…das versteht Mathias Greffrath in der taz unter einem Bedingungslosen Grundeinkommen, das er im Zusammenhang seines Beitrags zu Digitalisierung und Automatisierung anspricht. Er knüpft darin an ein Feature im Deutschlandfunk an, auf das wir kürzlich hingewiesen haben.
Er schreibt unter anderem folgendes:
„…Um „den sozialen Frieden zu erhalten und Konsumenten in die Lage zu versetzen, Produkte zu kaufen“, werde über kurz oder lang das „bedingungslose Grundeinkommen“ kommen, glaubt Höttges. Und auch der zum Zukunftsguru avancierte McAfee plädiert für dessen Einführung.“
Ein BGE würde dies in der Tat leisten. Es jedoch damit zu begründen, wie es die zitierten Denker womöglich tun, reduziert den Menschen, reduziert die Bürger eines Gemeinwesens, auf Konsumenten. Das BGE als Befriedungsinstrument – oder auch Disziplinierungsinstrument -, um das Aufbegehren im Zaum zu halten, so zumindest klingt, was Greffrath wiedergibt. Thomas Straubaar hatte sich einmal ähnlich geäußert, und zwar in einem Interview mit brand eins. Allerdings sagte er einiges andere, das viel weiterreicht, als die von ihm abwegige Zuspitzung nahelegte.
So würde man vertun, was das BGE im Grunde ist: eine Wertschätzung und Anerkennung der Bürger um ihrer und des Gemeinwesens um seiner willen.
Greffrath fährt fort:
„Kein Grund zu linker Freude: Den Leistungseliten, die seinen Vorträgen lauschen, nimmt McAfee die Angst vor „Sozialistischem“ mit Power-Point-Porträts der Ultraliberalen Hayek und Friedman: sie, nicht Marx oder Lenin seien die Vordenker eines arbeitslosen Einkommens. Und das ergibt auch Sinn: denn unter den Bedingungen des globalen Konkurrenzkapitalismus ist eine Überflüssigen-Rente die billigste Lösung für die technologische Arbeitslosigkeit – und die einzige, die alles lässt, wie es ist.“
Aufgedeckt wird, was es mit diesem Grundeinkommen angeblich auf sich habe, wenn schon Hayek und Friedman als Ahnen zitiert werden. Doch bei genauerer Betrachtung geht es bei diesen beiden gar nicht um ein Bedingungsloses Grundienkommen von der Wiege bis zur Bahre, sondern um ein Mindesteinkommen bzw. Existenzminimum. Beide waren dafür, Friedman ging es ausdrücklich darum, die Bedürftigkeitsprüfung abzuschaffen. Stärker noch bei Hayek ist es daran geknüpft, sich nicht selbst helfen zu können. Beider Vorschläge belassen die Mindesteinkommenssicherung jedoch im Status eines Ausgleichssystems, das einen Mangel kompensieren soll (siehe hier). Greffrath kümmert sich nicht um Differenzierungen, ist er ohnehin gegen ein BGE, ganz gleich, wie es aussehen würde. Doch für eine ernsthafte Auseinandersetzung um das BGE ist es wichtig, solche Unterschiede deutlich zu machen, der Teufel wohnt, wie so oft, im Detail.
Dann setzt er im nächsten Absatz dem Grundeinkommen etwas entgegen:
„Die Klassiker des Sozialismus, aber auch John Maynard Keynes versprachen sich von der Vollautomatisierung der Produktion etwas anderes: Zeitwohlstand für Kultur, Spiel, Selbstbetätigung, Muße und die Beteiligung an der Politik, kurz: die allseitige Entfaltung der menschlichen Fähigkeiten – aller Menschen. So etwas klingt altbacken und abwegig in einer Zeit, in der in Europa einerseits der Kampf um den Achtstundentag wieder aktuell wird, andererseits Millionen von jungen Menschen ohne Arbeit, ohne Bildung, ohne Zukunft bleiben.“
Worin besteht nun der Gegensatz zwischen Keynes und dem BGE? Wenn „Zeitwohlstand“ eine souveräne Verfügung über Zeit bedeutet, dann wäre er erreicht, wenn der Einzelne entscheiden könnte, was er mit dieser Zeit tun will – ohne diesem Wollen eine bestimmte Richtung geben zu müssen. Ein Scheingegensatz also, der hier aufgemacht wird, denn gerade ein BGE würde mit Zeitwohlstand ernst machen, ohne dem Einzelnen die Verantwortung zu nehmen, diese Zeit zu füllen. Das Gemeinwesen wäre keineswegs aus der Verantwortung entlassen, eine Bildungsinfrastruktur zu unterhalten und Hilfsangebote zu machen für den Fall, dass jemand mit dem BGE nicht klarkommt. Doch die Voraussetzungen für diese Hilfsangebot sowie ihr Charakter könnten gänzlich anders sein als heute, da sie von der Erwerbsorientierung befreit wären, die heute noch bis in Behindertenwerkstätten und Hilfsangebote für psychisch kranke Menschen hineingreift (siehe hier, hier und hier).
