„Toxische Hilfe“…

…ein treffender Ausdruck Baukje Dobbersteins für das, was ich deautonomisierende Hilfe nennen würde, eine Hilfe, die denjenigen, dem geholfen werden soll, ersticken kann. Welche Folgen toxische Hilfe hat, beschreibt sie in dem hinterlegten Beitrag und darüber hinaus, wie wichtig die Erfahrung ist, dass einem etwas gelingt.

Deutlich wird in ihm auch, dass der Bildungsprozess hin zur Autonomie des Erwachsenen ein langer Weg ist, der nicht ohne Hilfe und Unterstützung auskommt (funktionale oder konstitutive Abhängigkeit), diese aber immer im Dienst der Autonomie stehen muss. Eine sehr fragile Angelegenheit ist das, die darüberhinaus für alle Helferkonstellationen von Bedeutung ist („Hilfe zur Selbsthilfe“).

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„Aber ich bin lieber von meinem Mann als vom Staat abhängig“…

…eine Haltung einer Hausfrau und Mutter gegen das Bedingungslose Grundeinkommen. Der Einwand ist vielsagend und entspricht einem Autonomieverständnis, dass erst dann voll erreicht ist, wenn es keine Abhängigkeit mehr gibt. Ganz anders argumentieren „Frauen für das Bedingungslose Grundeinkommen“.

Irrungen, Wirrungen – wo Klarheit not täte

Man sollte meinen, dass die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens, die damit verbunden ist, dass Arbeit als Quelle von Einkommen einerseits, als Quelle von Wertschöpfung und Lebenssinn andererseits endlich – gedanklich zumindest – unterschieden werden, auch die fixe Idee, Menschen arbeiteten nur, weil sie dazu angereizt würden, in den Orkus der Verirrungen in der Vorstellung von Menschen befördert hätte. Aber dies selbst ist ein Irrtum: Der Mensch als Reiz-Reaktions-Mechanismus schwirrt auch durch die Vorstellungen von BGE-Befürwortern.

So sagte unlängst Georg Vobruba in einem Interview in der SZ: „Wenn das [Grund-] Einkommen eine Höhe haben soll, die finanzierbar ist, würde es vermutlich den wenigsten reichen. Deshalb würden die meisten trotzdem arbeiten.“ (Hampel, Lea; Vobruba, Georg (2014): „Es gibt die Bereitschaft zu mehr Umverteilung“. Der Leipziger Volkswirtschaftler und Soziologe Georg Vobruba über die Kultur des fröhlichen Forderns. In: SZ: 20./21.9.2014; Hervorhebung TL) Menschen arbeiten also – so die Grundannhame hinter dieser Äußerung – nicht etwa, weil sie eine Aufgabe bewältigen wollen, weil sie einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten wollen, weil sie sich selbst bewähren wollen – sondern, weil sie müssen, wenn sie weiter konsumieren wollen. Anders Lea Hampel in ihrem öffnenden Kommentar: „Menschen arbeiten für Anerkennung, soziale Kontakte und weil es Ihnen Freude bereitet. Das Geld spielt eine Rolle, aber nicht die einzige.“ (Hampel, Lea (2014): Grundeinkommen. Der Wert der Arbeit. In: SZ: 20./21.9.2014) Für Vobruba sind umgekehrt solche Gründe lediglich ein add on: „Hinzu kommt: Viele Leute arbeiten gern.“ – Immerhin.

Dann aber heißt es wieder – mit Bezug auf die sozialen Sicherungssystem in Großbritannien, den Niederlanden, Deutschland und Österreich –: „Vor allem die an Grundsicherung ausgerichteten Beispiele haben doch eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Grundeinkommen. Bedingungslos sind sie natürlich nicht, aber die Entkopplung von Arbeit und Einkommen ist wahrlich nichts Neues.“ Hoppla, da wird die Tatsache, dass ein Arbeitsloser etwa rein formal betrachtet sein Arbeitslosengeld II nicht aufgrund einer Lohnarbeit erhält, bereits als Entkopplung von Arbeit und Einkommen bezeichnet. Dass es aber normativ auf’s Engste miteinander gekoppelt bleibt, da es je stets ein Ersatzeinkommen für das eigentliche, das primäre Einkommen aus Erwerbstätigkeit ist, woraus sich auch die ganzen Sanktionen speisen, denen derjenige, der auf die Idee käme, das Transfereinkommen als primäres Einkommen zu betrachten, ausgesetzt ist, das sieht Vobruba nicht. Diese gedankliche Unklarheit erweist der Verbreitung der Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens allenfalls einen Bärendienst – habt Euch doch nicht so, könnte man sagen, Alo II ist doch quasi ein Grundeinkommen…

