Es gibt wiederkehrende Einwände oder kritische Anmerkungen, die einen veranlassen, stets noch einmal die Argumente für ein Bedingungsloses Grundeinkommen und eine bestimmte Ausgestaltung durchzugehen. Das Überdenken des Selbstverständlichen, des Vertrautgewordenen am Grundeinkommen, hat seit Beginn der öffentlichen Auseinandersetzung dazu beigetragen, Argumente zu schärfen, Überlegungen zu präzisieren, immer konkreter die Folgen eines Grundeinkommens im Verhältnis zum Gegenwärtigen auszubuchstabieren.
Manche kritisieren, dass ein BGE zu wenig an der ungleichen Einkommensverteilung ändere, es die Machtverhältnisse bestehen lasse oder sie gar verstärke. So pauschal wird es behauptet. Ist das so? Worauf zielen die Einwände bei genauer Betrachtung? Wer befindet darüber, was gerecht ist?
Trotz einiger Bemühungen, auf diese oder ähnlich gelagerte Fragen differenziert einzugehen (für behauptete Effekte einer Konsumbesteuerung: Ralph Boes und im Film Grundeinkommen ab Min 59; siehe auch einen Kommentar von Sascha Liebermann), kehren sie in einer Pauschalität auch bei Grundeinkommensbefürwortern wieder (siehe hier und hier: Film Lohn ohne Arbeit, Stellungnahme von Renate Börger), die verwundert. Grund dafür ist sicherlich, dass in der Diskussion zum einen Teil Analyse betrieben wird, zum anderen jedoch – notwendigerweise wo Entscheidungen über Gestaltung getroffen werden müssen – Werturteile gefällt werden (so auch in dem Band Grundeinkommen. Geschichte – Modelle – Debatten). Solche Werturteile darüber, was für gerecht gehalten wird, leiten auch die je individuelle Einschätzung von Vorschlägen, z.B. für eine Abschaffung der Einkommensbesteuerung, die Einführung eines Mindestlohns und die Verknüpfung von BGE und Mindestlohn.
Jüngst hat sich Herbert Wilkens (Netzwerk Grundeinkommen) mit vergleichbaren Einwänden gegen die jüngst vorgestellte Dokumentation „BGE-interaktiv“ zu Wort gemeldet. Seine Einwände seien hier beispielhaft besprochen. So bemängelt er:
„Die eingeschränkte Sicht auf einige der Probleme, die bei der Einführung des BGE zu lösen sind, zeigt sich besonders deutlich bei der Diskussion der Mindestlöhne. Es gibt nun einmal mehrere Grundeinkommensmodelle, die auch langfristig darauf setzen, dass Mindestlöhne gesellschaftspolitisch erforderlich sind.“
Ein Hinweis auf die verschiedenen Modelle (sofern es welche sind) ist immer richtig, ist aber auch sonderbar, wenn im Film doch gerade der Mindestlohn kontrovers dargestellt wird. Mehr als eine Darstellung von Modellen leistet eine Betrachtung der Auswirkungen, die ein Mindestlohn hätte. Wie steht es darum? Werden BGE und Mindestlohn miteinander verknüpft, wird Erwerbstätigkeit normativ höher bewertet als andere Tätigkeiten, die nicht erwerbsförmig sind. Weshalb ist das so? Die einen – die sich nicht erwerbsförmig engagieren – erhalten nur das BGE, die anderen das BGE plus Mindestlohn. Erstere werden also einfach, letztere doppelt abgesichert. Wie wäre das zu rechtfertigen? Überwunden wird die Vorrangstellung von Erwerbstätigkeit damit nicht, sie wird verfestigt. Konsequent ist eine Verknüpfung allerdings dann, wenn 1) Erwerbstätigkeit doch für wertvoller und schützenswerter erachtet und 2) den Menschen nicht zutraut wird, Arbeitsbedingungen selbst zu eigener Zufriedenheit auszuhandeln. Dasselbe gilt für die Umverteilung von Erwerbsarbeitsstunden durch allgemeine Arbeitszeitverkürzung. Statt eines Mindestlohns, der die Verhandlungsposition der Mitarbeiter nun gar nicht stärkt, käme es genau darauf an, diese zu stärken.
Der Mindestlohn passt in das erwerbszentrierte Gefüge, er signalisiert den Stellenwert von Erwerbstätigkeit. Die Einführung eines BGEs hingegen soll genau dies aufheben und allen den gleichen finanziellen Ausgangspunkt für ihre Lebensführung als Solidarleistung verschaffen. In welche Richtung, zu welcher Tätigkeitsform sie sich dann orientieren, sollte eben nicht mehr normativ bewertet werden. Genau das ist der entscheidende Punkt: der Mindestlohn nimmt eine Bewertung vor, denn er wäre nicht mehr damit zu rechtfertigen, das Mindesteinkommen zu sichern, dafür wäre ja das BGE da. Er hätte die Aufgabe das kumulierte Einkommen aus BGE und Erwerbseinkommen in einer bestimmten Höhe abzusichern. Die Einführung eines BGEs in Verbindung mit einem Mindestlohn würde also die normative Bewertung von Tätigkeiten beibehalten, sie würde das Gegenteil dessen bewirken, was das BGE erreichen will (auch aus Sicht der BGE-Mindestlohn-Kombibefürworter). Wer die normative Fortschreibung richtig findet, muss Mindestlohn und BGE verknüpfen; wem an der Aufhebung des Vorrangs von Erwerbstätigkeit gelegen ist, muss für ein ausreichend hohes BGE streiten. Daran zeigt sich auch, wie wichtig die Höhe ist.