Greffrath jedoch sieht das anders:
„Ein allgemeines, bedingungsloses Grundeinkommen würde den Sieg des Kapitalismus über das humanistische Versprechen der Aufklärung endgültig besiegeln und die hochtechnisierte Gesellschaft auf Dauer spalten: in eine produktive, hochtechnisierten Kernbelegschaft mit Premium-Konsum und eine mit Rationen zum physischen Überleben versehene und im Übrigen mit virtuellen Genüssen und Gadgets stillgestellte Unterschicht ohne Ansprüche, Qualifikation oder Perspektiven.“
Man kann ob dieser Schlussfolgerung staunen, denn um zu ihr zu gelangen, müssen einige Annahmen getroffen werden. Weshalb sollte das BGE zu einer Spaltung führen? Es würde sie doch vielmehr aufheben, wenn es zu einer Zeitsouveränität für alle führen würde. Wenn Greffrath meint, Menschen ließen sich stillstellen, und die Möglichkeiten, die ein BGE schüfe, dann wäre eine wahre Befreiung nur möglich, wenn sie in eine bestimmte Richtung führte. Greffrath weiß also, worin die Befreiung liegt und wohin sie führen soll. Das wäre unfreier als unser heutiges Zusammenleben. Wenn das humanistische Versprechen der Aufklärung in der Emanzipation des Untertanens zum Bürger besteht, wenn es um Mündigkeit und Volkssouveränität dabei geht, dann wäre das BGE genau das richtige Instrument – allerdings nicht für diejenigen, die die Lebensführung der Einzelnen bestimmen wollen.
Abschließend schreibt er:
„Ein Jahrhundert lang hat die europäische Arbeiterbewegung für die allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit gekämpft und für eine Bildungsrevolution, die allen Menschen die Chance gibt, zu qualifizierten Lenkern einer hochtechnischen Produktion zu werden und zu mündigen Bürgern, die in der Lage sind, über die Richtung des Fortschritts zu entscheiden.“
Ja, steht das BGE dem denn entgegen?
Der mündige Bürger allerdings, der citoyen, spielte in der Arbeiterbewegung keine so große Rolle, der mündige Arbeiter schon eher und die Sorge vor den Nichtstuern ebenfalls. Deswegen sehen noch heute die Gewerkschaften – und andere – nach wie vor im Erhalt der „Arbeitsgesellschaft“ ihren Auftrag, wenngleich sie daran so recht nicht mehr glauben mögen, wie Greffrath mit Verweis auf das Grünbuch Arbeiten 4.0 des Bundesminsiteriums für Arbeit und Soziales heraushebt. Dabei könnte gerade das BGE zur Stärkung des mündigen Bürgers beitragen, indem es ihn in das Zentrum des Sozialstaats stellte. Davon will Greffrath nichts wissen. Stattdessen übernimmt er die zynische Rede von den „Überflüssigen“, wenn er das BGE als „Überflüssigen-Rente“ bezeichnet.
Ja, in der Arbeitsgesellschaft, die meint, Arbeit, also Erwerbsarbeit, halte sie zusammen, da gibt es überzählige menschliche Arbeitskraft (zur Vertiefung siehe hier), sofern sie durch Maschinen substituiert werden kann, wo es vernünftig ist. In einem Gemeinwesen von Bürgern hingegen gibt es keine Arbeitskraft, die nicht benötigt wird, weil das Benötigtwerden gar nicht das Kriterium ist, an dem die Existenz gemessen wird. Alle gehören dazu, die zum Gemeinwesen gehören bzw. sich in ihrem Rechtsbereich dauerhaft aufhalten.
Sascha Liebermann