Vor wenige Tagen habe ich auf ein Streitgespräch mit Gerhard Bosch über das Bedingungslose Grundeinkommen (siehe meinen Kommentar hier) hingewiesen, in dem deutlich wird, wie unterschiedlich auf die dieselbe Realität geblickt werden kann. In einem IAQ-Standpunkt aus dem Jahr 2018 hat Bosch seine Einwände etwas ausgearbeitet (siehe meinen früheren Kommentar hier). In der Auseinandersetzung darin bezieht er sich auf zwei Quellen, das Buch von Van Parijs und Vanderborght „Basic Income. A Radical Proposal“ sowie auf Beiträge Götz W. Werners (z. B. Einkommen für alle in der Fassung von 2007, die Fassung von 2018 ist ein vollständig anderes Buch, obwohl sie den gleichen Titel hat). Bosch hebt in seinem Beitrag zu einer grundständigen Auseinandersetzung an, betrachtet einige Überlegungen zum BGE aber doch klar von seiner bevorzugten Position, worin die Annahmen zu erkennen sind, von denen er ausgeht. Er geht dabei auch auf schwierige bis wenig haltbare Argumente für ein BGE ein, so z. B. die von einigen Befürwortern prognostizierten Folgen der Digitalisierung, weist sie allerdings ebenfalls mit einer Prognose zurück (siehe meine Kommentare zu dieser These hier, hier und hier). Hier müsste zumindest die Frage gestellt werden, ob und inwiefern offensiver automatisiert werden würde, wenn der Stellenwert von Arbeitsplätzen nicht moralisch so aufgeladen wäre und dies als Rationalisierungshindernis wirkte. Diese Frage stellt Bosch nicht einmal.
Auf S. 3 des IAQ-Standpunktes schreibt er folgendes:
„Gleichzeitig könne man den Wohlfahrtsstaat mit all seinen komplexen Strukturen und Verfahrensweisen ersetzen. Man bräuchte ja die Sozialbudgets, um das BGE zu finanzieren.“
Am Ende dieses Absatzes, aus dem das Zitat stammt, verweist er pauschal auf Van Parijs/ Vanderborght, ohne eine Seitenzahl anzugeben, so dass es den Eindruck erweckt, beide sprächen sich für eine Abschaffung aus. Im Buch der beiden steht auf S. 12:
„Our claim is that, under twenty-first-century conditions, there is a fundamental difference between an unconditional basic income as we have characterized it and public assistance as exemplified by existing conditional minimum-income schemes. Both are relevant to the alleviation of poverty, but an unconditional basic income means far more.“
Sie halten beide Leistungsformen für notwendig bzw. „relevant“, wie kommt Bosch dann zu seiner Aussage? Er jubelt den beiden Autoren etwas unter, denn immerhin gibt er deren Aussagen in indirekter Rede wieder („könne“). Ist es vielleicht eher so, dass er aus dem Finanzierungsbedarf, für den er das Sozialbudget heranzieht, darauf schließt, dass der alte Sozialstaat abgeschafft werden müsse? In der Passage ist das nicht klar. Im folgenden Absatz, aus dem noch zitiert werden soll, fragt er:
„Kann man aber wirklich die Grundregeln jeder sozialen Gemeinschaft, dass Wohlstand und soziale Sicherheit von einer hohen Arbeitsmoral und einem Geben und Nehmen abhängen, einfach außer Kraft setzen? Sicherlich nicht! Auch ein bedingungsloses Grundeinkommen hat seinen Preis. Wie bei den Angeboten für Gratisreisen wird dieser Preis meistens gut versteckt, um das Angebot attraktiv zu halten.“ (IAQ-Standpunkt, S. 3 f.)
Woraus schließt Bosch, dass die Einführung eines BGE diesen Zusammenhang „außer Kraft“ setzt? Mir scheinen hier zwei Ebenen verwechselt zu werden: 1) Dass Kaufkraft (durch verfügbares Geld) nur dann vorhanden ist, wenn auch Güter und Dienstleistungen bereitgestellt werden, die damit erworben werden können. Mir ist kein ernsthaftes Argument pro BGE bekannt, das diesen Zusammenhang leugnen würde. 2) „Arbeitsmoral“ sowie „Geben und Nehmen“ entstehen nur dadurch und können nur dadurch aufrechterhalten werden, dass es eine bestimmte Gegenleistungsverpflichtung gibt. Diese Frage hatte einst schon Georg Vobruba aufgeworfen, sie ruht auf einer Annahme, die es zu belegen gälte. Was also ist hier strittig? Bosch behauptet, ein BGE würde das notwendige Geben und Nehmen auflösen, das erst sozialstaatliche Leistungen möglich mache. Um das behaupten zu können muss er davon ausgehen, dass die Gegenleistungsverpflichtung in Gestalt einer Norm, die ein erwünschtes Handeln definiert, erst zur Leistungsbereitschaft führt, ohne sie hingegen diese Leistungsbereitschaft nicht vorhanden ist. Folglich müsste alles zusammenbrechen, wenn denn diese den Sozialstaat auszeichnende Norm aufgehoben würde.
