Bildungsgutscheine und ihre gegenwärtige Kritik – eine Verwunderung

Bildungsgutscheine, gegenwärtig in Form einer Chip-Karte diskutiert, sollen gewährleisten, dass öffentlich bereit gestellte Mittel auch denen zukommen, für die sie gedacht sind. Da Kinder in der Gefahr leben, von ihren Eltern übergangen zu werden (es geht natürlich nur um ALG-II-Bezieher) – so die Denke hinter den Gutscheinen -, dürfen Leistungen nicht in Bargeld an die Eltern erfolgen. Auch diese Diskussion ist ein Beleg für das Misstrauen in die Eltern, denn erwogen wird nicht, in Fällen, wo tatsächlich die Kinder vernachlässigt werden, solchen Sachleistungen gegenüber einer Bargeldleistung den Vorzug zu geben oder einzugreifen, wo das Kindeswohl bedroht ist. Es soll stattdessen von Anfang an verhindert werden, dass ein Missbrauch überhaupt geschehen kann.

Die Weltfremdheit solcher Überlegungen erstaunt einen stets von Neuem. Eltern, denen das Wohl ihrer Kinder tatsächlich nichts bedeutet, sind die Ausnahme und nicht die Regel. Weshalb es zu diesen Ausnahmen kommt, das ist nur zu begreifen, wenn die Lebensgeschichte der Eltern in Augenschein genommen wird. Aufgrund von Traumatisierungen sind in vielen solcher Fälle Eltern derart mit sich beschäftigt, dass sie sich ihren Kindern nicht genügend widmen können. Wo sie heute schon Geldleistungen nicht in Bildungsförderung umsetzen, werden sie auch die Chip-Karte nicht in diesem Sinne nutzen. Die Bewältigung des Alltags ist für manche Eltern eine Herausforderung, die alle Aufmerksamkeit verlangt. Diesen Eltern – und ihren Kindern – ist mit einem Generalverdacht und der Bevormundung, die Bildungsgutscheine beinhalten, nicht geholfen. Die Stigmatisierung wird nur verstärkt und nicht gemildert (siehe hierzu auch „Unterhaltsrecht“, „Armut“ und „Kinder- und Jugendhilfe“). Stattdessen müsste die Stigmatisierung aufgehoben werden.

Ebenso verwunderlich wie diese Weltfremdheit des Vorschlags ist die Kritik mancher Kritiker an ihm (siehe z.B. die Nachdenkseiten, die FAZ ). Als seien nicht alle Leistungen, die als Einkommensersatz fungieren und nur nach Bedarfsprüfung vergeben werden unter den Bedingungen einer Erwerbsverpflichtung stigmatisierend. Die Kritiker haben offenbar vergessen, wie sehr der Sozialstaat schon vor den sogenannten Hartz-Gesetzen Leistungsempfängern eine Mitwirkungspflicht auferlegte, die unter Androhung von Sanktionen eingefordert werden konnte (BSHG §§ 1 und 25). Die Bildungsgutscheine sind nur konsequenter Ausdruck dieser Bevormundungs- und Misstrauenshaltung, aber nicht überraschend und schon gar nichs Neues (siehe auch Bürgerarbeit).

Anders wäre die Lage erst, wenn bedarfsgeprüfte Leistungen zusätzlich zu bedingungslosen Leistungen bereitgestellt würden. Durch ein bedingungsloses Grundeinkommen würde das Einkommen gesichert, durch die bedarfsgeprüften würden darüber hinausgehende Unterstützungsleistungen bereitgestellt (siehe z.B. „Grundeinkommen und Behinderung“ von Martina Steinheuer). Weil die Bedarfsprüfung für solche Leistungen sich nicht mehr auf die Einkommenssicherung richtet, sich also nicht mehr daran orientiert, dass der Bezieher der Erwerbsverpflichtung nachkommt, wäre sie auch nicht mehr stigmatisierend. Ihre Bewilligungsgrundlage wäre auf der Basis eines bedingungslosen Grundeinkommens eine andere. Sie richtete sich auf die Ermöglichung von Autonomie und Selbstentfaltung und hätte darin ihre Begründung, ohne ihre inhaltliche Ziele vorzugeben. Genau diesen Aspekt sehen die Kritiker der Bildungsgutscheine nicht, und dass die FDP gerade diese Bevormundung gut heißt, verrät uns viel über ihre fehlende Liberalität. Auch das ist aber nicht überraschend, denn, wer sich zu den Faulheitsbekämpfern schlägt, kann die Freiheit des Einzelnen nicht verteidigen.

Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen allerdings würden alle Souveränität gewinnen.

Sascha Liebermann

„Volksentscheide auf Bundesebene – mehr Demokratie wagen?“

So lautete ein Beitrag im ARD-Magazin Kontraste, dass sich mit dem Volksentscheid beschäftigte. Die Einwände dagegen, hier verkörpert durch einen CDU-Politiker, entsprechen in mancher Hinsicht denjenigen gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen. Sehen Sie selbst.

Frühere Kommentare von uns zu diesem Thema – hier und hier.

„Wer ist für Freibier, wer würde die Runde schmeißen?“

Am 28. Juni fand in Frankfurt unter dem Titel „Vom Freelancer zum Faulenzer“ eine Diskussion über Grundeinkommen statt. Im nachstehenden Zusammenschnitt (von ESA-Film) ist besonders eines interessant, wie nämlich die Wirtschaftsredakteurin der FAZ, Heike Göbel, auf die Ausführungen Enno Schmidts reagiert.

Die Bürgergemeinschaft wird dabei vor allem als Bilanzgemeinschaft (Teil 1) gedeutet, in der die einen für die anderen zahlen. Dass in einer Bürgergemeinschaft eine grundlegende Abhängigkeit aller von allen als Solidargemeinschaft besteht (siehe „Althaus Radikalkur“, „Wer von der Gemeinschaft Geld bekommt…“ und „Einer Übermacht von Zauberern…“), wird gar nicht gesehen. Darüber hinaus wird auch nicht in die Betrachtung einbezogen, welchen Wert für das Gemeinwesen Fürsorge in den Familien und Freiwilligenengagement haben. Frau Göbel würde wohl die Fremdbetreuung von Kindern sowie die erwerbsförmige Organisation von Freiwilligenengagement für wertschöpfend halten. Solange sie nicht erwerbsförmig erbracht werden, sind sie „volkswirtschaftlich“ zu vernachlässigen. Auf diese Weise lässt sich aber nicht der Stellenwert der verschiedenen Bereiche in einer Volkswirtschaft oder treffender: in einem Gemeinwesen begreifen. Alle sind gleichermaßen unerlässlich.

Sehr interessant ist auch im dritten Teil die Bemerkung von Frau Göbel, ob mit dem BGE eine „Gesellschaft“ sich nicht billig aus der Verantwortung stehle. Sagen das nicht sonst Gewerkschafter und „Linke“? So groß sind die Gemeinsamkeiten und so geringe die Unterschiede beider mit Wirtschaftsliberalen – einig sind sie sich in der Ablehnung des BGE.

Sehen Sie selbst: Teil 1, Teil 2, Teil 3

Woher rührt der politische Stillstand? – Die SPD-Brandenburg als Antwort

Wer sich mit dem Vorschlag eines Grundeinkommens beschäftigt und mit Einwänden dagegen auseinandersetzt, fragt sich alsbald, weshalb sich diese Einwände gegen das Grundeinkommen wenden sollen. Viele sprechen Probleme an, die wir längst haben und die nicht durch ein Grundeinkommen erst entstehen werden. Folglich müsste man sich fragen, ob diese Probleme nicht gerade deswegen entstanden sind, weil wir auf denselben Wegen weitermachen, die zu ihnen geführt haben. Genau das aber bemerken die Kritiker nicht. Statt ihren Blick auf die vielfältigen Chancen eines bedingungslosen Grundeinkommen in allen Bereichen unseres Zusammenlebens zu richten, stecken sie in der Vergangenheit und in realitätsfremden Vorstellungen fest.

