Behinderung, häusliche Pflege und das Bedingungslose Grundeinkommen

In der aktuellen Ausgabe des Magazins der Neuen Zürcher Zeitung, dem NZZ Folio, ist ein lesenswerter Bericht darüber zu lesen, wie Persönliche Assistenten (PA) behinderten Menschen das Leben erleichtern können. Unter dem Titel „Die rechte Hand“ legt Tom Shakespeare dar, wie ein Leben möglich wäre, das mehr Selbstbestimmung zuließe, als es in jedem noch so guten Heim möglich ist. Finanziert würde der PA vom Gemeinwesen; wie das Geld eingesetzt wird, entscheidet der Bezieher der Geldleistung selbst. Gerade angesichts der Diskussion um eine Leistungsverbesserung für Pflegebedürftige und ihre Angehörige, kurz „Pflege Bahr“( siehe auch die Kritik auf den Nachdenkseiten) wird deutlich, was ein BGE leisten könnte. Als Leistung an die Person jenseits jeglichen Bedarfs schafft es eine andere Basis: es erkennt die Person um ihrer selbst willen an. Jegliche Form der Pflege würde damit auf ein sicheres Fundament gestellt (Bedarfe oberhalb des BGE müssten gedeckt werden), zugleich würde sich die Einkommenssituation derjenigen verbessern, die sich dieser Aufgabe beruflich widmen würden.

Weitere Beiträge zum Thema: „Grundeinkommen und Behinderung“ von Martina Steinheuer.
„Souveränität gewinnen“ und „Bittsteller oder Bürger“ von Sascha Liebermann.

„Wer macht die unbeliebten Arbeiten?“ – Das Notwendige und die Freiheit

Antje Schrupp ist jüngst in ihrem Blog dieser Frage nachgegangen und hat sich dabei u.a. mit Ausführungen von mir beschäftigt, die in einem Video dokumentiert sind. Sie kritisiert, dass es bei bGE-Befürwortern einen blinden Fleck gebe:

„Das Liebermann-Modell (und viele männliche Grundeinkommens-Befürworter argumentieren ähnlich) baut darauf, dass sich mit dem Grundeinkommen neue Aushandlungsprozesse initiieren lassen, die dann höchstwahrscheinlich auf eine bessere Lösung als heute hinauslaufen. Das glaube ich in der Tat auch. Das Problem an dieser Idee ist nur, dass dieser Plan bei den meisten der klassischen Fürsorgearbeiten nicht funktionieren kann: Wenn Babies gewickelt und gefüttert werden müssen, wenn Alte versorgt werden müssen, dann kann man es nicht drauf ankommen lassen. Dann ist die Möglichkeit, dass es heute eben mal niemand macht, weil grad keiner Lust hat, keine Option, die wir zulassen können. Hier haben wir es nämlich nicht mit Dingen zu tun, sondern mit Menschen, mit Menschen, die auf die Hilfe anderer angewiesen sind, und zwar jetzt und sofort.“

Weiter heißt es:

„Deshalb [damit diese Tätigkeiten auch zukünftig erledigt werden, S.L.] brauchen wir an dieser Stelle eine Kulturdebatte, die die Freiheit, die ein Grundeinkommen bedeuten würde, nicht nur dahingehend interpretiert, dass wir dann alle „selbstbestimmt und autonom“ tun können, wonach uns der Sinn steht. Sondern wir müssen diese Freiheit dahingehend interpretieren, dass sie auch für die Einzelnen die Verpflichtung beinhaltet, das Notwendige zu sehen und sich ganz konkret für die Bedürftigkeit anderer Menschen (und idealerweise dann auch noch für andere Notwendigkeiten, wie das Kloputzen) verantwortlich zu fühlen.“

In der Tat geht es um wichtige Aufgaben, es geht auch um die Würde des Menschen, es geht aber auch um Demokratie. Dennoch erweist sich der „blinde Fleck“ als eine Herausforderung, deren Bewältigung nicht „sichergestellt werden“ kann, wie Antje Schrupp sich erhofft, zumindest nicht, ohne die Freiheit wieder aufzugeben, die mit dem bGE gestärkt werden soll. Auch heute gilt, dass 1) manche Tätigkeiten nicht übernommen werden, weil sich niemand dazu bereit erklärt und 2) eine Zwangsverpflichtung zum einen den Grundfesten der Demokratie widerspricht, zum anderen dem, was erreicht werden soll. Es bleibt nur eine öffentliche Debatte darüber, wie wir zu solchen Aufgaben stehen, Frau Schrupp spricht von Kulturdebatte, mehr ist nicht möglich, es sei denn, ein Zwangsdienst soll doch in Erwägung gezogen werden. Das sieht sie nicht vor, aber Formulierungen wie diese „Sondern wir müssen diese Freiheit dahingehend interpretieren, dass sie auch für die Einzelnen die Verpflichtung beinhaltet, das Notwendige zu sehen“ sind unklar. Was geschieht denn, wenn das „Notwendige“ nicht gesehen wird, wenn jemand die Verantwortung nicht übernehmen will? Wird dann doch eine Zwangsabordnung durchgeführt? Was wäre damit wohl erreicht?

Auf der Website gibt es zahlreiche Kommentare zum Beitrag, die deutlich machen, wie lebendig und differenziert die Diskussion um das bGE schon ist. Besonders herausheben möchte ich die Beiträge von Henrik Wittenberg (BGE-Köln), der den Finger in die Wunde legt, die die Freiheit schlägt.

Sascha Liebermann