Das sollen sie, nicht bestrafen. Geäußert wurde dies kürzlich in einer Diskussionsrunde von einem Wissenschaftler, der sich intensiv mit den Sozialsystemen und darin den Sanktionen beschäftigt. Hartz IV sei besser als sein Ruf, nur ein geringer Teil der Bezieher werde überhaupt sanktioniert, wie kann es dennoch sein, dass darüber so breit diskutiert wird? In dieser Diskussionsrunde ging es um Auswirkungen des Sanktionssystems, wie es im Sozialgesetzbuch niedergelegt ist, aber eben auch um das Bedingungslose Grundeinkommen. Dabei sind Sanktionen nichts Neues, die Möglichkeit gab es auch im Bundessozialhilfegesetz von 1962 schon, sie kennzeichnen Sozialsysteme, in denen ein dauerhafter Leistungsbezug nicht vorgesehen ist, weil die Aufnahme von Erwerbstätigkeit oberstes Ziel ist.
Was irritierte den Kollegen? Vielleicht war es das, was er übersah. Sicher, wer nicht gegen die Mitwirkungspflicht verstößt, erfährt keine Sanktionen. Aber alle, die im Leistungsbezug sind, sind mit Sanktionen bedroht, denn – darüber informiert die Broschüre zum Arbeitslosengeld „Ihre Rechte, ihre Pflichten“ -, sie sind ein Instrument, das jeden treffen kann. Sanktionen sollen Konformität mit der Gesetzgebung erzwingen, das ist ihr Sinn. Sie treffen aber nicht nur diejenigen im Leistungsbezug, es handelt sich um eine Gesamtdrohung, sie richtet sich an alle, das Gemeinwesen ruft sich selbst zur Ordnung und weist darauf hin, was bei Zuwiderhandeln geschehen kann.
Wer nicht spurt, wird sanktioniert. Das halten manche schon für Polemik, es ist indes die Realität. Wer ein disziplinierendes Instrument dahingehend verklärt, dass es doch bloß helfen solle – wie es der Kollege tat -, der verleugnet die Realität durch Pädagogisierung. Es ist dieselbe Verleugnung, auf die man stößt, wenn „Arbeitsuchende“ als „Kunden“ bezeichnet werden, so als gingen sie in die Agentur für Arbeit oder das Jobcenter, um eine fertige Leistung einzukaufen und zu verzehren. Eine Verhöhnung kann man das zurecht nennen.
Es ist doch verwunderlich, wenn sich erfahrene Wissenschaftler, aber auch Politiker, damit so schwertun, offen zu benennen, was Aufgabe von Sanktionen ist. Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, ist da klar und eindeutig. Ohne Disziplinierungsinstrument kann nichts erzwungen werden. Daran müssen sich alle messen lassen, die irgendwie Hartz IV abschaffen, das Erwerbsgebot aber beibehalten wollen, die eine „repressionsfreie Grundsicherung“ fordern, wie z. B. Sahra Wagenknecht und Christoph Butterwegge, aber dazu jedoch Sanktionen benötigen, damit diejenigen, die erwerbsfähig sind, „zumutbare Arbeit“ auch annehmen.
In einem erwerbszentrierten Sozialstaat kann es das eben nicht geben, das ist international nicht anders, ein Kennzeichen aller Wohlfahrtsstaaten. Sind wir deswegen eine Arbeitsgesellschaft, wie häufig zu vernehmen ist? Wir sind zumindest eine hinsichtlich dessen, was unseren Sozialstaat auszeichnet. Allerdings kennt unsere politische Ordnung kein Erwerbsgebot, diesbezüglich sind wir also eine Bürgergemeinschaft. Im Grundgesetz spielt es keine Rolle und nirgendwo ist davon die Rede, dass Erwerbsarbeit im Sozialstaat im Zentrum stehen soll. Wer also darauf verweist, Sanktionen gehören zu uns wie die Erwerbsarbeit, muss das demokratische Fundament verschweigen oder verleugnen. Vielleicht wäre ernsthaft zu erwägen, um eine wirkliche Arbeitsgesellschaft zu werden, doch nicht mehr „alle Staatsgewalt vom Volke“ (Art. 20 GG) ausgehen zu lassen. Also wäre der nächste Schritt, das Grundgesetz zu ändern, um ernst zu machen. Dafür wird sich wohl wiederum keine Mehrheit finden. Leben wir einfach fort in dem Widerspruch zwischen einem vordemokratischen Sozialstaat und der demokratischen Grundordnung. Vielleicht ist das ja ein oder gar der Grund, weshalb so sehr, durchaus diffus, über Hartz IV diskutiert wird und Parteien Zulauf erhalten, ohne dass ein Großteil der Wähler sich mit ihnen identifizieren.
Wer es anders will, müsste ein Bedingungsloses Grundeinkommen wollen. Aber, wer will das schon jenseits von Rhetorik?
Sascha Liebermann