An einer Pressemitteilung der SPD-Brandenburg mit dem Titel „Bedingungsloses Grundeinkommen ist keine Lösung“ lässt sich ablesen, weshalb Denk-Stillstand und damit politischer Stillstand herrscht. Solange wir nicht auf unsere tatsächlichen Lebensverhältnisse schauen, die uns lehren, dass die Menschen ihr Leben ohnehin in ihre eigenen Hände nehmen, so gut sie es können, solange wird es solche Verlautbarungen geben wie diese Pressemitteilung. Allerdings: auch in der SPD ist nicht alles Brandenburg, es gibt auch Rhein Erft. Dort wird immerhin ein Grundeinkommen mittels Negativer Einkommensteuer angestrebt wird, auch wenn das nicht dasselbe ist wie ein bedingungsloses Grundeinkommen (Hinweis 1, Hinweis 2, Hinweis 3).

Sascha Liebermann

Würdevolle Hilfe und das Bedürfnis zu arbeiten – Ulrich Schneider, Paritätischer Wohlfahrtsverband, zum bGE

Unter dem Titel „Ulrich Schneider vs. Sascha Liebermann“ hat ForMoreDemcracy bei Youtube ein Video eingestellt, in dem Äußerungen Ulrich Schneiders (Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes) über das bedingungslose Grundeinkommen denen Sascha Liebermanns (Originalaufzeichnung von ESA-Film) gegenüberstellt werden. Schneiders Äußerungen sind interessant für die Grundeinkommensdiskussion, weil sie in ihrer Kürze die Annahmen enthalten, die zur Arbeitshauspolitik führen. Gleichwohl aber sind sie auch nicht so hermetisch, dass sie nicht darüber hinaus wiesen.

Auf der einen Seite setzt Schneider unbegründet das bGE mit Untätigkeit gleich. So muss er schlussfolgern, dass ein würdevolles Leben nicht möglich sei, denn würdevoll sei Hilfe nur, wenn sie jemanden in die Lage versetze, selbst für sich sorgen zu können (ganz ähnlich auch Sarah Wagenknecht), das bGE erlaube das nicht. Das ist eine im echten Sinne naive Vorstellung, denn „selbst“ kann sich niemand versorgen, weil er ständig und dauerhaft auf die Leistungen anderer angewiesen ist, zuallererst auf ein Gemeinwesen, dass diese Möglichkeiten schafft. Darüber hinaus ist die Bedeutung von „selbst für sich sorgen können“ viel grundlegender als die Erzielung von Einkommen. Jemand muss sein Leben in die Hand nehmen können (das setzt einen sozialisatorischen Bildungsprozess voraus, damit er es kann) und dann muss er es wollen.

Autonomie auf Autarkie zu verkürzen ist weit verbreitet. Ihr entspricht auch der Vorwurf, Transferleistungsbezieher würden auf Kosten anderer leben (siehe „‚Kostgänger‘ des Staates“ und „Subsidiarität und bGE kein Gegensatz“). Dabei könnte man genauso sagen, der Markt lebt auf Kosten von Vereinen und Familien, die ihre Leistungen ohne Entgeltforderung erbringen.

Da Schneider dem Menschen zugleich das „Bedürfnis“ attestiert, arbeiten zu wollen, könnte ihn das dazu veranlassen, das bGE gerade für würdevoll zu erachten. Denn es setzte den Einzelnen in den Stand, arbeiten zu können, und zwar nicht nur dort, wo seine Arbeit im engen Verständnis von „Arbeitsplatz“ nachgefragt wird, sondern wo er es für wichtig und richtig erachtet, wo er seine Stärken erkennt. Ihm kommt diese Deutung aber nicht in den Sinn, weil er Würde, Arbeitsplatz und Einkommenserzielung direkt voneinander abhängig macht. Folglich muss er auch fordern, dass Arbeitsplätze bereitgestellt werden. Arbeit wird darauf reduziert, die Gelegenheit zur Erzielung von Einkommen zu sein, im Zentrum steht nicht mehr die Sinnhaftigkeit einer Tätigkeit. Diese Reduzierung von Arbeit auf die Gewährleistung von Einkommen zerstört jedoch gerade die Grundlage von Innovation, führt also gerade zum Gegenteil dessen, was für die Enstehung von Neuem unerlässlich ist. Neues entsteht nur und Arbeitsabläufe werden nur zuverlässig erledigt, wo eine Identifizierung mit der Arbeitsaufgabe vorliegt. Der Weg ins Arbeitshaus, der so beschritten wird, ist der wahre Grund unserer elenden Lage. Das bGE hingegen führte hinaus.

