Was will die CDU genau ändern am „Bürgergeld“?

Wenn man sich die Ausführungen Karin Priens anhört, sind sie etwa so weitreichend wie die Carsten Linnemanns oder der Broschüre „Neue Grundsicherung“. Allenfalls bedeuteten sie eine Rückkehr zum Arbeitslosengeld II.

À propos Bürgergeld: im Gesetz ist das nur ein Label, auf das sogleich die offizielle Bezeichnung „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ folgt. An ihr hat sich also durch die Einführung des „Bürgergeldes“ nichts geändert, auch nicht am Zweck des Gesetzes. Dass die Bezeichnung „Bürgergeld“ irreführend ist und schon, als der Vorschlag in die Diskussion gelangte, als kosmetische Veränderung bezeichnet werden konnte, sei hier nur erwähnt.

Sascha Liebermann

„…das komplette System vom Kopf auf die Füße stellen“…

…darüber spricht Carsten Linnemann in diesem Kurzinterview und sieht im Vorschlag der CDU, eine neue Grundsicherung einzuführen, offenbar den großen Wurf. Man fragt sich allerdings, ob das denn der Fall wäre. Vom Kopf auf die Füße wird den Ausführungen im Gespräch zufolge nichts gestellt, es sind doch eher Anpassungen innerhalb des bestehenden Gefüges, teils wäre es die Rückkehr zu Altbekanntem im Arbeitslosengeld II. Zu behaupten, es gebe keine verbindliche Kooperation mehr zwischen „Staat“ und „Bürgergeldempfänger“ muss man wohl als Wahlkampfgetöse verstehen. Linnemann sagt selbst, dass die Mehrheit der Bezieher gar nicht im Fokus der Neuen Grundsicherung stehe – „wir reden über den ganz harten Kern“. Das ganze Getöse dient also der Aufmischung weniger Bezieher, als handele es sich dabei um gewiefte, hartgesottene, sich durch nichts beirren lassende Bürgergeldbezieher, die wirklich mit allen Wassern gewaschen sind. Man könnte meinen, es gebe heute keine Sanktionsmöglichkeiten im Bürgergeldbezug. Linnemann begründet das Getöse damit, es den „Menschen schuldig“ zu sein, „die jeden Tag arbeiten gehen“. Hat er die denn gefragt und haben sie dem zugestimmt? Oder handelt es sich nicht eher um unverhältnismäßige Mittel, die wenig Erfolg – gemessen an dem vorausgesetzten Ziel – versprechen? Wenn man den Worten der Leiterin eines Jobcenters (Interview im NDR) folgt, gelangt man zu einer ganz anderen Einschätzung (siehe auch hierhier und hier). Beratungsprozesse benötigen Zeit, gerade wenn es um den Personenkreis geht, der hier im Fokus steht, der in der Regel vielfältige Beschwernisse hat. Kurzfristige Erfolge seien unrealistisch. Sind das ganz neue Einsichten? Nein, sie sind altbekannt (siehe die Verlinkungen oben). Zuguterletzt meint Linnemann noch, wir brauchten „dringend in Deutschland einen Mentalitätswandel“ – starker Tobak, würde ich denken. Sicher, wir stehen vor Herausforderungen; sicher ist auch, dass Altbewährtes sich nicht mehr eignen mag, dazu gehört aber gerade auch die Haudrauf-Sozialpolitik, die kein Problem löst.

Sascha Liebermann

„Das Bürgergeld ist [sic] als Kündigungsgrund? Das geben die Daten nicht her, aber die Erzählung hat sich verselbstständigt“…

…schreibt Stefan Sell zur den Auseinandersetzungen der letzten Monate. Er beschließt seinen Beitrag mit folgenden Worten:

„Aber das mit den Kündigungen wegen Bürgergeld ist schlichtweg unter der Rubrik Stimmungsmache abzuheften. Allerdings muss man zur Kenntnis nehmen, dass die monatelange Debatte, dass sich Erwerbsarbeit angeblich oder in bestimmten Konstellationen aufgrund komplizierter Anrechungs- und Wegfallregelungen bei anderen Leistungen auch tatsächlich nur begrenzt lohnen würde, mittlerweile tief verankert wurde bei einer Mehrheit der Bevölkerung, nach Umfragen gehen 75 Prozent der Menschen davon aus, dass das so ist. Da kann man noch so viele Gegenrechnungen machen. Oder auf die Daten verweisen. Das Bild von denen, die ihren Job hinschmeißen und es sich mit dem Regelsatz aus dem Grundsicherungssystem auf dem heimischen Sofa bequem machen, hat sich verselbstständigt. Und wird nicht wieder verschwinden.“

Sascha Liebermann

„Druck beim Bürgergeld bringt gar nichts“…

…sagte der Personalchef der Arbeitsagentur Nord, Markus Biercher, dem NDR in einem Gespräch.

Seit über dreißig Jahren arbeitet Biercher in diesem Bereich und verweist auf die Erfahrung, die mit „Druck und Zwang“ gemacht wurden. Arbeitslosigkeit werde als „Drama“ erlebt in der Regel. Was manches Mal als Unwille erscheine, habe häufig ernsthafte Gründe, von „Arbeitsverweigerung“ kann genau betrachtet nicht die Rede sein. Interessant auch, was er zur Bezahlkarte und zum Bürgergeld sagt. Die mediale Skandalisierung entspreche nicht der Realität.

