„Jede und jeder Jugendliche muss eine Ausbildung machen“

Muss man es überhaupt noch kommentieren, wenn solche Äußerungen wie jüngst von Bundesministerin Andrea Nahles in der Bild am Sonntag gemacht werden?

„BILD am SONNTAG: In Großbritannien gibt es eigene Mindestlöhne für Jugendliche. Braucht Deutschland das nicht auch, damit die Jugendarbeitslosigkeit nicht steigt?
NAHLES: Jede und jeder Jugendliche muss eine Ausbildung machen. Wir müssen verhindern, dass junge Menschen lieber einen besser bezahlten Aushilfsjob annehmen, statt eine Ausbildung anzufangen. Deshalb sollen Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr – bis zum Ende der Schulpflicht – vom Mindestlohn ausgenommen werden.“

Vielfach ist diese Äußerung kommentiert worden, auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Weshalb sollten Jugendliche denn nicht die Freiheit haben, einen besser bezahlten Aushilfsjob anzunehmen, wenn er ihnen mehr entspricht als verfügbare Ausbildungsstellen? Würde das nicht der Logik des Arbeitsmarktes vielmehr entsprechen? Weshalb sollte es jemandem nicht freistehen, ob er eine Ausbildung machen oder es lassen will? Diese ganze Haltung gleicht einer „Erziehung zur Unmündigkeit“, wie sie bei anderen Vorschlägen ebenfalls zu erkennen ist. Bevormundung tritt in verschiedenen Gewändern auf (hier, hier und beim DIHK), sie hält uns von tragfähigen Lösungen ab, über den heutigen Reparaturbetrieb hinausführen, wie es ein Bedingungsloses Grundeinkommen täte.

Sascha Liebermann

„…dass niemand die richtig Lösung kenne…“

…so erläuterte der Schweizer Bundespräsident Didier Burkhalter laut Angaben der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) dem deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck das Wesen der direkten Demokratie: „Zur direkten Demokratie gehöre der „absolute Respekt“ vor Volksentscheiden. Dies führe zu einer „Bescheidenheit der Behörden“, denn es herrsche das Bewusstsein, dass niemand die richtige Lösung kenne“. Es mag genau diese Haltung sein, die die Schweiz von Deutschland unterscheidet, die Bescheidenheit der Behörden gegenüber den Machbarkeits- und Durchsetzungsvorstellungen, die in unserem Land vorherrschen, in dem der Bürger leicht als Störquelle der Demokratie betrachtet wird. Dazu passt, dass andere Schweizer Tageszeitungen wie der tagesanzeiger von einer Warnung des deutschen Bundespräsidenten berichtet hatten, der gesagt haben soll: „Die direkte Demokratie kann Gefahren bergen, wenn die Bürger über hochkomplexe Themen abstimmen“ (siehe auch NZZ und FAZ vom 2. April). Ein Vorbehalt gegenüber der Mündigkeit der Bürger kommt darin zu Ausdruck, der in Deutschland verbreitet ist und manches erklärt. Während der Schweizer Bundespräsident zu erkennen gibt, dass politische Entscheigungen keine Expertenentscheidungen sind, scheint der deutsche Bundespräsident das eher andersherum zu sehen.

Wie viele unsinnige Debatten führen wir vor dem Hintergrund von „repräsentativen Umfragen“, die nur Meinungen abfragen, die wechseln können wie eine Laune, aber keine Entscheidungen abbilden. Um wieviel klarer ist da eine Entscheidung per Volksabstimmung wie die zur „Masseneinwanderungsinitiative“ in der Schweiz, auf die nun gute Antworten gefunden werden müssen und alle gleichermaßen in der Pflicht sind, dazu beizutragen.

Sascha Liebermann

Superfrauen, Supermütter, Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Verklärungen dominieren die Diskussionen über Elternschaft, Väter, Mütter und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Verklärungen sind es, weil sie in jede Richtung geschehen, entweder in die eines perfekten, ohne Probleme und Konflikte ablaufenden Familienlebens oder in die andere eines reibungslosen Zusammenfügens von unvereinbaren Sphären. Selten liest und hört man anderes, zumindest in der Öffentlichkeit. Eine Erfahrung in Gesprächen mit Eltern ist es, nicht so gerne darüber zu sprechen, dass nicht alles so gut und reibungslos klappt, wie es gewünscht oder gehofft wird.

