…so Marcel Fratzscher in einem Interview mit dem Kurier, der in Österreich erscheint, in dem es auch wieder einmal um das Bedingungslose Grundeinkommen geht. Hier der Ausschnitt:
„Bei Diskussionen über das Ausgleichen von Chancen wird oft auch ein bedingungsloses Grundeinkommen angeführt. Was halten Sie davon?“
Fratzscher: „Das hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun. Da stiehlt sich der Staat aus seiner Verantwortung. Sie können Chancengleichheit nicht mit Geld kaufen. Deshalb sind auch nicht mehr Kitas oder mehr Sprachförderungen da. Außerdem haben wir mit Hartz IV ein Grundeinkommen.
Das allerdings nicht bedingungslos ist, weil sich Betroffene ja regelmäßig melden müssen…
Diese Leute brauchen vor allem mehr Hilfe. Da geht es um Motivation, Qualifizierung, Chancen-Erkennung. Da halte ich ein bedingungsloses Grundeinkommen für die schlechtest mögliche Lösung. Ich wäre für ein Lebenschancen-Budget.“
Hartz IV mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen zu vergleichen, nachdem der Interviewer fragt, ist entweder bewußte Irreführung oder gedankenlos. Interessant ist Fratzschers Bild vom Staat, der hier als ein Gegenüber betrachtet wird, das offenbar sein Eigenleben führt und der einfach so Entscheidungen trifft („stiehlt sich aus der Verantwortung“), ob sie politisch gewollt sind oder nicht.
Aber was ist „der Staat“? Er ist nur ausführendes Organ des Gesetzgebers. Die Haltung Fratzschers zum Staat ist eine verbreitete, die Andrea Nahles (SPD) jüngst ebenso an den Tag legte hat wie Claudia Roth (Bündnis 90/ Die Grünen). Es spricht daraus ein Misstrauen gegenüber dem Staat, das letztlich ein Misstrauen gegen die Gemeinschaft der Bürger ist. Um so erstaunlicher ist das, wenn man bedenkt, dass Nahles und Roth ja gerade Vertreter dieser Bürger im Deutschen Bundestag waren oder gar Minister, Fratzscher als Präsident des DIW ständig Politikberatung betreibt. Und gerade Fratzscher hat ja nun jüngst den Staat paternalistisch in die Verantwortung genommen, siehe hier.
Diese Haltung gegenüber dem Staat ist in Deutschland sehr verbreitet und bezeugt das ambivalente Verhältnis. Auf der einen Seite soll der Staat es richten, man überträgt ihm Aufgaben, an denen er sich verheben muss, auf der anderen stellt er eine Gefahr dar, vor der man sich schützen muss. Auf jeden Fall muss man ihm misstrauen. Wer nach Erklärungen dafür sucht, warum es die Diskussion um ein BGE so schwer hat, muss hier ansetzen. Es ist die Selbstverleugnung der Bürger als Träger der politischen Ordnung, die sich hieran zu erkennen gibt.
Zu Fratzschers Vorschlag eines Erwerbstätigenkonto bzw. Lebenschancenbudgets, siehe hier.
Sascha Liebermann