„Ich gehe: Mein Rücktritt vom Amt“ – Johannes Ponader über Jobcenter, Verletzung des Sozialgeheimnisses und tendenziösen Journalismus

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schildert Johannes Ponader, Bundesgeschäftsführer der Piratenpartei, seine Erfahrungen als Bezieher von Arbeitslosengeld II mit dem Jobcenter und den Irrsinn, den das mit sich bringt. Darüber hinaus berichtet er über journalistisch verzerrte Berichterstattung und unkritische Übernahme von fehlerhaften Meldungen. Siehe auch „Sanktionen bei ALG II – wie sich wehren?“

Nachtrag 8. Juli
Der Artikel von Johannes Ponader ist heftig aufgenommen worden, siehe z.B. Digitale Linke.

Wer hat was vom Grundeinkommen?

In der jüngsten Sendung von Markus Lanz (ZDF, 17.5.) war der politische Geschäftsführer der Piratenpartei, Johannes Ponader, zu Gast. Lanz setzte damit fort, was im letzten Jahr nach den ersten Erfolgen der Piratenpartei zu beobachten war – Vertreter der Piratenpartei waren immer wieder zu Gast. Dieses Mal allerdings wurde dem Bedingungslosen Grundeinkommen mehr Raum gegeben als zuvor. So konnten die Chancen, die ein BGE bietet, besser aufgezeigt werden, auch wenn es im Fernsehen aufgrund der knappen Zeit schwierig bleibt, die Idee darzulegen, denn nicht nur der Moderator fragt und fällt ins Wort, die anderen Gäste schalten sich ebenfalls ein. Johannes Ponader hat es dennoch gut hinbekommen, einen Einblick zu geben. Er eröffnete seine Darlegung mit einer grundsätzlichen Frage, auf die das BGE antwortet: „Was habe ich für ein Bild von der Gesellschaft“ – oder anders formuliert: Wie wollen wir zusammen leben? Er stellte dann heraus, wie wichtig es sei, Entscheidungsfreiräume des Einzelnen zu stärken; auch anders Aspekte wurden angesprochen z.B. die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.

An einer Stelle konnte man stutzen, sie findet sich ziemlich zu Beginn der Erörterungen (ca. ab Minute 21 oder bei Youtube). Ponader erläuterte, wie sich das BGE für Geringverdiener auswirkt und sagte dann: „Die, die wirklich mehr haben [durch ein BGE, SL] als heute, das sind die, die heute durch ihre Arbeit auch nicht mehr verdienen als jemand der Sozialleistungen bekommt“. Konsens bestand darin, dass der, der arbeitet, mehr haben soll als der, der nicht arbeitet (dazu weiter unten). Aber stimmt das denn, haben nur sogenannte Geringverdiener wirklich mehr durch ein Grundeinkommen und die anderen, gut Verdienenden, nicht?

Betrachtet man die Auswirkungen eines BGE rein rechnerisch, also nur von der Seite her, welches Einkommen einer Person nach Einführung des BGE und nach Abzug etwaiger Steuern zum Verbrauch zur Verfügung steht, dann mag sich für diejenigen, die gut verdienen, nichts ändern. Systematisch betrachtet hingegen (siehe auch „Rechnerisch oder systematisch?“) ändert sich alles. Selbst wenn das zum Verbrauch verfügbare Einkommen in derselben Höhe wie vor Einführung des BGE bestehen bleibt, so setzt es sich doch anders zusammen. Das Fundament, den Boden, auf dem der Einzelne fest steht, bildet das BGE – als Leistung der Bürgergemeinschaft an sich selbst. Es ist Ausdruck einer Solidarität, in deren Zentrum nicht Bedürftigkeit und Hilfe stehen, wie heute, sondern die Anerkennung des Einzelnen und des Gemeinwesens um seiner selbst willen. Das BGE ist ein Bürgereinkommen, kein Gehalt, kein Lohn und keine kompensatorische Leistung. Es ist nicht mit Anspruchserwerb und Beitragsfinanzierung verknüpft, es stellt eine aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanzierte Leistung dar. Es ermöglicht, verlangt aber nicht. In der Diskussion, auch von Befürwortern, wird diese systematische Veränderung häufig unterschätzt, eine Veränderung, die Folgen für alle hat, nicht nur für die Geringverdiener. Allzuschnell wird davon gesprochen, Wohlhabende bräuchten es doch nicht, für sie sei ein BGE „Peanuts“. Schon ist die Bedürftigkeit als Kriterium wieder da, die man doch hinter sich lassen will. Auch wird ihnen flugs unterstellt, dem Gemeinwesen ja gar nicht, den Privatinteressen ausschließlich, zumindest aber vorrangig dienen zu wollen. Das wirken Feindbilder fort. Mancher Befürworter ist womöglich selbst noch einer Vorstellung verhaftet, die Solidarität, Wohlstand und Lebensqualität in verfügbarem Einkommen bemisst und sonst in nichts.

Es ist genau dieser Unterschied, der Anerkennung des Einzelnen und des Gemeinwesens um seiner selbst willen, der den Unterschied ums Ganze macht, der auch BGE und Negative Einkommensteuer voneinander trennt, nicht graduell, sondern systematisch. Nur ein BGE stellt heraus, dass die Existenz des Gemeinwesens und seiner Bürger Selbstzweck ist, dass alle im selben Boot sitzen, jeder von jedem abhängig ist, insofern alle auf die Bereitschaft aller vertrauen müssen, zum Wohle des Ganzen wirken zu wollen. Daran führt kein Weg vorbei.

Sascha Liebermann