„Es geht darum, dass möglichst viele aus der Grundsicherung herauskommen“…

…ein Interview mit Kerstin Tack, Sprecherin für Arbeit und Soziales der SPD-Bundestagsfraktion, auf Telepolis.

Drei Passagen zeigen, wohin die Reise sozialpolitisch gehen soll:

„Kerstin Tack: Eins ist doch klar: All diese Kinder leben in Armut, weil ihre Eltern arm sind. Deshalb kommen wir nicht darum herum, uns der Situation im Ganzen zu stellen. Einzelne Maßnahmen sind hilfreich, lösen aber nicht das Grundproblem. Es geht darum, dass möglichst viele aus der Grundsicherung herauskommen.“

Wie kommt man heraus? Indem Erwerbstätikeit aufgenommen wird, die so einträglich ist, dass die Grundsicherung nicht mehr nötig ist – das ist zumindest normativ der Zweck der Grundsicherung für Arbeitsuchende, wie der gesamte Sozialstaat heute um diesen Zweck herum konstruiert ist – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Doch Armut kann verschiedene, nicht vergleichbare Gründe haben: sie kann in bloßem Einkommensmangel bestehen, wie z. B. bei Alleinerziehenden, die genügend Zeit für ihre Kinder haben möchten und deswegen mit dem Einkommen aus Teilzeit nicht auskommen; sie kann von einer traumatischen Lebensgeschichte herrühren, die es verhindert hat, dass elementare Bildungsprozesse gelingen konnten – und heute nicht nachsozialisiert werden können. Beide Konstellationen sind ganz unterschiedlich und sollen doch angesichts des Erwerbsgebots gelöst werden. Aus der Grundsicherung müsste man aber nicht unbedingt herauskommen, wenn es ein BGE gäbe, das es für legitim erklärte, nur von ihm zu leben. Aus ihm müsste auch niemand herauskommen, das ginge auch gar nicht, weil alle immer „drin“ wären.

Weiter sagte Frau Tack:

„Kerstin Tack: Wir als SPD haben immer gesagt, dass es uns nicht nur darum geht, den Familien möglichst viel Geld zu geben, sondern auch für eine gute Infrastruktur zu sorgen. Den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Schulen, den wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, halte ich daher für enorm wichtig. Es erschüttert mich immer wieder, wenn Eltern mir erzählen, wie sie in ihrem Alltag versuchen, das Betreuungsproblem in den Griff zu kriegen. Diesen teils unmenschlichen Druck wollen wir den Familien nehmen. Es gibt viele Alleinerziehende, die aufgrund der fehlenden Betreuung ihres Kindes nicht in der Lage sind, ihren eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten.“

Das ist er wieder, der Zweck. „Unmenschlich“ wird der Druck angesichts des Zwecks, weil ihm nicht ausgewichen werden kann, ohne sich in einen unerwünschten Zustand zu begeben. Wer diesen Druck reduzieren oder gar beseitigen will, braucht andere Lösungen, die nur mit einem BGE möglich sind. Dann würde sich auch ganz schnell die Frage stellen, auf wie viel Interesse Ganztagsbetreuung noch stoßen würde, wenn Eltern sich mehr für ihre Kinder nehmen könnten, ohne sich angesichts des Erwerbsgebots dafür rechtfertigen zu müssen.

Doch Frau Tack hält an diesem Zweck fest, der gerade für die Lage verantwortlich ist:

„Kerstin Tack: Ich bin keine Freundin von „Hätte-Wäre-Könnte“-Diskussionen, das bringt uns nicht weiter. Wir müssen uns jetzt darum kümmern, dass sich die Situation Alleinerziehender in Deutschland verbessert. Es darf nicht sein, dass es immer noch mit einem erheblichen Armutsrisiko verbunden ist, Kinder alleine zu erziehen. Deshalb müssen wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf viel mehr stärken und Familienfreundlichkeit in allen Bereichen weiter ausbauen.“

Also, kaum Zeit für Familie, um auf den Titel des letzten Familienberichts der Bundesregierung („Zeit für Familie“) anzuspielen.

Sascha Liebermann