„Kostgänger“ des Staates – ein Einwand gegen das Grundeinkommen

Ein häufig gegen das bedingungslose Grundeinkommen (bGE) vorgebrachter Einwand besagt, es mache die Bürger zu „Kostgängern“ des Staates; es halte sie in Abhängigkeit, statt ihnen Möglichkeiten zur Selbstversorgung zu eröffnen.

Angesichts der Möglichkeiten, die ein bGE uns Bürgern tatsächlich eröffnete, angesichts der Verantwortung, die es in unsere Hände legte, kann dieser Einwand nur verwundern. Die bevormundende Fürsorglichkeit, die unser heutiges Sozialsystem kennzeichnet und schon immer gekennzeichnet hat, all die Kontrollen und Überwachungen, höbe ein bGE ja gerade auf. Wir erklärt sich dann dieser Einwand?

„Kostgänger“ soll wohl heißen, der Einzelne werde vom ‚Staat’ abhängig, entmündigt und in seiner Initiative geschwächt. Hier wird ein Bild vom Gemeinwesen gezeichnet, in dem seine grundlegende Bedeutung für Entwicklung und Entfaltung des Einzelnen gar nicht gesehen wird. Schon jedes Kind ist, da es unselbständig auf die Welt kommt, von der bedingungslosen Anerkennung durch seine Eltern abhängig, um sich zu entwickeln. Nur in dem von ihnen gewährten Schutzraum und durch ihre Liebe kann es reifen und nur dadurch wird es einmal in der Lage sein, seine Familie zu verlassen, um sein Leben in die Hand zu nehmen und eine eigene zu gründen. Familie gibt es aber nur dort, wo es ein Gemeinwesen gibt, das sie wiederum schützt und unterstützt, das also Möglichkeiten schafft, damit Eltern sich auch ihren Kindern widmen können. Schon diese ‚Abhängigkeit’, wenn man sie so nennen will, ist eine Voraussetzung für eine selbstbestimmte Lebensführung. Diese ‚Abhängigkeit’ ist also Bedingung des Bestehens und nicht, wie manche offenbar noch heute glauben, ein notwendiges Übel, dessen man sich besser entledigen sollte, wie der ‚Staat’ ein Übel sei, mit dem man „wohl“ leben müsse. Der ‚Staat’ ist aber unser Gemeinwesen, das Gemeinwesen etwas, ohne das wir nicht wären und zugleich wäre es nicht ohne uns. Nähmen wir Bürger nicht ohnehin unser Leben in die Hand, achteten nicht unsere politische Ordnung und trügen nichts zum Gemeinwohl bei, dann existierte unser Gemeinwesen gar nicht – wir aber auch nicht.

Ideologische Schlagworte wie „Kostgänger“ oder auch Wendungen wie „Sozialhilfeempfänger liegen dem Gemeinwesen auf der Tasche“ offenbaren also lediglich, dass diejenigen, die sie benutzen, noch gar nicht begriffen haben, weshalb ihr Leben möglich ist. Alle, so müßte es eigentlich heißen, liegen in einem Gemeinwesen notwendig allen auf der Tasche, alle sind „Kostgänger“ aller, denn ein Gemeinwesen ist ein Solidarverband. Zwar benötigen wir auch Geldmittel zur Finanzierung unserer öffentlichen Infrastruktur, so daß manche sagen könnten, die Erwerbstätigen finanzierten den Sozialstaat. Doch auch diese Leistung sowie die Leistungsbereitschaft hat ihre Wurzeln in der Solidarität, in der Anerkennung des Einzelnen – des Bürgers – um seiner selbst willen. Nicht durch Geld erhält sich ein Gemeinwesen, sondern durch Loyalität. Leistungen in Familie und Ehrenamt sind ebenso wichtig wie solche im Beruf, keine ist wichtiger als die andere – ohne eine von allen, ohne Loyalität, wäre unser Gemeinwesen gar nichts, es würde nicht existieren.