Herbert Wilkens bringt noch einen weiteren Einwand vor:
„Noch wichtiger sind Machtfragen. Bei dem Video zu der Frage „Gäbe es eine Machtverschiebung?“ stellen Götz Werner und die nachfolgenden Interviewpartner auf die individuelle Machtverteilung zwischen dem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer ab, der auch ein Grundeinkommen bezieht. Natürlich wird die Position der bisher Unterprivilegierten durch das BGE gestärkt. Bei den höher qualifizierten Mitarbeitern ist die Bilanz schon fraglich, aber das bleibt unerwähnt.“
Weshalb soll die Bilanz bei höher qualifizierten Mitarbeitern fraglich sein? Die Antwort bleibt Herbert Wilkens schuldig. So lässt sich nur mutmaßen, was er vor Augen hat. Denkt er womöglich, so ein geläufiger Einwand, dass für höher qualifizierte Mitarbeiter der Einkommens- und Statusverlust bei Verzicht auf eine Arbeitsstelle und den Rückzug auf das BGE zu groß wäre? Dass ihr Wunsch, den Lebensstandard zu erhalten, dazu führte, die Verhandlungsmöglichkeiten, die das BGE schafft, nicht zu nutzen? Wären sie wegen ihrer Statusorientierung erpressbar durch Arbeitgeber? Ein wenig klingt dies nach dem Einwand, der von Gewerkschaftsfunktionären wie Annelie Buntenbach schon gegen das BGE vorgebracht wurde. Sie glaube nicht daran, so sagte sie anlässlich einer Diskussion in Dortmund vor einigen Jahren, dass die Mitarbeiter diese Verhandlungsmacht auch nutzen würden. Nun, das wäre schon denkbar, aber kein Resultat, das dem BGE angelastet werden könnte. Es läge schlicht an den Mitarbeitern, die die Verhandlungsmacht nicht nutzten. Ähnlich verhält es sich mit dem Einwand von Herbert Wilkens: Wer die Erhaltung seines (hohen?) Lebensstandards den Freiräumen vorzieht, die ein BGE verschafft, hat es selbst zu verantworten (siehe auch „Missbrauchsbefürchtungen, Konsumismus und die Verführbarkeit der Bürger„). Wem Lebensstandard oder Einkommensstatus wichtiger ist, als die Freiheit „Nein“ zu sagen, hätte sich eben auch entschieden: gegen diese Freiheit. Oder ist etwas anderes gemeint? Geht es vielleicht um den bei höher Qualifizierten zu vermutenden starken Drang, erwerbstätig zu sein, weil sie sich sehr mit ihrem Beruf identifizieren? Auch dann aber hätten sie Verhandlungsmacht, es sei denn, die Erwerbstätigkeit wäre ihnen so wichtig, dass ihnen jede Bedingung recht wäre, auch die schlechteste. Nun denn, dagegen ist kein Kraut gewachsen.
Abschließend sei nun der letzte, hier zitierte Einwand, aufgegriffen. Herbert Wilkens schreibt:
„Mit keinem Wort wird auf das gesamtgesellschaftliche Problem eingegangen, dass z. B. der Ansatz von Götz Werner und seinen Anhängern die krasse Ungleichverteilung bei Einkommen und Vermögen unangetastet lässt oder sogar noch verstärkt. Die Folgen kennen wir alle: Reichtum bedeutet auch politische Macht, die sich vorbei an den demokratischen Rechten der Unvermögenden durchsetzt.“
Zuerst einmal bleibt durch ein BGE „die krasse Ungleichverteilung“ doch gerade nicht „unangetastet“. Ein ausreichend hohes BGE würde durch den Anspruch pro Person unmittelbar eine große Veränderung bedeuten für die Einkommensverteilung. Man ermesse das alleine an den heutigen Durchschnittsrenten, an der Veränderung für alle diejenigen, die heute kein Bafög erhalten, obwohl die Eltern sie während einer Weiterbildung, eines Studiums oder ähnlichem kaum unterstützen können. Bezieht man ein, um wieviel besser Familien und auch Alleinerziehende im allgemeinen gestellt würden, kann die Aussage nur erstaunen.
