre mit vergleichbaren Äußerungen zu vernehmen, wie Spahn sie getätigt hat.
Was hatte Spahn nun genau gesagt? Die Passage beginnt mit einer Äußerung, die sich auf die Essener Tafel bezieht, die in den vergangenen Wochen heftig kritisiert wurde:
BM: „… die sich entschieden hat, vorerst nur noch Menschen mit deutschem Pass aufzunehmen.
Spahn: „Ich tue mich schwer, von Berlin aus besser zu wissen, was in der konkreten Situation vor Ort die richtige Entscheidung ist. Für die Essener Tafel engagieren sich Bürger, die Mitmenschen helfen wollen. Und die dann feststellen: Junge Männer treten derart dreist und robust auf, dass Ältere oder Alleinerziehende keine Chance mehr haben, auch etwas von den Lebensmitteln abzubekommen. Dass dann Maßnahmen ergriffen werden, finde ich richtig.“
Spahn will sich nicht aus der Ferne über diejenigen erheben, die in einer konkreten Situation eine Entscheidung getroffen haben. Damit setzt er einen Kontrapunkt zu den maßregelenden Äußerungen gegenüber der Essener Tafel, die auf deren Entscheidung, den Zugang für eine gewisse Zeit für gewisse Gruppen zu beschränken, gefolgt sind. Soweit, so gut. Dann folgt – eine Passage überspringe ich – die Äußerung zu Hartz IV:
BM: „Reicht Hartz IV zum Leben?
Spahn: „Die gesetzliche Grundsicherung wird mit großem Aufwand genau bemessen und regelmäßig angepasst. Hartz IV bedeutet nicht Armut, sondern ist die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut. Diese Grundsicherung ist aktive Armutsbekämpfung! Damit hat jeder das, was er zum Leben braucht. Mehr wäre immer besser. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass andere über ihre Steuern diese Leistungen bezahlen.“
Die Schwierigkeiten und Tücken der Berechnung des Regelsatzes sind wiederholt benannt worden, davon sagt Spahn nichts, das wäre eine Vermessenheit, die ihm vorgehalten werden kann. Selbst diejenigen, die nichts gegen das Arbeitslosengeld II im Allgemeinen haben, halten die Berechnung der Leistungen für problematisch (siehe hier, aber auch hier). So einfach, wie Spahn es sich macht, ist es also nicht. Schon aus diesen Tücken könnte man folgern, dass es besser wäre, die Bemessung zugunsten der Bezieher auszulegen, die Beträge, zumal den Regelsatz, höher anzusetzen, als es geschieht. Das wäre ein Tribut an die Ungenauigkeit der statistischen Daten und eine Stellungnahme für die Würde des Menschen (siehe auch hier).
Dass die einen für die anderen bezahlen scheint zuerst einmal einzuleuchten (siehe hier und hier), eine einfache Rechnung, so könnte man meinen, gilt auf der einen Seite immer und ist doch zugleich nur die halbe Wahrheit. Alle allerdings zahlen Steuern, mindestens indirekte, die einen erheblichen Teil des Steueraufkommens ausmachen, auch Hartz IV- Bezieher. Damit ist die vermeintlich scharfe Abgrenzung schon hinfällig. Aber abgesehen davon ist ein Gemeinwesen keine Bilanzgemeinschaft, sondern ein Solidarverband. Wer das nicht ernst nimmt, müsste alle Leistungen gegen alle anderen aufrechnen, und dann käme die „bezahlte Arbeit“ schlecht weg, wie die Zeiterhebungsstudien des Statistischen Bundesamtes zeigen (siehe auch hier).
Nun kann man viel über den Armutsbegriff streiten, es kann hier ohnehin nur um relative Armut (siehe auch hier) gehen. Die Frage dabei ist stets, was wird als Referenz herangezogen? Und das ist eine eminent politische Entscheidung, woran die Definition sich orientiert, denn ob 50, 60 oder 70% des mittleren Einkommens zum Maßstab erhoben werden – die Bestimmung ist willkürlich. Was sagt uns das? Zu bestimmen, wie hoch eine Absicherungsleistung sein soll, ein Mindesteinkommen oder eben ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist eine Frage danach, was der Beitrag leisten können soll und wieviel ein Gemeinwesen dafür aufzuwenden bereit ist. Die Abgrenzung bleibt immer unscharf, da darf man sich keine Illusionen machen.
Wie sieht denn Spahn nun die „unbezahlte Arbeit“, also das, was er in anderem Zusammenhang für so wichtig erklärt hat, dass er geradezu als Befürworter eines BGE wider Willen betrachtet werden könnte. Im gleichen Interview sagt er am Schluss folgendes:
„Wie wollen Sie den freien Sonntag verteidigen?
Spahn: Es ist ein existenzieller Wert, dass sich Kinder und Eltern umeinander kümmern können, Zeit füreinander haben. So entsteht Verbindlichkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen und ein Grundvertrauen in die Welt. Wir dürfen nicht alles ökonomisieren, bewerten und auswerten wollen, gerade die Familien nicht. Und dazu gehört auch der freie Sonntag. Wenn Sie das konservativ nennen möchten, habe ich damit überhaupt keine Probleme.“
Der „freie Sonntag“? Das findet er „konservativ“? Die CDU ist schon so weit weg von einem Verständnis für Familie, dass ihre Vertreter gar nicht mehr bemerken, wie sehr sie sie aus den Augen verloren haben. Man nehme nur das Elterngeld als Prämie für Besserverdiener und für Erwerbstätige ohnehin (siehe auch hier).
Wie ist es denn mit dem Rest der Woche? Meint Spahn ernsthaft, dass der eine Tag entscheidend sei, an dem dann demonstriert werden kann, was man alles miteinander unternimmt? Entscheidend ist doch vielmehr die verlässliche Präsenz, die nicht terminierte Zeit, die Kindern gewidmet wird. Weder müssen sie ständig beschäftigt werden, noch wollen sie das – aber Präsenz wollen sie, dass Eltern ansprechbar sind. Unbeaufsichtiges Herumstreunen statt Dauerbeaufsichtigung in Einrichtungen sind ebenso wichtig. Wer darauf achtet, welche Begehren Kinder in dieser Hinsicht artikulieren, muss von der Erwerbszentrierung Abstand nehmen. Das geht im bestehenden Gefüge nicht, es bedarf des Abschieds vom Vorrang von Erwerbstätigkeit, aber wie? Die Antwort ist einfach, wenn keine Vorschriften gemacht werden sollen, was stattdessen zu geschehen hätte: es geht nur mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen.
Sascha Liebermann