…so ist ein Interview mit Peter Kirchschläger, Professor an der Universität Luzern, in Der Bund aus Bern übertitelt, in dem es um Folgen der Nutzung Künstlicher Intelligenz in den kommenden Jahren geht und wie darauf geantwortet werden könnte (ein weiteres Interview hat er News.at gegeben). In früheren Beiträgen hatten wir deutlich gemacht, dass die Einführung eines BGE nicht direkt mit etwaigen Folgen der Digitalisierung zusammenhängt und entsprechend auch eine Begründung, die sich daran bindet, nur eine schwache Begründung für ein BGE ist. Warum? Weil ein BGE dann nur als Reparaturmaßnahme für Defekte des Arbeitsmarktes benutzt würde und entsprechend nicht eingeführt werden müsste, wenn diese sich nicht einstellten. Kirchschläger allerdings schlägt gar kein BGE vor, nur ein Grundeinkommen, so nennt er es. Wie begründet er das?
„Was sollte man stattdessen machen?
[Kirchschläger] Ehrlicher wäre es, anzuerkennen, dass wir das System demokratisch so anzupassen haben, damit in Zukunft alle von der Wertschöpfung durch DS profitieren können.
Wie könnte eine solche Anpassung aussehen?
[Kirschschläger] Fällt die Vollbeschäftigung weg, dann verlieren viele Menschen nicht nur ihr Einkommen. In meinem Buch führe ich 40 Funktionen auf, die eine Arbeitsstelle bietet, darunter Sinn- und Identitätsstiftung oder eine Tagesstruktur. Dem müssen wir Rechnung tragen, zum Beispiel mit meinem Society-, Entrepreneurship-, Research-Time-Modell, kurz Sert.“
Offenbar geht er von erheblichen Folgen der KI-Nutzung für den Arbeitsmarkt aus, was zu Arbeitsplatzverlusten führe. Das sei aber nicht das einzige Problem, denn „viele Menschen [verlieren] nicht nur ihr Einkommen“. Gewiss, Erwerbstätigkeit kann auch sinnerfüllend und für das Selbstverständnis bedeutsam sein, das würde ich nicht bestreiten. Wenn beides aber nur daran hängen sollte, wäre das eher problematisch. Nach geradezu schwarzer Pädagogik klingt es, wenn er der Auffassung ist, die Tagesstruktur (siehe auch die Äußerung Ralf Dahrendorfs dazu hier) hänge gar davon ab, erwerbstätig zu sein, als seien Menschen nicht grundsätzlich in der Lage, sich diese Struktur selbst zu geben. Wer dazu nicht in der Lage ist, hätte Beratungsbedarf, davon jedoch allgemein auszugehen, kommt einer Entmündigung gleich. Was eröffnet nun das von ihm hier eingeführte Modell Sert?
„Was sieht dieses Modell vor?
[Kirchschläger] Einerseits würden alle Menschen, die wegen DS keinen Job mehr haben, ein Grundeinkommen erhalten. Dieses wäre so hoch, dass es nicht nur zum Überleben reicht, sondern auch ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Dafür müssten die Menschen Gesellschaftszeit leisten und einer gesellschaftlich wichtigen Aufgabe nachgehen. Diese könnten sie frei wählen, zum Beispiel geflüchteten Menschen oder Bergbauern helfen. Das Vorbild dafür ist der Schweizer Zivildienst. Gleichzeitig setzt Sert Anreize für Innovation, Forschung und Unternehmertum. Denn wer sich in diesen Bereichen engagiert, würde von der Gesellschaftszeit befreit. Die Jobs, die man nicht durch DS ersetzen kann, müsste man über hohe Löhne attraktiv machen.“
Sein Grundeinkommen soll offenbar nur für diejenigen da sein, die ihren „Job“ verlieren, dann wäre es ein Grundeinkommen für erwerbslos gewordene oder vielleicht doch für alle, die erwerbslos sind? Das ist hier nicht deutlich, läge aber nahe, es sei denn, er würde den Anspruch daran binden, dass sie einmal mindestens erwerbstätig waren. Das Grundeinkommen wäre dann eines, das sich aus der Erwerbsbeteiligung ableiten würden – und was erhielten die anderen? Wenn eine Bedingung für den Bezug des Grundeinkommens ist, „Gesellschaftszeit“ zu leisten, müsste das Grundeinkommen wiederum für alle zugänglich sein. Neu ist diese Idee nicht, denn Anthony Atkinson schlug schon vor beinahe 30 Jahren ein „participation income“ vor, dass eben genau an gesellschaftliches Engagement gebunden ist. Dass auch Kirchschlägers Vorschlag eine Angemessenheitsprüfung verlangt, liegt auf der Hand, denn ob ein solches Engagement vorliegt oder nicht, muss zuerst ermittelt oder zuvor definiert worden sein. Es bedarf auch einer Überprüfung, ob dieses Engagement noch erbracht wird, also erfordert es eine Sozialverwaltung mit Aufsichtsrechten. Auffällig ist, wie selbstverständlich Haushaltstätigkeiten nicht unter ein solches Engagement fallen, sie bleiben in Kirchschlägers Modell etwas Zweitrangiges, zumindest im Interview.
Auch die andere Seite, die angereizt werden soll – Innovation, Forschung und Unternehmertum – müssten erst ermittelt werden. Wo beginnt denn Forschung, was zählt als Innovation und was als Unternehmertum? Woran misst man das? Dass Kirchschläger nun gerade solche Beispiele wählt, ist erstaunlich, leben diese Bereiche doch ganz besonders von der von keinem „Anreiz“ abhängigen starken Eigenmotivation der Personen. Geht es ihm nur um bessere Entfaltungsmöglichkeiten oder um Förderung solcher Tätigkeiten? Dann hätte er von Entfaltung und Förderung sprechen können, „Anreize“ hingegen beziehen ihre Bedeutung von einem vereinfachten Reiz-Reaktions-Modell des Handelns, genau so werden sie in den Mikrosimulationsmodellen zum BGE auch eingesetzt.
Sascha Liebermann