Neben diesen unmittelbaren Veränderungen, kann es auch mittelbar starke geben. Wer verhandeln, wer auf einen Arbeitsplatz verzichten kann, der ist auch in der Lage, Entscheidungen über seine individuellen hinaus zu beeinflussen. Mitarbeiter, die nicht mehr bereit wären, exorbitante Managerbezüge (das betrifft ja vor allem Aktiengesellschaften, mittelständische Unternehmen aber kaum) zu unterstützen, könnten das in Verhandlungen zum Gegenstand machen. Mitarbeiter, die sich zusammenschließen, können in einem Unternehmen, gerade weil das BGE sie absichert (ein Mindestlohn aber nicht), erheblichen Druck aufbauen. Gute Mitarbeiter sind für ein Unternehmen lebensnotwendig, das ist auch heute klar, wenngleich es vielleicht zu wenig eingestanden wird. Das Einkommensgefüge in einem Unternehmen könnte also vielmehr als heute verändert werden, wobei auch hier gilt: nur, wenn die Mitarbeiter ihre Verhandlungsmacht einsetzen.
Darüber hinaus bedarf es eines effektiven Steuerwesen, das nicht mehr die Illusionen des heutigen bedient. Wer noch glaubt, Sozialabgaben, Einkommen- und Lohnsteuer seien ein wirksames Instrument der Umverteilung, der sollte sich mit den Argumenten für eine Konsumbesteuerung intensiv befassen (siehe die Hinweise oben auf Ralph Boes u.a.). Verbrauchs- oder Ressourcensteuern sind übrigens auch mit Konsumbesteuerung möglich, das haben Götz W. Werner wie auch Benediktus Hardorp immer wieder angesprochen (sie vertreten im Unterschied zu manch anderen auch keine „Modelle“). Für ein effektives Steuerwesen, also eines, das keine potemkinschen Dörfer aufbaut, ist entscheidend, wer die Steuerlast trägt, nicht wer sie abführt. Dieser Effekt gilt nicht nur direkt für Kosten eines Unternehmens, die notwendig in den Güterpreisen landen. Neben diesen direkten Effekten gibt es auch indirekte. Werden Einkommen- und Lohnsteuern erhöht, wird der Steuerzahler bemüht sein, diese erhöhte Belastung auszugleichen, indem er z.B. versucht, einen höheren Lohn zu erzielen. Gelingt ihm das, wird das Unternehmen wiederum versuchen, diese Kostenerhöhung in die Produktpreise zu überwälzen. Falls das nicht gelingt, muss es seine Gewinnmarge reduzieren. Was Befürworter einer Einkommensbesteuerung wünschen, ist keineswegs gewiss.
Naiv ist die Hoffnung, die Frage der Machtverteilung über Besteuerung zu lösen. Nehmen wir einmal – wie Herbert Wilkens – an, machtvoll seien gerade diejenigen, die über wirklich hohe Einkommen verfügen und es gelte, deren Macht durch stärkere Besteuerung zu reduzieren. Würde das tatsächlich erreicht? Wer ein solche hohes Einkommen hat und es dazu einsetzen will, Einfluss auszuüben, gerade den erreicht selbst eine hohe Einkommensbesteuerung nicht. Er würde dann noch immer über ausreichend Finanzkraft verfügen oder sie sich beschaffen können, um Einfluss zu üben. Interessenverbände wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft oder die BertelsmannStiftung würden dadurch kaum in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. Das Erwünschte kann so nicht erreicht werden, bestenfalls verbessert das Gemeinwesen seine Einnahmeseite. Das ist aber auch kein Selbstzweck.
Ist an der Gleichung Einkommen=Einfluss denn überhaupt etwas dran? Daran kann zurecht gezweifelt werden, denn Einfluss nehmen zu wollen, setzt immer jemanden voraus, der Einfluss auch gewähren will. Dass jemand, der über entsprechende Finanzmittel verfügt, andere Hebel in Bewegung setzen kann, soll hier nicht bestritten werden. Letztlich aber ist der Wunsch, Einfluss nehmen zu wollen, nicht das Problem, solange Einfluss nicht gewährt wird. Das gilt für Lobbyisten aller Art. Dasselbe gilt für die sogenannte Macht der Finanzwirtschaft: Sie hat sie, weil sie ihr eingeräumt wird, das ist an der Auseinandersetzung über Alternativen zu den jetzigen Krisenlösungsbemühungen abzulesen. Wo unsere Repräsentanten tatsächlich (ich halte es für schwierig, das im Allgemeinen einzuschätzen) Partikularinteressen nachgeben, wo Gesetzentwürfe von Interessenverbänden verfasst und einfach so übernommen werden; wo Gestaltungsentscheidungen bestimmte Interessen bevorzugen, dort überall müssen wir als Bürger aufmerksam werden und dagegen vorgehen. Macht kann nur haben, wem Macht eingeräumt wird. Das BGE würde in dieser Hinsicht Vieles verändern, den Bürgern vor Augen führen, dass sie sich einmischen müssen und dies auch besser können, wenn sie etwas verändern wollen. Ein ausreichend hohes BGE würde gerade denjenigen den Rücken stärken, die Herbert Wilkens als „Unterprivilegierte“ bezeichnet. Wenn sie ihre gestärkte Position auch einsetzen, um für Veränderungen zu streiten, ist Einkommensungleichheit nicht nur kein Problem. Sie kann auch nicht mehr als Ausrede dafür herhalten, sich rauszuhalten.
Sascha Liebermann