Ein Lichtblick ist es dann, wenn einmal klar benannt wird, wo die Konflktlinien liegen und dass das Bestreben, Familie und Beruf vereinbaren zu wollen, seinen Preis hat, wie dies jüngst Judith Lembke in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 1. März tat. Sie schreibt unter dem Titel „Vereinbarkeit ist eine Lüge“: „…Jeden Tag erleben sie [die Mütter, über die sie berichtet, SL] eine Binsenweisheit, die so banal ist, dass sie sich im Nachhinein wundern, warum sie es nicht haben kommen sehen: Wer Karriere machen will, muss viel arbeiten. Wer viel arbeitet, hat wenig Zeit für Kinder. Oder anders herum: Die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere ist eine Lüge – zumindest, wenn das Wort Kinder dafür steht, dass man sie nicht nur bekommt, sondern sich auch selbst um sie kümmert…“ oder, könnte ergänzt werden, man ausreichend Zeit für sie haben möchte.

Das Gegenteil von dieser Einschätzung war in der Sendung „Superfrauen zwischen Beruf und Karriere“ (ZDF, 37 Grad) zu sehen. Wer aufmerksam hinhörte, konnte allerdings erkennen, dass manche der Eltern, die dort präsentiert wurden, den Preis der Vereinbarkeit schon spüren, aber entweder nicht wahrhaben wollen oder in Kauf nehmen. Wie überhaupt dieser Preis in der ganzen Sendung übergangen und statt dessen der Erfolg der Superfrauen gefeiert wurde. Eine Mutter von vier Kindern, Tanja von Waldbeck, spricht an einer Stelle darüber, wie es ist, wenn sie nach einem Arbeitstag ihre Kinder zu Bett bringt: „…Man hat dann das Gefühl [Hervorhebung SL], dass man doch noch Teil dieses Tages auf jeden Fall ist…“ (ab Minute 12). Die Steigerung davon, das Gefühl zu haben, dass es so sein könnte, wäre, nicht einmal das Gefühl zu haben – also nicht mehr Teil des Tages zu sein. Damit sagt sie etwas, wovon in der ganzen Dokumentation nicht die Rede ist: des Berufs wegen bei voller Stelle abwesend zu sein, bedeutet, von den Kindern beinahe nichts mitzubekommen, sie wenig zu erleben und zu erfahren bzw. gemeinsame Erfahrungen zu machen.

Wie von dieser Verklärung wegkommen? Indem dem Einzelnen die Möglichkeiten geschaffen werden, sich frei von Verklärungen der Aufgabe Elternschaft zu stellen, um zu entscheiden, wie er damit umgehen will. Dann würde es leichter sich – auch gegen den dominanten Zeitgeist – offen einzugestehen, dass man beides nicht haben kann – ausreichend Zeit für Familie, also auch die Kinder, und ein erfülltes Berufsleben. Der Preis für die „Vereinbarkeit“ ist hoch, das sollte offen ausgesprochen werden, statt sich in verklärenden Slogans zu ergehen. Einen solchen Freiraum eröffnet nur ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Alle bisher existierenden Instrumente der Familienpolitik heben den Vorrang von Erwerbstätigkeit nicht auf. 

Darüberhinaus gibt es aus der Bindungsforschung beachtenswerte Befunde z.B. von Lieselotte Ahnert „Das bedeutet für Kinder Stress“ und Karl-Heinz Brisch „Das Krippenrisiko“. Sie zeigen deutlich, welche Folgen eine zu frühe Fremdbetreuung haben kann, zumal angesichs der gegenwärtigen Personalschlüssel in den Einrichtungen. Worüber diese Studien nichts sagen, ist, ob man ein Familienleben haben will, indem für die Familie nur das Frühstück und das Abendessen bleiben. Das muss jeder für sich entscheiden – mit allen Konsequenzen und ohne Verklärungen.

