…ist voller wohlfeiler Aussagen und drückt sich um eine klare Sprache. Es stechen pädagogisierende Formulierungen hervor, die sich in Werbebroschüren nicht besser finden könnten. Der Beschluss vom Wochenende stimmt im wesentlichen mit dem Konzeptpapier überein, das schon im Februar, noch unter dem Vorsitz von Andrea Nahles, vorgestellt wurde. Man beachte schon den Titel „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit“ und die gewählte Reihenfolge der Begriffe, sie steht ganz in der Tradition der SPD. Im Beschluss aber wird die Reihung mit einem „Sozialstaat für eine neue Zeit“ verbunden – der alte also für den neuen? Schon auf S. 1 heißt es:
„Zum anderen ist es, da in unserem System soziale Absicherung stark an Erwerbsarbeit geknüpft ist, Aufgabe der Politik und des Staates, für einen hohen Beschäftigungsstand zu sorgen.“
Als sei es ein ehernes Gesetz, dass dies so sein müsse, von einem Nachdenken über Alternativen keine Spur. Der Beschäftigungsstand dient der Finanzierung des Sozialstaates, das ist der vorrangige Sinn von Arbeitsplätzen – so die Aussage. In der Folge ist die Rede vom emanzipatorischen Charakter des Sozialstaats, von Freiheit, von der „Befähigung zu einem selbstbestimmten Leben“. Bei letzterem muss man stutzig werden, inwiefern befähigt der Sozialstaat? Unterstützt er nicht vielmehr eine vorhandene Fähigkeit und die Möglichkeit, im Fall einer Einschränkung dieser Fähigkeit, sich Hilfe zu holen? Das setzt aber schon Fähigkeiten voraus, der Sozialstaat schafft sie nicht – oder ist hier nur die finanzielle Absicherung gemeint? Dann gilt um so mehr, dass nur etwas unterstützt wird, das schon vorhanden sein muss.
„Der Sozialstaat wurde geschwächt“ heißt es auf S. 2. Von wem nur fragt man sich – war etwa die SPD daran beteiligt? Weshalb hier nicht ein deutliches Bekenntnis zur Verantwortung für diese Entwicklung?
Was sich schon auf S. 1 andeutet, wird auf S. 2 deutlich:
„Deutschland ist und bleibt eine Arbeitsgesellschaft. Durch den technologischen Wandel wird uns die Arbeit nicht ausgehen, sie wird sich nur stark und immer schneller verändern. Unsere Antwort darauf ist das „Recht auf Arbeit“.“
Wie will die SPD aus dem bisherigen Fahrwasser hinausgelangen, wenn sie das ins Zentrum stellt? Deutschland ist keine „Arbeitsgesellschaft„, das ist nur ein Aspekt. Ein „Recht auf Arbeit“ – wie soll das möglich sein, ohne dass Erwerbsarbeit zum Selbstzweck wird? Das kommt einer Entwertung des Leistungsgedankens gleich, wenn Leistung nicht im Zentrum steht. Fehlen darf dann diese Abgrenzung nicht:
„Das bedeutet, dass sich die Solidargemeinschaft dazu verpflichtet, sich um jeden Einzelnen zu kümmern und jedem Arbeit und Teilhabe zu ermöglichen – statt sich durch ein bedingungsloses Grundeinkommen von dieser Verantwortung freizukaufen.“
Dabei kümmert sich gerade ein BGE ganz grundsätzlich um jeden Einzelnen, ohne ihn zum Betreuungsobjekt zu erklären. Der Beschluss bietet hier eine echte Verkehrung, die mit einem BGE nun nichts zu tun hat, mit dem Selbstverständnis als Gemeinwesen viel. Teilhabe, so der Beschluss bislang, bedeutet immer Erwerbstätigkeit und wird zugleich darauf reduziert.