Überraschend ist diese Einschätzung nicht, wenn man sich die empirischen Zusammenhänge genauer anschaut, aber auch aus Arbeitsagenturen hört man manchmal andere Stimmen als diese.

Sascha Liebermann

„Lohnt sich Arbeit“ – interaktiver Sozialrechner…

…, aber leider doch wieder die Verkürzung der Frage auf Einkommen. Der „Sozialrechner“ macht damit zwar auf ein Problem aufmerksam, das gerade die „Lohnt sich nicht“-Fraktion erschüttern müsste, die in den letzten Monaten sich nicht scheute, alle möglichen Gerüchte zum Bürgergeld zu verbreiten. Unter den Tisch fällt bei dieser Zuspitzung jedoch, welche nicht minder wichtige, vielleicht sogar relativ wichtigere Bedeutung Erwerbsarbeit auch heute schon hat.

Sascha Liebermann

„Totalverweigerer“? Gibt es sie, was weiß man darüber?

Dieses Schlagwort spielte in den letzten Monaten eine große Rolle, „Totalverweigerer“ sollten durch das Bürgergeld nicht weiter geschützt werden, deswegen müssten Sanktionen wieder verschärft werden usw.

In folgenden Berichten werden Experten zitiert, deren Auskünfte klingen sogleich anders und passen nicht in die aufgeregte Debatte:

Stefan Sell zur Einschätzung des IAB

Stefan Sell zu den behaupteten Einsparmöglichkeiten (siehe Grafiken unten)

Auf Experten des IAB beziehen sich auch folgende Meldungen:

Münchner Merkur

Focus online

Tagesschau

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Hetze statt sachlicher Informationen…

…, wer etwas verändern will, erhält hier Hinweise im Tweet, wer hetzen will, den interessiert das nicht. Es ist verwunderlich, dass der Vorsitzende einer Partei wiederholt die Sachlage verdreht, obwohl es mittlerweile von verschiedenen Seiten Berechnungen gab, die zeigen, das die Lage komplexer ist und es keine Lösung ist, Leistungsbezieher verächtlich zu machen, es sei denn, man will genau das.

Die Aussage Friedich Merz‘, auf den sich dieser Tweet bezieht, dass es „Studien“ gebe, die belegten, dass Mitarbeiter sich ausrechnen, ob es sich „lohnt“ zu arbeiten angesichts des Bürgergeldes, würde ich gerne einmal sehen. Die in der Vergangenheit präsentierten Hinweise darauf, waren anekdotische Berichte Einzelner, die sich selbst widersprachen (siehe z. B. hier).

Sascha Liebermann

„Was machen die eigentlich“…

…so lautet der Titel des Beitrags von Anna Mayr und Mark Schieritz (Bezahlschranke) auf Zeit Online zur Diskussion um das Bürgergeld, die Gründe für den Leistungsbezug und Problemlagen der Bezieher, die in der öffentlichen Debatte häufig übergangen werden.

Die (nicht neue) Aufschlüsselung der Zahlen zum Bürgergeldbezug, die die Autoren vornehmen, zerschlägt schon einmal viele Vorurteile, die kursieren, das ist hilfreich – auch wenn sie fortbestehen mögen, die Vorurteile. Auf das vermeintliche Missverhältnis offener Erwerbsarbeitsplätze und erwerbsfähiger Leistungsbezieher wird eingegangen, so dass deutlich wird, weshalb beide Seiten nicht einfach miteinander verglichen werden sollten.

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„Wir brauchen Chancen von Menschen, in Arbeit zu kommen“,…

…so Hubertus Heil in dem hier verlinkten Interview. Es gehe „auch um Gerechtigkeit“, es brauche „Chancen“, es gehe um „Eigenverantwortung“. Doch die „kleine hartnäckige Gruppe“, die jedes Angebot ausschlage, sei das Problem.

Nun, wenn es um Chancen geht, dann braucht es keine Sanktionen, denn Chancen sind nur solche aus der Perspektive einer Person, die diese ergreifen oder sie auch nicht ergreifen kann. Chancen sind positiv konnotiert, sie sind etwas Wünschenswertes. Wenn sie keine Wahl hat, wie Heil es vertritt, sind es keine Chancen, dann sind es Auflagen oder Vorschriften bzw. kollektive Erwartungen. Diese sprachkosmetische Verschleierung lüftet Heil sogleich, wenn er deutlich macht, dass es nicht akzeptabel ist, wenn diese „Chancen“ nicht ergriffen werden. Dann sollte man sie nicht als solche bezeichnen, auch wenn diese Redeweise schon unter Bundeskanzler Schröder anzutreffen war. Man könnte stattdessen einfach sagen, dass von dem Gemeinwesen nach gegenwärtiger Lage schlicht und einfach erwartet wird, dass Erwerbstätigkeit geleistet wird, ganz gleich, was die Menschen sonst für Sorgen oder auch Aufgaben haben. Dann spart man sich auch die Überlegung, weshalb denn verweigert wird, was die Hintergründe sind. Ob das dann dem Gemeinwesen zuträglich ist? In jedem Fall werden dann Erwartungen erfüllt.

Sascha Liebermann