Siehe auch meine früheren Kommentare hier, hier und hier sowie „Erziehung zur Unmündigkeit“ von Thomas Loer

Sascha Liebermann

„…und nicht animiert werden, sich sonst wo zu verwirklichen…“

Hier geht es zur kompletten Sendung

Es ist immer wieder aufschlussreich, genau hinzuhören, wenn über Alternativen zum Ist-Zustand diskutiert wird. In diesem Zusammenschnitt einer Diskussion zwischen Götz W. Werner und Günter Wallraff sagt letzterer in Minute 24’14 als es um das Bedingungslose Grundeinkommen geht: „…ich bin da nicht ganz meiner Überzeugung, ich bin da noch schwankend, weil es wieder die Gesellschaft spaltet in diejenigen, die dann ja das Grundeinkommen haben und nicht animiert werden, sich sonstwo zu verwirklichen…“. Zwar sieht Günter Wallraff den positiven Effekt, den ein BGE auf heute schlecht bezahlte Tätigkeiten haben könnte, zugleich aber diagnostiziert er eine Spaltung. Den Grund dafür sieht er in fehlender Animierung derer, „die das Grundeinkommen haben“. Abgesehen von Missverständnissen über die Bereitstellung des BGE – es sollen ja alle erhalten, nicht nur einige oder wenige – meint Wallraff doch, dass es der Animierung bedürfe, damit Menschen sich einbringen. Das ist bezeichnend und – sicher ganz entgegen der Absicht Wallraffs – eine der Hartz-Gesetzgebung verwandte Haltung (siehe auch hier). Weshalb haben wir noch kein BGE haben, wird oft gefragt: deswegen.

Sascha Liebermann

Benediktus Hardorp ist verstorben

Benediktus Hardorp ist am vergangenen Freitag, wenige Wochen vor seinem 86. Geburtstag, verstorben. Die Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen hat einen begeisternden und herausfordernden Mitstreiter verloren. Unsere Anteilnahme gilt seiner Familie und allen Angehörigen.

Über Jahrzehnte hat er sich – neben vielen anderen Fragen – mit Wirkung und Gestaltung einer Ausgaben- bzw. Verbrauchsteuer befasst, dazu publiziert und seine Gedanken vorgetragen. Er hielt sie für eine Steuer, die dem schöpferischen Wirtschaftsgeschehen gemäß ist. Vom ganzen des Wirtschaftens blickte er auf das Detail. Immer wieder verband er seine Überlegungen mit aktuellen Problemlagen wie z.B. der Finanzkrise, um Zusammenhänge deutlich zu machen. Vermeintliche Steuergerechtigkeit, wie sie oft in der Einkommensbesteuerung gesehen wird, versah er mit scharfsinnigen Anmerkungen, um auf damit verbundene Illusionen hinzuweisen und der Frage, was gerecht sei, eine andere Wendung zu geben. Insbesondere gelang es ihm, sichtbar zu machen, welch Initiative hemmende Wirkungen Steuern und Abgaben auf Einkommen haben können. Seine reichhaltige Erfahrung als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater erlaubte ihm, sinnfällig auf Aspekte des Steuerwesens hinzuweisen, die tagespolitisch weniger diskutiert werden, so z.B. die Steuerüberwälzung, und damit die tatsächliche Wirkung der Steuerlast auf den Wirtschaftskreislauf, sowohl für die Seite der Unternehmen als auch der Einkommen von Mitarbeitern, in den Blick zu nehmen.

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Öffentliche Anhörung zur Petition “Abschaffung der Sanktionen im SGB II und Leistungseinschränkungen im SGB XII”

Nähere Informationen auf der Website des Petitionsausschusses oder direkt zum Termin am 17. März.

Welchen Status und welche Bedeutung Petitonen haben, dazu siehe unseren Kommentar hier. Dass eine Abschaffung von Sanktionen im bestehenden Sozialsystem diesem selbst widersprechen würde, dazu siehe den Kommentar hier.