Ist das plausibel?
Eine Gegenleistungsverpflichtung entsteht sozialisatorisch nicht daraus, dass eine bestimmte Norm befolgt werden muss, wie auch die Bindung an die Norm nicht daraus entsteht. Vielmehr liegt der Bindung an die Norm die Solidarerfahrung aus der Begegnung ganzer Personen um ihrer selbst willen zugrunde, wofür die erste und elementare Erfahrung diejenige ist, die Kinder in ihrer Familie machen. Diese Solidarerfahrung differenziert sich im Laufe der Sozialisation in drei Aufgaben aus, auf die jedes Gemeinwesen und jeder Angehörige desselben eine Antwort geben muss. Grob aufgelistet geht es um folgendes: 1) sexuelle Reproduktion/ Generativität – ein Gemeinwesen muss dafür Sorge tragen, dass es zukünftig Bürger geben kann, die es tragen, es muss also u. a. Familien darin unterstützen, ihre Verantwortung wahrnehmen zu können; 2) Solidargemeinschaft bzw. Sittlichkeit: ein Gemeinwesen muss Entscheidungen treffen, die die Fortexistenz des Gemeinwesens ermöglichen und dabei sowohl Kollektiv- wie Individualinteressen angemessen berücksichtigen. Hier ist das Gemeinwesen Selbstzweck; 3) ein Gemeinwesen muss Bedingungen dafür schaffen, dass standardisierte Problemlösungen entwickelt und bereitgestellt werden können (Güter und Dienste). Alle drei Aufgaben sind gleichermaßen von Bedeutung, keine kann über die andere gestellt oder durch sie substituiert werden. Der sozialisatorische Bildungsprozess beinhaltet eine Auseinandersetzung mit allen drei Aufgaben und der Sozialisand muss dazu eine Haltung herausbilden, in welcher Form er wo einen Beitrag leisten will. Das Gemeinwesen selbst muss die Bedeutung dieser Aufgaben immer wieder herausstellen und befestigen. Dass nun eine dieser Aufgaben – Erwerbstätigkeit – durch normative Überhöhung als vorrangige betrachtet wird, wie es für Bosch selbstverständlich ist, ist mit der Gleichrangigkeit nicht in Übereinstimmung, es unterläuft sie geradezu, führt zur Degradierung der anderen. Es ist also nicht die Erwerbsnorm, die Leistungsbereitschaft hervorbringt, sondern die reale Herausforderungen, vor denen das Gemeinwesen steht und die Art, wie sie gedeutet werden. Das Erwerbsgebot in seiner Vorrangstellung bewertet lediglich eine der Aufgabe als wichtiger als die anderen.
Auf S. 7 f. des Beitrags schreibt Bosch über die Bedürftigkeitsprüfung
„Natürlich können solche Bedürftigkeitsprüfungen sehr erniedrigend sein, vor allem wenn das Gefühl vermittelt wird, dass man ständig unter dem Verdacht des Betrugs steht. […] Zu harte und nicht als legitim angesehene Kontrollen sind der Nährboden für die hohe Popularität eines BGE unter Arbeitslosen und prekär Beschäftigten.“
Unter „Arbeitslosen und prekär Beschäftigten“ sei das BGE besonders populär – das entspricht meinen Erfahrungen überhaupt nicht. Einen Beleg bleibt er schuldig. Bosch übersieht hier, dass die strukturelle Stigmatisierung durch die Bedürftigkeitsprüfung nur in Verbindung mit dem Erwerbsgebot zu verstehen ist, erst dieses führt zur Stigmatisierung, weil es nicht-erwerbsförmige Leistungen abwertet (siehe über Bedarfe und Bedürftigkeit hier). Insofern ist nicht die Bedürftigkeitsprüfung entscheidend, es ist ihre Verbindung zum Erwerbsgebot, die entsprechende Folgen hat. Wenn Bosch schreibt, dass ohnehin die meisten sozialstaatlichen Leistungen gar nicht mit einer Bedürftigkeitsprüfung belegt seien, da es sich um Versicherungsleistungen handele, erwähnt er nicht, dass die Versicherungsansprüche beinahe ausschließlich über Erwerbstätigkeit erworben werden können und diese mit dem Erwerbsgebot verbunden ist. Damit bestätigt er die Geltung des Erwerbsgebots und die Nachrangigkeit nicht-erwerbsförmiger Tätigkeiten, obwohl auf sie nicht verzichtet werden kann (siehe hier).