Sascha Liebermann

"Elterngeld abschaffen" – Weshalb nicht gleiches Elterngeld für alle oder noch besser: bedingungsloses Grundeinkommen?

Unter dem Titel „Elterngeld abschaffen“ legt Heike Göbel in der FAZ dar, weshalb es gekürzt oder gar ganz eingespart werden sollte. Unter anderem schreibt sie:

„Notwendig wäre es, über eine Abschaffung, zumindest aber Kürzung und starke Konzentration dieser Sozialleistung nachzudenken: Denn das Elterngeld schützt in erster Linie Mittelschichtfamilien vor Verdienstverlust und sichert Vätern als Mitnahmeeffekt bezahlten Kinderurlaub. Es begünstigt damit eine Klientel, die den Staat nicht wirklich braucht.“

Zwar trifft die Diagnose zu, dass vor allem Mittelschichtsfamilien profitieren, da das Elterngeld bis zur Höhe von 1800 Euro relativ zum Einkommen gewährt wird. Noch schwerer wiegt aber, dass Eltern, die vor Bezug des Elterngeldes nicht erwerbstätig waren, nur den Basisbetrag von 300 Euro erhalten. Damit werden zwei Klassen von Eltern geschaffen und Elternschaft abgewertet. Ziel des Elterngeldes ist es, die Erwerbstätigkeit zu belohnen.

Doch Göbel zündet Nebelkerzen. Selbst die maximale Höhe des Elterngeldes von 1800 Euro erlaubt es einer Familie nicht, Großartiges zu unternehmen. In Regionen mit sehr niedrigen Mieten reicht es als einziges Einkommen bestenfalls gerade aus, um über die Runden zu kommen. Wo Mieten höher sind, ist das nicht möglich. Auch heute können nur beide Eltern zuhause bleiben, wenn sie das Elterngeldeinkommen durch Erspartes aufstocken. Wer ist dazu in der Lage? Nur, wer zuvor hat sparen können. Auch hier werden also Besserverdiener bevorteilt. Der Mitnahmeeffekt dieser „Klientel“, wie Göbel sie nennt, ist äußerst wünschenswert, wenn man in Kategorien von Bürger, Verantwortung und Gemeinwesen denkt. Dann wäre die Forderung konsequent, gleiches Elterngeld für alle zu fordern. So republikanisch liberal nun aber sind die Liberalen nicht, auch nicht in der FAZ.

Statt einer Abschaffung des Elterngeldes, wie sie Heike Göbel ganz im Geiste der Bedürftigkeitsdenke fordert, sollte es allen Eltern möglich sein, zuhause zu bleiben, um sich um ihre Kinder kümmern zu können. Das Elterngeld weist hierzu den Weg, wenn auch auf alten Bahnen. Eine wirkliche Neuerung wäre nur möglich, wenn alle das gleiche erhielten, ganz gleich, ob sie es „brauchen“ und ohne es einer zuvor erbrachten Erwerbsleistung zu bemessen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde genau das erreichen und zugleich die Bedürftigkeitsdenke aufgeben.

Erstaunen kann in der Debatte auch, dass sich selbst kritische scheltende Webseiten wie die Nachdenkseiten auf einen solchen Beitag in der FAZ kommentarlos verweisen, wo sonst mit Kommentaren nicht gespart wird. Aber das lässt nur erkennen, wie sehr auch die Kritik heute noch immer in der Denkhaltung festgesteckt, soziale Gerechtigkeit mit Bedürftigkeit in einen Zusammenhang zu stellen. Dass es gerade diese Haltung ist, die ein Fortkommen in der Debatte verhindert uns geradezu blockiert, darauf sind die Kritiker noch nicht gekommen.

Sascha Liebermann