Ein gutes Zeichen, daß nun auch der Rheinische Merkur mit einem Beitrag von Thomas Straubhaar die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen aufgenommen hat. Angesichts der nun schon mehr als zwei Jahre öffentlich geführten Diskussion um ein Grundeinkommen ist ein deutlicher Wandel zu verspüren. War es letztes Jahr noch undenkbar, daß Parteien und Gewerkschaften sich mit dem Vorschlag öffentlich beschäftigen, hat sich seit Jahresanfang der Wind deutlich gedreht. Parteien laden zu öffentlichen Veranstaltungen zum Grundeinkommen ebenso ein wie Gewerkschaften. Offenbar ist das bedingungslose Grundeinkommen der einzige Weg aus unserer Misere.
Eine Stärke des Grundeinkommens ist es, die Bürger als Bürger, als Fundament unseres Gemeinwesens anzuerkennen, ihnen zu vertrauen. Sie werden schon, so die Maxime des Vorschlages, ihren Beitrag leisten, wenn wir ihnen die Entscheidung voll und ganz überlassen. Das bedingungslose Grundeinkommen soll ja auch deswegen leistungslos gewährt werden, weil wir schon heute in die Autonomie, den freien Entschluß der Bürger, ihren Beitrag leisten zu wollen, vertrauen: sonst wäre Demokratie unmöglich. Mit der Einführung entschieden wir uns dazu, unsere Lebensvorstellungen umzuwerten. Egal was, egal wo, egal wie: der Einzelne wird sich dort engagieren, wo er es für richtig und wichtig hält. Was auch immer er unternimmt, er gehört zum Gemeinwesen, in dem sich alle auf Augenhöhe begegnen. Die Gemeinschaft der Bürger ist die einzige, die den Einzelnen um seiner selbst willen anerkennt, egal woher er kommt – ganz im Unterschied zu heute, da seit Jahren eine Politik des Arbeitshauses regiert.
Nur ein Effekt des bedingungslosen Grundeinkommens, nicht sein Zweck, wie es der Beitrag von Thomas Straubhaar nahelegt, ist es, das Initiativwerden, die freie Entfaltung auch im unternehmerischen Sinne zu fördern. Sie ist nur eine Form des Engagements im Gemeinwesen und nicht die wichtigste. Wenn es in dem Beitrag heißt, daß das Grundeinkommen und die in seinem Gefolge notwendige Umgestaltung „die Anreize zu eigener Erwerbstätigkeit erhöht und legale gegenüber illegaler Arbeit nicht mehr so sehr benachteiligt wie heute“, wird noch so argumentiert, als bedürfe der Mensch eines von außen kommenden Impulses, eines „Anreizes“, um sich in Gang zu setzen. Das Grundeinkommen, heißt es weiter, sorge dafür „daß die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht durch einen Wegfall der sozialen Unterstützung bestraft wird. Das erhöht gerade im Niedriglohnbereich die Anreize zu arbeiten noch einmal beträchtlich“. Leiden wir an einem Autonomiedefizit, leiden wir daran, von uns aus initiativ zu werden? Wir leiden doch vielmehr an Autonomieverhinderung – die Bürger würden schon, wenn man sie ließe. Was wie ein Streit um des Kaisers Bart erscheinen mag, ist tatsächlich eine andere Perspektive auf die Problemlage. Schon heute müßten wir doch angesichts der Freiheitsfeindlichkeit uns eher darüber wundern, daß bei all der Autonomieverhinderung wir Bürger noch immer uns engagieren. Offensichtlich wollen die Einzelnen in der Regel ihren Beitrag leisten, dort, wo sie es für richtig und wichtig erachten.
Auch soll das Grundeinkommen nicht denjenigen Schutz gewähren, die keine Arbeit haben, wie es an anderer Stelle heißt: „Menschen, die keine Arbeit haben…benötigen sozialpolitischen Schutz und Unterstützung und nicht jene, die einen Job haben“. Damit wird die Idee gerade in ihr Gegenteil verkehrt. Soll das Grundeinkommen Berufstätigen nicht gewährt werden, soll es angerechnet werden? – Dann hätte es mit dem bedingungslosen Grundeinkommen nichts mehr zu tun. Nur wenn es zu jeder Zeit gewährt wird, gibt es allen gleichermaßen die Freiheit zur Entscheidung, ganz gleich ob sie einer Erwerbsarbeit nachgehen oder nicht. Würde es immer gewährt, fände auch keine Anrechnung statt. Jedes zusätzlich Einkommen würde auf das Grundeinkommen oben drauf gelegt. Es sind zwei voneinander unabhängige und anders legitimierte Einkommen, um die es geht.
Und wie ist die paternalistische Fürsorge – ein Rest an Mißtrauen – zu verstehen, wenn es im Zusammenhang mit der Krankenversicherung heißt: „Hier könnte der Staat auch Gutscheine ausgeben, die bei jeder Kranken- oder Unfallkasse für eine Grundsicherung eingelöst werden können“. Wozu Gutscheine, weshalb es nicht dem Einzelnen überlassen bzw. ihn direkt beim Arzt bezahlen lassen, zumindest für die ihm direkt zumutbaren Beträge? Der Solidarteil könnte ebenfalls über Steuern finanziert werden. Die Gutscheine führten eine Kontrolle ein, derer wir nicht bedürfen.
„Klar ist: Je höher das Grundeinkommen, desto teurer wird das Konzept für die öffentlichen Kassen und umso höher müssen die Steuereinnahmen liegen. Je höher aber die steuerliche Belastung ist, desto geringer wird der Anreiz, steuerpflichtige Tätigkeiten auszuüben.“ Da ist sie wieder, die Autonomievergessenheit, als sei der in Rede stehende Zusammenhang mit einer Art Sozialmechanik zu erklären. Wenn die Bürger sich für ein solches Grundeinkommen aussprechen, wenn das System transparent ist und ihre Freiheit stärkt, werden sie auch bereit sein, die Steuern abzuführen, die zu seiner Finanzierung notwendig sind. Da die Dynamik, die das Grundeinkommen wohl ermöglichte, kaum vorhersagbar ist, erscheinen unsere heutigen Kalkulationsversuche schon, als seien sie von gestern. Es muß ja nicht bei der Einkommensbesteuerung bleiben, weshalb nicht auf Konsumbesteuerung vollends umstellen? Benediktus Hardorp hat die Argumente dafür schon lange auf den Tisch gelegt.
„Im Sinne der „Politik der kleinen Schritte“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel sollte das Konzept zunächst neben das bestehende System gestellt werden. Die Bevölkerung hätte dann die Möglichkeit, sich freiwillig entweder für das alte oder das neue System zu entscheiden.“ Keinesfalls sollte die „Bevölkerung“ dies entscheiden, sondern diejenigen, die die politische Ordnung tragen: die Bürger. Erst wenn wir das begreifen, daß es kein Gemeinwesen ohne seine Bürger geben kann, daß die Bürger alles tragen, wird das Grundeinkommen eine breitere Aufnahme finden: ob das gelingt, hängt von jedem Einzelnen ab.
Sascha Liebermann
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