Bosch nimmt für sich in Anspruch, eine sachliche Auseinandersetzung zu führen, kritisiert Van Parijs/ Vanderborght wegen mancher polemischer Wendung und unterschlägt zugleich differenzierte Ausführungen, so z. B. auf S. 8 des IAQ-Standpunktes:
„Die Hemmschwelle bei der polemischen Diskreditierung von sozialpolitischen Sachleistungen, die zum Beispiel den größten Teil der Ausgaben der Krankenversicherung ausmachen, liegt bei vPV (2017) sehr niedrig, wenn sie schreiben: “It is no coincidence that the clearest and most general form of minimum income provided in kind is to be found in prisons” (2017: 13). Vergleiche des Sozialstaats mit einem Gefängnis scheinen in der Szene populär zu sein. Werner vergleicht Hartz IV etwa mit offenem Strafvollzug (Werner 2007: 10).“
Direkt auf die aus dem Buch Van Parijs/ Vanderborght zitierte, durchaus polemische Passage, folgt in deren Buch dies hier:
„This presumption in favor of cash on grounds of freedom should not be embraced dogmatically, however. First, its advantage depends on the existence of a sufficiently open and transparent market: discrimination annihilates or curtails for its victims the purchasing power a cash income is supposed to give them. Second, in emergency of temporary situations, there might be no time to wait for a market to develop and the only way to save people from starvation might be to provide food and shelter. Third, as mentioned before, a basic income is not meant to replace all services provided or funded by the state. A combination of mild paternalism, awareness and positive or negative externalities, and concern for the preconditions of competent citizenship can easily override the argument for cash in some specific goods such as basic health insurance and education at the preschool, primary, and secondary levels.“
Ohne den Autoren in jeder Hinsicht zustimmen zu müssen lässt sich doch deutlich erkennen, dass sie die Sache differenziert betrachten und keineswegs ein öffentliches Gesundheitswesen usw. polemisch ablehnen, dasselbe gilt für Beratungsangebote jeglicher Art, gerade auch dann, wenn lebensgeschichtliche Erschwernisse vorliegen. Entscheidend ist jedoch, ob es Angebote sind, die ausgeschlagen werden können oder ob sie sanktionsbewehrt sind, ein Unterschied, auf den Bosch nicht eingeht. Wenn er von der „Szene“ spricht, womit er ihr die Diskussionsbereitschaft abspricht, polemisiert er ebenfalls, obwohl er das zuvor kritisiert.
Werners Ausspruch zu Hartz IV, auf den er verweist, Hartz IV sei „offener Strafvollzug“ ist für eine öffentliche Auseinandersetzung eine angemessene Polemik angesichts dessen, wie die Sanktionen lange Zeit verteidigt und verklärt wurden.
Auf S. 10 seines Beitrags schreibt Bosch:
„Neben den Kosten auf der Einnahmeseite des BGE sind auch die Kosten durch den Verlust anderer Transfers nach Abschaffung des Sozialstaats zu berücksichtigen. 1000 € pro Monat reichen bei weitem nicht bei einem kostspieligen Krankenhausaufenthalt, einer Rehabilitation oder einer Umschulung aus, ganz zu schweigen bei chronischen Krankheiten. Wenn man mehr als 1000 € im Alter haben will, muss man dafür privat sorgen, da die darüber liegenden Renten und Pensionen ja gekürzt würden.“
Bosch geht hier nach wie vor davon aus, dass der Sozialstaat abgeschafft werden solle, dabei vertreten das die wenigsten BGE-Befürworter und ebensowenig Van Parijs/ Vanderborght.