Weshalb dem Einzelnen eine bestimmte Solidarität, eine bestimmte Loyalität abfordern – also: Ewerbsarbeit zu leisten -, wenn wir ohnehin auf sein Engagement vertrauen können und es auch müssen? Solidarisch und loyal ist der Einzelne am besten, wenn man ihn das tun läßt, womit er einen Beitrag leisten kann – und nicht wenn wir ihm sagen, welchen er zu leisten hat.

Sascha Liebermann

Gregor Gysi und Hans Werner Sinn – eine Allianz gegen das bedingungslose Grundeinkommen

Eine wunderbare Bestätigung für die einen, ein untrüglicher Beweis für die anderen war in „Menschen bei Maischberger“, am 13. Februar, der Auftritt von Gregor Gysi. Wer noch Zweifel daran hatte, daß Hans Werner Sinn und Gregor Gysi (wie auch im letzten Jahr schon Oskar Lafontaine, Rudolf Hickel und Albrecht Müller) am selben Strang ziehen, konnte sich des Gegenteils vergewissern.

Während Hans Werner Sinns beharren auf der vermeintlich notwendigen Berechenbar- und Finanzierbarkeit des Grundeinkommens einen deutlich buchhalterischen Geist erkennen ließ, für den nichts wirklich sein kann, was nicht in Zahlenkolonnen ausdrückbar ist, gab sich Gregor Gysis Verständnis von Gerechtigkeit und Menschenwürde deutlich zu erkennen: Wo kein Arbeitswille bzw. keine Arbeitsbereitschaft – da soll es auch keine Gegenleistung geben, „ein bißchen Druck ist schon nötig“. Bürger, die um ihrer selbst willen geachtet werden, weil sie das Fundament unseres Gemeinwesens, der Volkssouverän, sind, scheint es für Gregor Gysi nicht zu geben. Menschenwürde ist in seiner Vorstellung die Menschenwürde durch Erwerbsarbeit – wer sich daran nicht beteiligt, verletzt die Menschenwürde der anderen. Mit solchen Vorstellungen steht der Rückkehr in den Arbeiter- und Bauernstaat, in die alte Gesellschaft der Werktätigen nichts mehr entgegen.

Ist Hans-Werner Sinn nun auch Sozialist oder Gregor Gysi Neoliberaler?

Will Hans Werner Sinn also durch den Niedriglohnsektor Druck auf uns Bürger als Erwerbstätige ausüben, da nur so buchhalterisch „bessere“ Zahlenkolonnen zu erzeugen sind, darf es nach Gysi an Druck nicht fehlen, damit Arbeitsfähige auch zu Arbeits- also Erwerbsarbeitssuchenden werden. Denn nur das sei gerecht, nur das verletzte die Menschenwürde nicht. Ein gewaltiger rhetorischer Aufwand Gysis war notwendig, um das Mißtrauen in die Eigeninitiative der Bürger nicht ganz so obrigkeitstaatlich erscheinen zu lassen und die entsprechenden Vokabeln wie Solidarität, Gerechtigkeit, Sozialstaat und dergleichen abzuspulen. Doch nur, wer sich davon blenden ließ, konnte überhören, worum es eigentlich geht: Vertrauen ist ein hehres Ideal, Mißtrauen ist notwendig, deswegen ist eine Kontrolle der Bürger, eine Überwachung ihres ausreichend an den Tag gelegten Arbeitsanreizes am besten.

Können Entscheidungen, die unser Gemeinwesen betreffen und die Zukunft eröffnend gestalten sollen, überhaupt berechnet werden? Können wir ernsthaft die Frage, wie wollen wir leben, derjenigen danach, ob wir es nach heutigen Vorstellungen auch bezahlen können unterordnen? Ließen wir uns darauf ein, was würden wir noch zu verändern in der Lage sein – gar nichts. Wer die Frage nach der Finanzierbarkeit stellt, behauptet zugleich, die Folgen einer Entscheidung, die in die Zukunft reicht, seien zu errechnen. Doch Rechenmodelle, die nicht zufällig auch Simulationen genannt werden, setzen nur das Denken der Vergangenheit in die Zukunft fort. Wo aber umgedacht werden muß, müssen wir auch mit den Vorstellungen der Vergangenheit brechen.

