Volksabstimmung ist nicht gleich Volksabstimmung – auf diese einfache Formel brachte es der Politikwissenschaftler Werner Patzelt in der Diskussionsrunde bei hart aber fair, auf die wir kürzlich hingewiesen haben. In der Sendung wurde kaum differenziert, worüber gesprochen wurde, wenn die Begriffe Volksentscheid, -begehren, -gesetzgebung munter durcheinanderflogen. Folglich wusste man bis zum Schluss nicht, was denn nun genau die Diskutanten befürworteten bzw. ablehnten. Auf der einen Seite konnte man überrascht sein, dass in Gestalt von Markus Söder (CSU), dem bayrischen Staatsminister für Finanzen, ein ausgesprochener Befüworter von Volksabstimmungen zu erkennen war. Auf der anderen Seite wiederum konnte erstaunen, mit welchen Vorbehalten der frühere Befürworter Wolfgang Kubicki (FDP) sich gegen Volksabstimmungen aussprach. Er sah die Gefahr, dass mit Stimmungen Entscheidungen herbeigeführt werden könnten – siehe Brexit in seinen Augen – und so die Haltung „wir wollen’s denen dann mal zeigen“ schlussendlich „das arme britische volk […] mit dieser entscheidung“ – allein lasse. Wenn er Bedenken äußerte, zu welchen Konflikten Volksabstimmungen führen könnte, argumentierte er ausschließlich juristisch, nannte das Beispiel der Schweizer Massenzuwanderungsinitiative. Leicht empört verwies er darauf, dass sich die ja gegen Deutsche richtete. Plasberg verwiest zurecht darauf, dass wir dort eben Ausländer seien, Kubicki hingegen hob die Gemeinschaften aufgrund der Sprachen hervor. Was die politische Kultur betrifft, sind die Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz allerdings erheblich.
Es durfte in dieser Sendung die gute alte Meinungsumfrage nicht fehlten, derzufolge angeblich 71% für Volksabstimmung im Allgemeinen, 53% für Volksabstimmung über Flüchtlingspolitik seien. Doch ihre Aussagekraft ist gering, siehe frühere Kommentare dazu hier und hier.
Es lohnt, um die Diskussion besser einschätzen zu können, ein genauer Blick auf Formulierungen. Sehr klar war Werner Patzelt in seiner Haltung, der die Chance von Volksabstimmungen sah, differenziert auf die Unterschiede zwischen verschiedenen Formen hinwies, wie auch darauf, dass direkte und repräsentative Demokratie keineswegs gegeneinanderstehen. Was aber sagte Markus Söder als Befürworter genau?
Mehrfach wies er darauf hin, man müsse ja nicht über alles abstimmen, Volksabstimmungen dürften nicht inflationär gebraucht werden – warum so zögerlich, darüber würde doch das Volk selbst befinden müssen, wenn das Instrument eingeführt wäre? Wichtige Fragen aber sollten Gegenstand sein. Nimmt man Schweizer Referenden und das Instrument der Volksinitiative als Vorbild, dann kann bzw. muss ein Referendum von verschiedenen Seiten initiiert werden. Die Volksinitiative zum BGE ging von Bürgern aus, die Unterschriften gesammelt haben, und hatte zum Ziel, die Schweizer Bundesverfassung zu ändern. Söder sprach mehrfach davon, das Volk zu „beteiligen“, so als würde die Regierung oder das Parlament eine Frage an das Volk richten. Das klang wie eine großzügige Geste und nicht wie ein dem Souverän verpflichtetes Verfahren. Denn den Souverän muss bzw. kann man nicht „beteiligen“, er ist immer schon beteiligt, weil er die Geltungsquelle politischer Ordnung darstellt (GG, Art.20 (2) „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“). Will man den Souverän veralbern oder zeigen, wie wenig ernst es einem ist, spricht man sich für „Bürgerbeteiligungen“ aus, die zwar so tun, als gäbe es mehr Mitgestaltung, tatsächlich aber sind sie unverbindlich, weil die Bürger nichts entscheiden in solchen Verfahren.
Bettina Gaus äußerte sich differenziert, wollte auch nicht die behaupteten Gefahren teilen, die manche mit Volksabstimmungen verbanden. In ihren Augen sind sie auf Bundesebene nicht das richtige Instrument, wenn es um komplexe Entscheidungen ging. Darauf entgegnete Söder, dass aber auch Wahlen komplex seien und die Bürger darin ebenso Stellung beziehen müssten. Hinzugefügt werden könnte noch, dass gerade Volksabstimmungen dahin drängen würden, solch komplexe Fragen stärker einer differenzierten Erörterung in der Öffentlichkeit zuzuführen. Denn letztlich geht es nicht zuerst um technische Fragen nach der optimalen Lösung, es geht um die Frage, in welche Richtung eine Lösung führen soll. Womöglich hätte eine Volksabstimmung in Deutschland dazu geführt, härtere Konsequenzen aus der Finanzkrise zu ziehen, z. B. ernsthafter über eine Trennung von Investmenbanking und Kreditvergabe nachzudenken, um die Verantwortung für Spekulationsgeschäfte ganz auf diejenigen zu übertragen, die sie tätigen, ohne dass die Bürger am Ende die Lasten tragen müssen.
Was ist nun also gewollt von Befürwortern wie Markus Söder, Volksabstimmungen mit Initiativrecht, wie sie in der Schweiz praktiziert werden oder nur eine selektive Nutzung dieser Instrumente direkter Demokratie?
Sascha Liebermann