Zur Brauchbarkeit von Modellsimulationen, um die es in den Abschnitten vor der zuletzt zitierten Passage geht, sei auf einen Beitrag Alexander Spermanns verwiesen. Die Sache ist nicht so einfach, wie es scheint. Bosch benennt mit seiner Überschlagsrechnung nur die Bruttokosten (Einwohnerzahl x BGE-Zahlbetrag x 12 für die Jahresrechnung), die sind allerdings niemals ausschlaggebend, müssen doch Ausgaben und Einnahmen miteinander abgeglichen werden (darauf weisen auch Van Parijs/ Vanderborght hin). Es kommt also auf die Nettokosten an. Hierzu hätte Bosch berücksichtigen können, dass die Grundfreibeträge in der Einkommensteuer einen Teil des BGE-Zahlbetrags ausmachen würden. Statt wie heute als Besteuerungsvorbehalt zu wirken, würden sie zu Auszahlungsbeträgen, sie sind im BIP schon enthalten (siehe hierzu die Darstellung von Helmut Pelzer und Ute Fischer zum Ulmer Transfergrenzenmodell). Darüber hinaus wird es weiterhin auch solche Leistungen wohl geben müssen, die bedarfsgeprüft sind – was nur wenige in der Debatte bestreiten je nach Hintergrund (die libertäre Denktradition hat mit der kontinentaleuropäischen diesbezüglich wenig gemein). Was über Steuern eingezogen werden müsste, würde sogleich wieder als BGE bereitgestellt.
Im hinteren Teil des Beitrags schreibt Bosch:
„Für diejenigen, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst verdienen können, wird eine Grundsicherung notwendig bleiben. Um die Kosten zu begrenzen und diese Leistungen auch gesellschaftlich zu legitimieren, werden sich eine Bedürftigkeitsprüfung und ein Test der Arbeitsbereitschaft bei den Betroffenen im Erwerbsalter nicht vermeiden lassen.“ (S. 12)
Auch diese Grundsicherung muss natürlich aus dem finanziert werden, was an volkswirtschaftlicher Leistung zur Verfügung steht – hierin unterscheidet sie sich vom BGE überhaupt nicht. Es handelt sich also eher um eine praktische Bewertung, wie das geschehen soll, nicht aber darum, ob es überhaupt geschehen soll. Die Frage der Kostenbegrenzung betrachtet Bosch hier isoliert, woran bestimmt sich das, etwa am Niveau dessen, was über Steuern abgeschöpft werden muss, um das Existenzminimum unabhängig von Erwerbseinkommen bereitzustellen? Die Frage ist dann vielmehr nach dem Weg, wie das geschieht. Den Besteuerungsvorbehalt, der durch den Grundfreibetrag in der Einkommensteuer formuliert wird, ist eine Form, in der das Existenzminimum unangetastet bleiben soll, er ist keineswegs der einzige mögliche Weg. Alle Einwände gegen ein BGE, die sich darauf zurückziehen, dass Gutverdiener es nicht brauchten, zerschellen am Grundfreibetrag, es sei denn, diejenigen, die die Einwände vorbringen, würden ihn auch abschaffen wollen. Davon ist in der Regel keine Rede.
Was Bosch hier nonchalant unerwähnt lässt, ist die unbezahlte Arbeit, die geleistet wird, ohne dass aus ihr existenzsichernde Versicherungsansprüche erwachsen würden (an anderer Stelle plädierte er für andere Arbeitszeitmodelle, siehe hier). Offenbar steht die Erhöhung der Erwerbsquote und der Ausbau außerhäuslicher Betreuung über allem anderen, ganz wie es die durch das Erwerbsgebot erzeugte Hierarchie vorsieht. Notwendig ist das hingegen nicht, man könnte auch sagen, das Erwerbssystem verhält sich parasitär zur unbezahlten Arbeit.