An einem kann doch kein Zweifel bestehen, daß nämlich unser Wohlstand auf die Leistungsbereitschaft von uns Bürgern zurückgeht. Nichts spricht dafür, daß diese Leistungsbereitschaft mit einem Grundeinkommen schwächer würde, sie nähme doch wohl eher zu, denn das Grundeinkommen stellte alle Bürger gleich, behandelte ihre Engagement gleichwertig, ob sie zusätzlich ein Erwerbseinkommen erzielten oder nicht.

Sascha Liebermann

Brüder im Geiste – die sogenannten Neoliberalen und ihre sogenannten Kritiker

„Warten auf’s Jobwunder“ so übertitelte das SWR 2-Radio einen Beitrag von Joachim Meißner über „Wirtschaftsmärchen heute“ (gesendet am 23.11.), in dem auch Rudolf Hickel, Professor an der Universität Bremen, zu Wort kam.

Rudolf Hickel ist, wie auch Albrecht Müller, ein renommierter und bekannter Kritiker des sogenannten Neoliberalismus. Beide vertreten konsequent eine Gegenposition zu der seit Jahren verbreiteten Verklärung des Marktes und informieren über einseitige Darstellungen zu Fragen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik.

Beide sind – ähnlich wie Ulrich Busch – aber zugleich auch Brüder im Geiste des Neoliberalismus, denken genauso ökonomistisch verkürzt, wenn es um die Frage geht, ob wir in die Bereitschaft der Bürger vertrauen können, ihren Beitrag zum Gemeinwohl leisten zu wollen. Ihre Antwort ist: Nein, wir können es nicht, denn mit einem bedingungslosen Grundeinkommen falle der Anreiz zu arbeiten weg. Dieselbe Behauptung in derselben Sprache kennen wir von den sogenannten Neoliberalen (siehe den Kommentar zu „Althaus‘ Radikalkur“). Nun hebt insbesondere Albrecht Müller stets seinen volkswirtschaftlichen Sachverstand hervor, über den er, im Unterschied zu den Befürwortern eines Grundeinkommens, verfüge.

Haben sich beide jemals gefragt, woher Leistung rührt, auf welchem Boden sie gedeiht? Alles spricht dafür, daß sie derselben Vorstellung einer sozialmechanischen Erzwingung von Leistung anhängen wie diejenigen, die den Druck auf Arbeitslose weiter verstärken wollen. Druck und Anreiz liegen näher beieinander, als es die Kritiker des Neoliberalismus wahrhaben wollen. Daß jede Leistung, auch die routinierteste, zuallererst eines inneren Antriebs desjenigen bedarf, der sie erbringt – diese Vorstellung stammt für die Anreizdenker aus einer Welt, in der es bessere Menschen gibt als die verderbten der Gegenwart. Daß ein um so stärkerer innerer Antrieb Voraussetzung dafür ist, tragfähige Lösungen für Probleme zu erdenken, halten sie für naiv.

Ein Blick in die Gegenwart und in die Vergangenheit würde sie eines Besseren belehren. Der Wohlstand, in dem wir leben, wäre ohne die Bereitschaft der Bürger, etwas beizutragen, nie entstanden. Genausowenig wie es unser demokratisches Gemeinwesen gäbe, wäre es auf Anreize angewiesen. Jeder kann dieses Engagement, wenn er mit offenen Augen durch die Welt geht, beobachten.

Deutlicher als zuvor wird in der zunehmenden öffentlichen Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen, was sich schon lange abgezeichnet hat: Die Scheidelinie zwischen Befürwortern eines freiheitlichen solidarischen Gemeinwesens und ihren Gegnern verläuft jenseits von rechts und links, neoliberal und keynesianisch. Die Gegner der Freiheit stehen dort, wo in Anreizen ein Heilmittel gesehen wird. Beide sind gleichermaßen Vertreter eines Weltbildes, das den Menschen mißtraut – sie sind die wirklichen Gegner der Freiheit.

Sascha Liebermann