Aber im weiteren Verlauf sieht man dann auch, dass Vobruba gar nicht für das Bedingungslose Grundeinkommen eintritt, sondern für die Negative Einkommenssteuer und dabei eben zugleich an der Erwerbseinkommensfixierung festhält – nur benennt er es nicht klar, sondern tut im Gegenteil so, als sei die Negative Einkommenssteuer eine Form der Bedingungslosen Grundeinkommens. Da kann man nur konstatieren: Irrungen, Wirrungen. Und das geht weiter so: „die Effekte [des Grundeinkommens] sind ähnlich wie die des Mindestlohns. Ein Stück Autonomie wäre drin.“ – Wie bitte? Durch Mindestlohn, der verordnet wird und die Erwerbsfixierung noch weiter festigt, sollen wir Autonomie erlangen? Das ist eine Reduktion von Autonomie auf Cash in de Täsch, von dem man sich ein Stück Autonomie kaufen kann wie ein Stück Kuchen…

Dann aber will Vobruba immerhin „Kontrollexzesse bei Harz IV ab[…]schaffen“ – aber halt: nur die Exzesse? Damit hält er also an der Kontrollhaltung als normativ gerechtfertigt fest, was sich auch daran zeigt, dass er die „Verküpfung von Arbeitseinkünften und Sozialleistunge intelligenter […] gestalten“ will – eben nicht auflösen. Wer uns hier von der SZ als Vertreter des BGE verkauft wird und sich selbst wohl auch als solcher begreift, ist letzlich ein Vertreter des Status Quo der Ewerbsfixierung, den er mit einigen Veränderungen humanisieren – nicht aber hin zu einer Anerkennung des ganzen Menschen durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen überwinden möchte.

Thomas Loer

“Kann Arbeitsleistung weiterhin als basales Kriterium der Verteilungsgerechtigkeit dienen?”

Ulrich Oevermann, Prof. em. (Soziologie), hat 1983 eine Analyse mit diesem Titel verfasst, die erst Anfang dieses Jahres in Form eines Buchbeitrages veröffentlicht wurde (siehe unseren Hinweis auf den Sammelband von Manuel Franzmann). Zwar war der Text in der Frankfurter Stadt- und Universitätsbibliothek herunterzuladen, konnte aber bislang als „graues Papier“ gelten.

Wohl gab es in den achtziger Jahren eine intensive Debatte über die „Krise der Arbeitsgesellschaft“ und auch das Grundeinkommen, insofern ist Oevermanns Beitrag hierzu nicht ungewöhnlich. Die Analyse selbst jedoch ist es durchaus, weil sie technologischen Fortschritt und strukturelle Arbeitslosigkeit anders deutet. Sie sind nicht alleine der Grund für Alternativen zur Erwerbszentrierung, sondern auch Resultat intrinsisch motivierter Leistungsbereitschaft. Folgerichtig hebt der Beitrag heraus, dass beide Phänomene nur die Problemlage verschärfen, die sich aus der historischen Entfaltung von Autonomie ergibt. Die Lage führt zu folgendem Widerspruch: Auf der einen Seite besteht – so die Diagnose von 1983 – eine allgemeine Leistungsverpflichtung fort, die in Erwerbsarbeit einzulösen ist, und nur dort als Gemeinwohlbeitrag anerkannt wird. Das soll notfalls mit einer Umverteilung von (Erwerbs-) Arbeit erreicht werden (Arbeit als knappes Gut); auf der anderen Seite jedoch hat sich die Lebensführung in einem Maße individuiert (nicht individualisiert!), dass Leistung und Sinnhaftigkeit nach eigenen Gütekriterin bestimmt werden, eine allgemeine Umverteilung und Vorschrift von Arbeitszeit oder Bestimmung von Gütekriterien ihr jedoch entgegensteht. Dieser Widerspruch droht nun gerade die Leistungsethik, die Grundlage des Wohlstandes ist, zu zerstören, weil an einer normativen Verpflichtung – der Erwerbsarbeit – festgehalten wird, denn sie entsprich den individuierten Lebensentwürfen nicht mehr. Diese Schlussfolgerung ist es, die die Analyse, auch wenn vom Grundeinkommen in ihr keine Rede ist, dennoch aktuell erscheinen lässt. Sie hebt nämlich die Basis von Wohlstand, die individuierte Leistungsbereitschaft, heraus, die in der Regel unterschätzt, wenn nicht gar in ihrer Bedeutung kleingeredet wird – das Stichwort „Anreiz“ sei zum Hinweis genannt.

Oevermanns Einsichten, das sei erläuternd beigefügt, rühren aus einem Forschungsverständnis, dass sich die Welt nicht anhand hoch aggregierter quantifizierter Daten erschließt, wie sind in weiten Teilen der Sozialwissenschaften verwendet werden, sondern auf der Basis von Fallrekonstruktionen (siehe hier und hier). Sie geben reichhaltigen Einblick in konkrete Lebensvollzüge und erlauben es, handlungsleitende Überzeugungen und Motivationen detailliert zu bestimmen, die in quantitativen Erhebungen lediglich verschüttet werden.

Sascha Liebermann