„Anti-Armutsprogramme lassen sich auch zur Verbesserung der Infrastruktur und der Wohnungssituation in armen Regionen einsetzen, um die lokale Ökonomie zu stärken. Die ethische Begründung solcher Bedingungen unterscheidet sich in zwei wesentlichen Aspekten von der eines BGE: (1) Arbeit hilft Kompetenzen, Autonomie und Selbstbewusstsein zu entwickeln und stärkt das Gefühl, ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu sein; (2) ist leider nicht jeder in der Lage, ohne Hilfe seinen eigenen Weg aus der Armut herauszufinden. Diese Hilfe zu verweigern und bestehende Hilfen mit dem Abbau des Wohlfahrtsstaats abzuschaffen ist verantwortungslos, da es Armut und Ungleichheit verfestigt.“ (S. 13)
Zum 1): Ja, Erwerbstätigkeit eröffnet Erfahrungsmöglichkeiten eigener Art, die Kooperation mit Kollegen bezogen auf einen gesetzten Zweck usw. Sie kann Selbstbewusstsein und Autonomie bekräftigen, was für andere Tätigkeiten allerdings ebenso gilt und keineswegs Erwerbstätigkeit vorbehalten ist. Aber: weder entstehen Autonomie und Selbstbewusstsein in Erwerbstätigkeit, noch sind sie davon abhängig. Sie bilden sich in der Sozialisation, gehören zu den vorberuflichen Erfahrungen und wirken in die Berufstätigkeit hinein. Erwerbstätigkeit, das unterschlägt Bosch, bedeutet zugleich die Erfahrung der vollständigen Ersetz- bzw. Austauschbarkeit, der Einzelne ist dem Kooperationszweck untergeordnet, seine Aufgaben sind vorgegeben durch den Zweck, er zählt nicht um seiner selbst willen. Sein Beitrag besteht also nur darin, an der Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen mitzuwirken. Das ist viel wert, mehr aber auch nicht. Bosch unterschlägt vollkommen die Seite des Wirkens, die sich auf das Gemeinwesen bezieht, wo der Einzelne eben als ganze Person in ihrer Einzigartigkeit zur Geltung kommt, z. B. in der Familie, mit Freunden, aber auch als Bürger – dort ist er nicht austauschbar, es geht um ihn als ganze Person (siehe dazu auch hier und hier).
Zum 2): Ein BGE erlaubt es ja erst, Angebot anzunehmen, ohne mit Leistungsentzug bedroht zu sein, es ist die beste Basis, um sich freiwillig Hilfe zu suchen. Keineswegs führt ein BGE dazu, solche Angebote nicht vorzuhalten, beides hat nicht miteinander zu tun. Dass Bosch die heutigen Verwerfungen so leichtfüßig übergeht, die aus der Machtasymmetrie zwischen Sozialverwaltung und Leistungsbeziehern resultiert, kann nur erstaunen. Alles Wohlwollen von „Fallmanagern“ und zuständigen Mitarbeitern ändert an diesem Gefälle grundsätzlich nichts.
Darüber hinaus schreibt er:
„Das Ziel des BGE “…. to make less unequal real freedom, possibilities and opportunities“ (vPV 2017: 107) wird verfehlt. Gleichzeitig aber – und das ist vielleicht der wichtigste Aspekt der verborgenen Agenda – lenkt man die politischen Energien der zahlreichen Unterstützer eines BGE von der Unterstützung sinnvoller Vorhaben ab. Gegenüber einer einschmeichelnden Rhetorik mit so vielen Versprechungen sollte man daher misstrauisch werden.“ (S. 14)
Eine „verborgene[n] Agenda“ soll es geben, welche wäre das? Eine sonderbare Unterstellung, die Bosch hier äußert, ist die Argumentation bei Van Parijs/ Vanderborght doch transparent. Jeder kann sich, je nach Ausgestaltung eines BGE, vor Augen führen, was es verändern würde bzw. müsste sich mit etwaigen Konsequenzen befassen. Wenn es zu einer Einführung kommen sollte, werden all diese Folgen öffentlich diskutiert werden müssen, die es mit sich bringen könnte. Ist das nicht ein gewöhnliches Vorgehen in einer Demokratie? Und geschieht das nicht schon seit Jahren, ist nicht Boschs Beitrag selbst ein solcher in der Diskussion? Bosch lässt die Argumente nicht gelten und wirft ihnen „einschmeichelnde[…] Rhetorik“ vor, gilt das denn für seine Ausführungen ebenso?
Fassen wir zusammen: Bei aller Vielfalt der Einwände, die Bosch thematisiert, zitiert er doch äußerst selektiv (zu diesem Phänomen siehe hier) und beschränkt sich auf zwei Autoren, was der Differenziertheit der Debatte nicht entspricht. Götz W. Werner, der wichtige Überlegungen in die Diskussion eingebracht hat, wird an wissenschaftlichen Maßstäben gemessen, was doch einigermaßen abwegig ist, als könnten Überlegungen nicht sachhaltig sein ohne eine entsprechende wissenschaftliche Fundierung. An Boschs Beitrag lässt sich erkennen, dass er eine ganz bestimmte Expertise heranzieht und eine andere nicht, der Vorwurf, den er an andere richtet, also für ihn selbst ebenfalls gilt. Wer Sachlichkeit in der Diskussion fordert, muss ihr selbst verpflichtet sein.
Sascha Liebermann