Dann folgt eine vermeintliche Neuausrichtung, die eher etwas über die SPD als über den Sozialstaat sagt (S. 3):
„Das heißt weiter: Die Leistungen des Sozialstaats sind soziale Rechte, die Bürgerinnen und Bürger zustehen. Sie sind Inhaberinnen und Inhaber dieser Rechte, keine Bittsteller.“
Das ist schon heute so und war, solange es eine Rechtsgrundlage gab, nie anders – deswegen lässt sich Widerspruch gegen Bescheide einlegen. Die SPD pocht auf Selbstverständlichkeiten und trifft damit nicht die Rechtslage, sondern das mangelnde Bürgerbewusstsein, indem Rechtsansprüche behandelt werden, als seien sie Bitten und Gesuche.
„Der Sozialstaat hat gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern eine Bringschuld, nicht andersrum die Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem Sozialstaat eine Holschuld.“
Das klingt gut, ist aber heute so, denn der Sozialstaat ist für die Bürger da, nicht für sich selbst. Allerdings, zu einfach darf man es sich hier auch nicht machen, denn das normative Fundament, die Erwerbsverpflichtung, führt dazu, dass sich die Bürger erklären müssen, wenn sie die Existenzsicherung erhalten wollen – eine Holschuld in der Bringschuld.
Auch in nachfolgenden Passgen werden wohlfeile Aussagen gemacht:
„Der Sozialstaat muss die Würde des Einzelnen achten. Unterstützung zu brauchen, darf niemals als Stigma empfunden werden.“
Es hilft ja nichts, wenn der Grund der Stigmatisierung im Erwerbsgebot liegt und dasselbe bestehen bleiben soll. Dann kann ich mir einbilden, nicht stigmatisiert zu werden, strukturell werde ich es aber dennoch.
„Bürgergeld statt Hartz IV“ – ab S. 9 ist das Gegenstand, hier müsste eine Neuausrichtung folgen, wie schon die Gegenüberstellung sagt. Entlehnt ist der Begriff der liberalen Tradition. Was findet sich in dem Abschnitt?
„Arbeitsangebote“ statt Arbeitslosigkeit fördern – ohne Sanktionsinstrumente? Nur dann wären sie Angebote.
Und entsprechend auf S. 10:
„Das Bürgergeld ist Ausdruck einer partnerschaftlichen Arbeitsweise und eines respektvollen Umgangs miteinander. Wir stärken die Rechte der Arbeitslosen und die Pflichten der Jobcenter.
Deshalb wollen wir eine Teilhabevereinbarung, die die Interessen der Bürgergeldbeziehenden stärker berücksichtigt und einer partnerschaftlichen Vereinbarung auf Augenhöhe entspricht. Diese löst die Eingliederungsvereinbarung, den grundlegenden Vertrag zwischen den Erwerbssuchenden und dem Jobcenter, ab.“
Wo es eine Vereinbarung gibt, gibt es auch Pflichten, sind diese nun sanktionsbewehrt oder nicht?
„Partnerschaftliche Arbeitsweise“, „auf Augenhöhe“, „respektvoller Umgang“ – das sind Plattitüden und Selbstverständlichkeiten zugleich. Kein Wort von Sanktionen bis auf S. 10 unten:
„Leistungskürzungen von mehr als 30 Prozent“ sollen – als erster Schritt – ausgeschlossen werden. In diesem Abschnitt erst ist von Sanktionen die Rede, das einzige Mal im gesamten Beschluss. Wo es Mitwirkungspflichten (S. 10) gibt, muss es doch auch Sanktionsmöglichkeiten geben, was wären sie sonst wert? Wo ist die Neuausrichtung? Bei allen Vorschlägen in Richtung größerer Spielräume für die Bezieher, ist es doch beinahe eher eine Rückkehr zum Sozialstaat vor Hartz IV als eine Ausrichtung in die Zukunft.
Siehe auch den Bericht von Alina Leimbach in neues deutschland, der auf manchen Widerspruch ebenso hinweist, aber dann doch hoffnungsvoller ist.
Sascha Liebermann