…so Christoph Keese in einem Interview mit dem Kurier (Österreich). Darin geht es in einer Passage auch um das Bedingungslose Grundeinkommen. Die Überleitung, die Johanna Hager von der Digitalisierung zum BGE nimmt, kommt etwas überraschend, da Keese das Thema gar nicht einführt, zumindest nicht direkt, allenfalls vermittelt, und zwar wegen etwaiger Folgen der Digitialisierung auf die Arbeitswelt. Hager fragt:
Hager: „Wer ist wir? Die Zivilgesellschaft, die Politik, die Medien?
Keese: Die Gesellschaft muss mehr in Bildung investieren. Sie muss sich darum kümmern, dass Menschen keinen Anschluss verlieren und aktiv darauf hinwirken, dass Kompetenzen erworben werden. Das passiert nicht von alleine. Nehmen wir als Beispiel den Lkw-Fahrer. Der sitzt 10 Stunden am Tag hinter dem Steuer. Der fährt die Autobahn zwischen Wien und Salzburg hin und her und wird bald keinen Job mehr haben, weil autonom fahrende Lkws das erledigen. Genau dieser Lkw-Fahrer sollte sich aber über digitale Entwicklungen informieren, weil sie sein Leben mehr beeinflussen, als ihm das jetzt bewusst ist.“
„Die Gesellschaft“, also das Gemeinwesen muss das heißen, denn es erfordert politische Entscheidungen, damit das geschieht, was er erwartet. Doch die Erwartungen sind hoch, wenn Bildung alles richten soll, so, als sei jeder für jede Aufgabe geeignet, wenn er nur die dafür entsprechende Bildung habe, abgesehen einmal davon, ob es dann eine entsprechende Möglichkeit gibt, die eigenen Fähigkeiten einzusetzen. Von hier aus kommt nun die Interviewerin auf das BGE zu sprechen:
„Sie spielen auf das bedingungslose Grundeinkommen an?
Keese: Aus meiner Sicht liegen die Voraussetzungen für ein bedingungsloses Grundeinkommen noch nicht vor, denn es geht davon aus, dass die Produktivitätssteigerungen durch die Digitalisierung so enorm sind, dass es für Menschen kaum noch Arbeit gibt. Dass die Transformationsschritte so groß sind, dass die Menschen gar keine Arbeit mehr finden werden…“
Gleich zu Beginn sieht man, wohin das „Digitalisierung macht BGE nötig“-Argument hinführt. Keese sieht die Zeit nicht gekommen, weil er das BGE nur als Reparaturmaßnahme begreift. Wo aber kein Schaden, ist auch keine Reparatur nötig, folglich kommt man ohne BGE aus. Wobei Kesse sagt, „noch nicht“, also schließt er es nicht aus. Dennoch redet er wie die Fraktion der Gegenversicherer, die behaupten, dass der denkbare Fall, „keine Arbeit“ zu finden, nicht eintreffen werde. Woher weiß er das nun? Weder können wir über das eine (Ende der Arbeit), noch das andere (Entspannung am Arbeitsmarkt) etwas Klärendes sagen. Mit beidem muss gerechnet werden. Die Frage stellte sich mit dieser Stoßrichtung jedoch gar nicht, wenn es ein BGE gäbe, dass sich nicht aus der Entwicklung des Arbeitsmarkts begründete. In demselben Absatz geht es wie folgt weiter:
„…Das bedingungslose Grundeinkommen argumentiert damit, dass das gar nicht schlimm ist, weil wir uns, um es zugespitzt zu formulieren, aus der Knechtschaft der Arbeit befreien und uns den Dingen widmen können, die wir immer tun wollten. Grundvoraussetzung dieses Gedankenganges ist es, dass die Menge der Arbeit sinkt – doch darauf weist derzeit nichts hin.“
Dieser negative Blick auf Erwerbstätigkeit ist für die BGE-Diskussion in einem bestimmten Lager maßgebend, nicht aber die gesamte Diskussion, Keese wehrt hier vorschnell ab, worum es geht. Worauf bezieht er sich, dass nichts auf eine Sinken der Menge der Arbeit hinweist? Wenn wir die Entwicklung des Arbeitsvolumens pro Erwerbstätigen betrachten, wie in der Infografik (Grafik 1), dann könnten die letzten Jahre einfach als Konjunkturaufschwung verbucht werden. Vor seinem Ende wird schon gewarnt.
Zieht man andere Daten hinzu, die Kai Eicker-Wolf (siehe meinen Kommentar zu diesem Beitrag) vor einigen Jahre errechnet hat, stellt sich bezogen auf einen langen Trend die Lage anders dar (Grafik 2).
Entsprechend reagiert die Interviewerin:
Hager: „Da gehen die Experten Meinungen auseinander.
Keese: Mein Eindruck ist, je intensiver wir die Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen führen, desto weniger diskutieren wir das Wesentliche: Wie schaffen wir es, Menschen, deren Job ausstirbt, vernünftige, vielleicht sogar bessere, höher bezahlte Arbeit zu ermöglichen? Nehmen Sie das Unternehmen, für das ich arbeite: Axel Springer. Wir sind ein hochdigitalisierter Konzern, haben derzeit Mitarbeiterhöchststände, 82 Prozent des Konzernergebnisses stammen aus dem Digitalgeschäft. Die Digitalisierung ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass allerorten neue Arbeitsplätze entstehen und viele Jobs verschwinden werden wie beispielsweise Taxi- oder Lkw-Fahrer oder Kassierer. Unsere eigentliche Aufgabe besteht nicht darin, diesen Menschen Geld fürs Nichtstun zu bezahlen, sondern sie für neue Jobs zu trainieren.“
Keese reiht sich damit in die Beschäftigungspädagogik ein und verliert die für unternehmerisches Handeln und das Wirtschaftsgeschehen entscheidendere Frage aus den Augen, und zwar danach, was nötig ist, damit Wertschöpfung entsteht. Dazu benötigt es nicht zwingend menschliche Arbeitskraft, Unternehmen sind keine Erziehungsanstalten, wenn es ernsthaft um Leistungserstellung gehen soll. Das heißt ja keineswegs, dass eine Wirtschaftspolitik, der es um Wertschöpfung geht, sich keine Gedanken darum machen müsste, wo menschliche Arbeitskraft benötigt wird, das muss sie sehr wohl – aber nicht als Zweck abgelöst vom Leistungsgeschehen. Keese hält ganz selbstverständlich daran fest, statt „Nichtstun“ – als gehe es darum – müssen „Menschen“ für „neue Jobs“ trainiert werden. Die Frage ist doch, auf welcher Grundlage geschieht das? Diese Frage stellt sich Keese jedoch nicht.
Sascha Liebermann